Kapitel 1

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Lu's POV

"Bye Lu, ich hoffe wir sehen uns ganz bald wieder" murmelte Kate lächelnd während wir uns umarmten und stieg schließlich in die Bahn. Ich winkte ihr zum Abschied. Wie sehr ich meine Freundin jetzt schon wieder vermisse. Vor einigen Jahren hatte Kate beschlossen eine Weltreise zu machen, nachdem wir beide unser Abitur abgeschlossen hatten. Es war schon immer der größte Traum der braunhaarigen gewesen und es freute mich unendlich dass sie ihn verwirklichen konnte. Damals war sie von Deutschland nach Spanien gereist, war daraufhin an die Elfenbeinküste geflogen, ist dann in die Türkei weitergereist, weiter in die Mongolei, von da aus nach Thailand und dann auf die Phillipinen, wo sie weiter nach Kanada und in die USA geflogen ist um dann schlussendlich nach Brasilien zu reisen. Diese Reise war ihr Lebenstraum, ein Ziel, worauf sie ihr ganzes Leben lang hingearbeitet hatte. Ewig hat sie gespart und sich Tag für Tag abgearbeitet doch ihr war es jede Mühe wert. Jedes Mal wenn wir uns trafen schwärmte sie aufs neue von den unterschiedlichen Sprachen, den freundlichen Kulturen, den vielen farbenfrohen Ländern und es machte mich glücklich sie glücklich zu sehen. Denn obwohl wir uns schon immer geschworen hatten unseren Kontakt nie abreißen zu lassen hat es nicht so ganz funktioniert. Unsere Freundschaft litt zwar nicht, aber wir haben uns über die lange Zeit irgendwann aus den Augen verloren. Obwohl wir uns häufig geschrieben hatten waren wir beide oft zu beschäftigt und die Zeitverschiebung hatte es nicht leichter gemacht. Während sie um die Welt reiste schloss ich mein Studium in Innenarchitektur ab und ergatterte mir eine Stelle in Aachen bei 'Creative Bürogestaltung', ein wenig außerhalb der Stadtmitte. Dort arbeitete ich mittlerweile seit 3 Jahren und ich liebte die Stadt echt. Natürlich gab es viele schäbige Straßen aber man soll ja nicht immer nur das Negative sehen. Ich liebte die Stadt. Vor allem bei Nacht. Es war eine friedliche wundervolle Stadt und ich bereute es fast kaum bei meinen Eltern in Stuttgart ausgezogen zu sein. Natürlich vermisste ich die beiden und Stuttgart war dann doch fast 5 Stunden mit dem Auto entfernt aber ich besuchte sie manchmal und somit kam ich mit der Distanz doch gut klar.

Schön langsam wurde mir kalt und ich bemerkte, dass ich seit Kates Abschied am Gleis stand und in die Richtung schaute, in die ihr Zug gefahren war. Ich musste schmunzeln als ich an ihr wunderschönes, sommersprossiges Gesicht mit den braunen Augen, umrahmt von rehbraunen Haaren dachte und zog meine Kapuze auf. Es war wirklich schon kalt und auch spät geworden. In meine warmen Klamotten gekuschelt machte ich mich auf den Weg zu meinem Fahrrad, das ich an eine Laterne in der Nähe des Bahnhofs gekettet hatte. In Gedanken schlenderte ich über die Brücke, die über die Gleise führte. Um die fünf Meter ging es nach unten. Ich stelle mich an die Brüstung und stützte meine Ellenbogen auf das Geländer. Die Gleise und alle Straßen drum herum waren in warmes, gelbes Licht getaucht und es war keine Menschenseele mehr unterwegs. Man hörte nur leises Knistern aus Laternen und die Sprecher der Sprechanlagen aus dem Bahnhofsgebäude. Fasziniert blickte ich mich weiter um. Hier und da fuhren ein paar Autos durch die frische Nacht, doch man hörte sie kaum. Als würde die Nacht Aachen in einen Schleier hüllen, der nahezu alle Geräusche auffraß, nur um die Schönheit dieser Stadt genießen zu können. Traumhaft!

Ein Kälteschauer riss mich letztendlich aus meinen Träumereien. Ich musste wirklich nach Hause! Ich hatte ja noch nicht mal gekocht! Ich warf noch einen letzten Blick auf die Gleise und machte mich dann zügig auf zu meinem Fahrrad, welches immer noch an der selben Stelle gekettet stand und wartete. Schnell drehte ich die Zahlen richtig hin und legte das Schloss in meinen Radkorb. Mein Code war 2311 und ich hatte mir nie viel dabei gedacht. Es war einfach eine schnell ausgedachte Zahlenkombi aus den ersten drei Ziffern, was das betraf war ich ziemlich unkreativ.

Ich schwang mich auf mein Rad und machte mich auf den Weg. Sofort wurde der Wind kühler und ich fröstelte mehr. Ich zog meinen Schal über die Hälfte meines Gesichtes und trat fester in die Pedale um möglichst schnell in meine warme Wohnung zu kommen. Nun fiel mir wieder ein dass ich noch Kochen musste. Warum habe ich nur so lange am Bahnsteig gebraucht? Warum war ich so in Gedanken?? Ich hab doch versprochen pünktlicher zu sein! Warum bin ich so verplant? Wütend und verzweifelt fuhr ich immer schneller. Ich achtete kaum auf die spärlich beleuchteten Straßen. Immer wieder kreiste die Fragen in meinem Kopf und ich machte mir Vorwürfe.

Ich begann zu schwitzen und mir wurde wärmer als ich vom Rad abstieg. Meine Handflächen waren feucht und ich knetete meine Finger. Ich hätte kochen sollen. Ich hätte einkaufen sollen. Ich hätte zu Hause waschen sollen. Und was wenn es etwas zum Aufräumen gab? Aber nein, ich hab ja was mit Kate gemacht anstatt einfach pünktlich hier zu sein. Dann bin ich wohl sebst schuld. Von einem Fuß auf den anderen tretend stand ich vor meiner Tür. Die Laternen beleuchteten die Straße und  wenige Mücken surrten um die Lampen. Unschlüssig stand ich immer noch vor der Tür und kaute auf meiner Unterlippe. "Du kannst nicht hier draußen stehen bleiben, Luisa! Du hast es selbst verbockt! Geh!" sagte ich zu mir selbst. Unwohl steckte ich den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Ich atmete tief ein und merkte wie meine Stimme zitterte. Dann gab ich mir einen Ruck und drücke leicht gegen die Tür. Warme Luft strömte mir entgegen und ich trat meine Schuhe kurz auf der Fußmatte ab, bevor ich eintrat. Leise schloss ich die Tür und hängte den Schlüssel links von der Tür ans Schlüsselbrett. Anscheinend hatte mich noch niemand bemerkt. Gewillt keinen Lärm zu machen striff ich meine Schuhe ab und stellte sie vorsichtig in das weiße Schuhregal unter dem Schlüsselbrett. Ein anderes Paar Schuhe lag achtlos auf dem Boden und ich stellte es daneben. Dann hängte ich meine Jacke leise an die Kleiderhaken und atmete erneut durch. Ich schaute in den kurzen Flur und bemerkte Fernsehflackern aus dem Wohnzimmer links. Die braune Holztür war nicht ganz geschlossen. Ich würde vorbeikommen ohne entdeckt zu werden. Ohne zu atmen begann ich, mich in die Küche zu schleichen. Sobald ich es geschafft hatte schloss ich die Tür hinter mir und lehnte mich gegen die Theke. Ich versuchte mich zu beruhigen und auf meine Atmung zu achten, schließlich war ja nichts passiert.
Erschöpft lies ich mich auf einem Stuhl am Esstisch nieder und legte meinen Kopf auf meine Arme. Meine Gedanken kreisten und in meinem Kopf wiederholten sich durchgehend all die Dinge die ich noch zu tun hatte. Warum war ich so undiszipliniert? Warum nahm ich mir so viel vor? Und warum tat ich dann nichts von dem?

Mein Puls hatte sich langsam aber sicher beruhigt und ich schloss meine Augen. Von draußen war mir immer noch ein wenig kalt und ich genoss die Wärme.
Doch plötzlich hörte ich wie sich die Küchentür öffnete.

But who fights for you? || Julien Bam ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt