Kapitel III

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»Er starrt mich an. Farblose Augen, die mich nicht wahrnehmen können. Durch mich hindurch in ein anderes Universum blickend. So als hätten sie schon lange aufgehört zu existieren - in dieser Welt.

Und ich wende dem Spiegel den Rücken zu.«

  ❀  

Der nächste Morgen beginnt damit, dass ich mir Pfannkuchen mit Honig zubereite, denen ich allerdings einen zu langen Aufenthalt in der Pfanne gegönnt habe, plus einige organisatorische Telefonate führe. Sodann setze ich mich in meinen schwarzen Opel Corsa, ziemlich alte Kiste, ist streng genommen nicht mal meine, und steuere Damirs Haus an, der den VW spendieren wird. Dafür habe ich bereits im Voraus gesorgt.

Es ist keine weite Autofahrt, aber auch keine sonderlich schöne. Ziemlich außerhalb, beinahe auf dem Land, befindet sich das bescheidene Haus, dicht an den Maisfeldern. Unterwegs kommt man an unzähligen Bauernhöfen und Kuhdörfern vorbei, die alle gleich aussehen. Der Geruch ist nicht besonders appetitanregend, weshalb ich die Fenster, trotz der Hitze, geschlossen lasse. Ich werfe das Radio an und AC/DC brüllen mir ins Ohr, dass ich mich auf dem Highway zur Hölle befinde. Und damit haben sie recht.

„Joschka, moj brat!" Damir kommt mit ausgebreiteten Armen und seinem typisch schelmischen Grinsen auf den Lippen, über den frisch gemähten Rasen zur Ausfahrt, direkt auf mich zu. Er trägt ein weißes Achselshirt mit Totenkopfaufdruck, dazu eine ausgewaschene Jeanshose mit einigen modischen Löchern im Stoff und scheint sich heute Morgen nicht gekämmt zu haben.

Ich zücke eine Sonnenbrille aus dem Handschuhfach, welch blendendes Wetter, und knalle die Autotür geräuschvoll hinter mir zu. Der intensive Duft des frisch gemähten Rasens steigt mir sofort in die Nase. „Yo", nicke ich ihm zu.

Er klopft mir auf die Schulter, während er mit der anderen Hand grob durch mein dunkelbraunes Haar wuschelt. Ich bin etwas größer als er. „Jeste li dobro?" - „Da, dobro sam", erwidere ich und befreie mich aus seiner spontanen Kopfmassage. „Mal sehen, wo mein Vater und die alte Karre stecken. Ich bin echt froh dich nochmal zu sehen, bevor du das Land verlässt". Damir sieht mich fröhlich von der Seite an, aber ich erwidere den Blick nicht. Aus dem Hause der Familie Kosčavić dröhnt laut serbo-kroatische Musik, eine Frau - höchstwahrscheinlich Damirs überforderte Mutter - schimpft über den nicht stubenreinen Hund oder einen entwendeten Topflappen, vielleicht auch über das Fernsehprogramm. Keine Ahnung. Meine kroatischen Sprachkenntnisse, die ich hauptsächlich Damir zu verdanken habe, reichen nicht aus, um die Vokabeln ihren Bedeutungen zuzuordnen. Dafür kann meine Nase deutlich den Geruch von Kohl identifizieren. Gekochter Kohl. Ich hasse Kohl.

Wir laufen über den überschaubaren Hof in Richtung Garagentor, welches offen steht und glücklicherweise nicht den Geruch von gekochtem Kohl ausstößt. „Tata, Joschka je tamo", verkündet Damir und hinter dem weißen VW, den sie anscheinend extra für mich rausgeputzt haben, denn das Weiß sieht noch strahlender aus, als ich es in Erinnerung hatte, kommt ein eher kleiner, runzeliger Mann mit dunkelgrauem Schnauzer hervor. „Ah, Joschka! Willkommen", lächelt er. Jedenfalls glaube ich, dass er lächelt. Seine Gesichtsbehaarung erhöht den Schwierigkeitsgrad seine Mundwinkel richtig zu deuten, aber seine schwarzbraunen Augen werden schmal und seine Stimmfarbe klingt freundlich, also gehe ich von einem Lächeln aus. „Dobar dan, gospoda Kosčavić", lächle ich also höflich zurück. „Lange her ist es, dass wir letzte Mal gesehen", lacht er in seinem südslawischen Akzent und drückt mir die Hand. „In der Tat, es ist eine Weile her", gebe ich zurück. Mein Blick wird von dem VW-Bus gefangen und haftet daran. Ja. Genau so muss er sein. „Er ist schön, nicht? Obwohl sehr alt. Ich habe getestet von vorne bis hinten, einwandfrei!" - „Bin auch schon 'ne Runde mit dem Teil gedüst", fügt Damir eher weniger begeistert hinzu. „Also besonders geil siehste damit nicht aus, aber voran kommste wohl."

Ziemlich nah dranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt