VI - Tödliches Lebenselixier dämonischer Fächer

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Diverse Passanten schritten in ihre Richtung. Als sie jedoch verharrte, um sich scheinbar in das Schaufenster eines Immobilienmaklers mit horrenden Preisen zu vertiefen, blieb niemand auffällig zurück, außer der Handvoll Menschen an der Bushaltestelle. Beruhigt lief sie weiter und wiederholte die Übung noch einige Male, bevor sie am Ende die ausladende Lobby ihres Hotels betrat. Marmorsäulen, weinroter Teppich und leise Musik verbreiteten eine beruhigende Atmosphäre. Ohne innezuhalten, begab sie sich direkt auf ihr brav verschlossenes Zimmer, das in ihrer neuen, edlen Unterkunft mit WLAN und Schreibtisch ausgestattet war.

Endlich entspannt durchatmend, goss sie sich einen Mate-Tee auf, holte ihren Laptop aus dem Rucksack und ließ die Tasten glühen. Die Telefonnummer des Assistenten passte zur offiziellen von Bitty2000. Also war es zumindest ein Mitarbeiter. Außerdem kannte er ihren Namen und sie hatte ja das Interview aktiv angefragt. Alles in allem erschien ihr das stimmig. Haken dran.

Beim CEO Xavier Monier und dem Angebot seiner Online-Börse, bei der man mit Krypto-Währungen handeln konnte, die ihr nichts sagten, sah das schon anders aus. Das Start-up war vor drei Jahren von ihm gegründet worden. Geboren in Montreal, was seinen Namen erklärte. Studium der Mathematik, nicht Informatik oder BWL wie sie erwartet hätte. Mehrere gescheiterte Versuche, Unternehmen zu gründen. Erst mit Bitty2000 war er groß rausgekommen. Jedoch nur dank eines Multimillionen-Investments eines unbekannten Venturecapital-Fonds, über den sich nichts im Internet finden ließ. Massives Marketing und das Versprechen, dass man für jeden Neukunden eine hohe Provision einstrich, hatten die Plattform ins Rollen gebracht. Hundert Dollar erhielt man, falls der geworbene mindestens Tausend investierte. Außerdem konnte man sich seine Wallet jederzeit in jeder Währung überall auf der Welt auszahlen lassen.

Das kam ihr komisch vor. Sie schrieb Paul eine Mail dazu und würde es morgen mit ihm besprechen, da er sich dort registriert hatte. Heute war es dafür in Deutschland schon zu spät. Nach kurzem Zögern erwähnte sie noch, dass sie gleich mit Xavier Monier ein Interview führen würde.

Rein äußerlich war er nicht ihr Typ und voller Widersprüche. Trotz massiven Übergewichts deuteten seine trainierten Arme und Oberkörper darauf hin, dass er regelmäßig im Studio Gewichte stemmte. Beinahe wie ein Sumo-Ringer. Durchdringende blaue Iriden, ein gepflegter, rot-brauner Vollbart und an den Spitzen blondierte, halblange Haare zeigten, dass er Wert auf sein Äußeres legte. Trotzdem war er auf fast allen Bildern und Videos nur in schlabberigen T-Shirts, Shorts und Sneakers zu sehen. Selbst auf Konferenzen. Das Inbild eines ignoranten, amerikanischen Touristen auf Deutschlandtour.

Auffällig war die Vorliebe des CEOs für ausufernde Partys, dicke Autos und hübsche Frauen. Lässig und mit gekreuzten Armen auf einem feuerroten Sportwagen sitzend; im blubbernden Whirlpool mit zwei gestylten Models; eine Blondine im Arm auf dem Vorderdeck einer Jacht in Südfrankreich; usw. Eine endlose Folge der Protzerei sowohl in der Presse als auch auf seinem Instagram-Account. Aber eventuell war das nur eine Marketingmasche, um potenziellen (männlichen) Neukunden zu zeigen, dass sie mit seiner Plattform schnell reich würden.

Um sieben klappte sie hundemüde das Display zu. Ein Uhr deutscher Zeit. Und in einer Stunde würde man sie abholen. Langsam sollte sie sich fertigmachen. Hm ... Mist. Sie hätte nach dem Dresscode fragen sollen. Zu spät. Mit dem Businessdress konnte sie nichts falsch machen. Aber ihr Ziel war es, dem Kerl ein paar unbedachte Antworten zu entlocken. Daher wählte sie am Ende das kurze Kleid. Falls sie eine offizielle Pressekonferenz oder ein Vorstandsmeeting erwartete, würde sie vermutlich ziemlich dumm dastehen. Sei's drum. Bei einem One-to-One sah das schon anders aus. Wer nicht wagt und so ...

Um acht war sie bereit und fühlte sich gleichzeitig wie gerädert. Da half auch das Koffein aus dem Mate-Tee nicht mehr. Verfluchter Jetlag. Mit möglichst festen Schritten stöckelte sie auf ihren neuen Pumps durch die Lobby in Richtung Ausgang. Erneut ging ihr durch den Kopf, dass sie hier ganz allein und ohne jede Rückendeckung agierte. Niemand, der sie begleitete oder wusste, worauf sie sich einließ.

𝗱𝗲𝗮𝗱𝗯𝗼𝗼𝗸 - ​Ralphs letztes Rätsel✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt