XVI - Böses Erwachen

134 19 15
                                    

Piep-Piep ... Piep-Piep ... Piep-Piep ...

Verfluchter Mist. Schon wieder hatte sie vergessen, den Handywecker auszuschalten. Zu Hause mit der Mickey-Mouse-Uhr gab es das Problem nicht. Ein kräftiger Schlag und Ruhe war. Schlaftrunken tastete Sam nach ihrem Smartphone.

Ein Stechen und Ziehen in ihrem rechten Handgelenk ließ sie hochschrecken. Grelles Licht blendete ihre aufgerissenen Augen. Schnell schloss sie ihre verklebten Lider wieder und versuchte, sie mit dem Arm zuzudecken – und schrie erneut auf, als ein beißender Schmerz sich in ihren Handrücken grub und als gleißendes Feuer in ihrer Schulter endete.

Scheiße. Was war hier los? Mit Bedacht und schwer atmend öffnete sie ihre Augendeckel, während das Piepsen zu einem deutlich beschleunigten Rhythmus über ging. Schwammig zeigten sich Umrisse. Hellweiß auf Beigeweiß. Dazu der stechende Geruch nach Desinfektionsmitteln. Ein Krankenhaus. Logisch. Der finstere Wald, Dakota – das verräterische Arschloch – und der Schuss von Jeff. Offenbar hatte man sie noch rechtzeitig vom Waldboden aufgesammelt, bevor der Blutverlust sie endgültig ins Jenseits gezogen hätte.

Die letzten Szenen mit dem jungen Einheimischen holten sie erneut ein. Hatte er wirklich versucht, sie zu erwürgen? Nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten? Natürlich hatte sie von Anfang an ein Störgefühl bei ihrem Begleiter gehabt. Er hatte deutlich zu abgebrüht und kaltschnäuzig auf die Extremsituationen reagiert. Und das Flugzeug zu fliegen und zu landen hatte er angeblich in einem Computer-Spiel gelernt? Was für ein Bullshit. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte ihr klar sein müssen, dass der Einheimische alles andere als ein nerdiger, introvertierter Start-up-Gründer war. Und hatte er wirklich Dave das Genick in den zwei bis drei Sekunden gebrochen, die sie gebraucht hatte, hinter ihm die Stufen des Fliegers hochzuhetzen? Für jemanden mit entsprechender Übung und Gewissenlosigkeit, wäre das sicher machbar. Zumindest würde das zu ihren letzten Erlebnissen passen, auch wenn ihr seine Motivation ein Rätsel war.

„Miss Schwarzberg?", fragte eine ihr unbekannte männliche Stimme und ließ sie aus ihren Gedanken hochschrecken. „Are you alright? Would you like me to call the nurse?"

Schräg vor ihr erhob sich ein Mann im braunen Anzug mit gegelten hellbraunen Haaren und Oberlippenbart aus einem Sessel. Offenbar hatte er auf ihr Aufwachen gewartet. Ihre grauen Zellen brauchten etwas, um auf Touren zu kommen. Kannte sie ihn? Nein.

Trotzdem erwiderte sie auf Englisch: „Vielen Dank, es geht schon. Was ist passiert?"

„Entschuldigung, ich vergaß, mich vorzustellen", antwortete er und ignorierte ihre Frage. „Mein Name ist Detective Constable Wilson. Ich arbeite für den Toronto Police Service."

Geschmeidig trat er an ihre Seite und reichte ihr einen Ausweis mit den entsprechenden Informationen, der aussah, als käme er frisch aus der Druckerei. Dann setzte er hinzu: „Geht es dir wirklich gut?"

Seine Anteilnahme schien nicht gespielt zu sein und er hatte offenbar längere Zeit vor ihrem Bett herumgelungert, statt sich von der Station informieren zu lassen, sobald sie aufwachte.

„Ja, schon in Ordnung", versicherte sie ihm nochmals.

Kurz schien er mit sich zu ringen und blickte in Richtung Tür, als ob er nicht doch die Schwester rufen sollte.

Am Ende wandte er sich jedoch erneut an sie: „Ich untersuche die Vorkommnisse rund um die Schießerei an der Villa von Xavier Monier. Darf ich dazu ein paar Fragen stellen?" Ohne ihre Antwort abzuwarten, setzte er fort: „Wer hat dich angeschossen?"

Das ging ja direkt ans Eingemachte. Ehrlich antwortete sie: „Jed Harper. Angeblich Texas Ranger. Aber erst, nachdem Dakota versucht hat, mich zu erwürgen. Streng genommen hat der Schuss von Jed sogar mein Leben gerettet."

𝗱𝗲𝗮𝗱𝗯𝗼𝗼𝗸 - ​Ralphs letztes Rätsel✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt