Kapitel 11

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Lu's POV

Mit unterdrückten Schluchzern verließ ich das Schlafzimmer. Meine Sicht war aufgrund meiner tränigen Augen mehr oder weniger verschwommen. Vielleicht lag es auch daran, dass ich seit Tagen nichts gegessen hatte. Aber das interessiert ja eh niemanden. Ich war egal. Niemand kümmerte sich um meine Gesundheit.
Und meine Existenz.

Ich machte mir nicht die Mühe nachzusehen wo Chris war. Es war doch eh alles egal. Zitternd eilte ich zur Garderobe und versuchte, meine Schuhe so schnell wie möglich anzuziehen. Hin und wieder schluchzte ich doch laut. Aber auch das war jetzt unwichtig. Ohne eine Jacke, Schlüssel oder mein Handy stürmte ich aus dem Haus und schloss die Tür hinter mir. Nun brach alles aus mir heraus. Schwach ließ ich mich auf die Treppen vor unserem Haus nieder und begann zu weinen. Bäche von Tränen rannten über mein Gesicht und ich schnappte unkontrolliert nach Luft. Die Stimmen in meinem Kopf waren lauter als je zuvor.
'Du kleine, dumme, hässliche, fette, abartig widerliche, ekelhafte, n*ttige, erbärmliche, nichtsnützige Schl*mpe'
Chris hatte Recht. Er hatte so Recht. Ich war dumm, ich war hässlich und fett, ich war widerlich und ekelhaft, ich war alles, nur nicht schön.
Ich war nicht genug!
Niemand kümmert sich um mich!
Immer mehr Tränen verließen meine Augen.
Ich war am Ende.
Doch jetzt gab es kein Zurück mehr.

Zitternd zog ich mich am Geländer hoch und schwang mich unsicher auf mein Rad.
So schnell es meine schwindende Kraft zuließ trat ich in die Pedale. Der kalte Wind ließ mich frieren. Mein Gesicht schien zu erstarren, aber ich blendete alles aus.
Meine Haare wehten im Wind.
Die Laternen spendeten das nötige Licht und ich fuhr zielstrebig die menschenleeren Straßen entlang. Dieses Mal wirkte Aachen verlassen, trostlos und kalt. Keine bezaubernde Magie war spürbar. Der Mond war kaum zu sehen, die Sterne waren von Wolken verdeckt. Kein Mensch hielt sich um so späte Zeit noch draußen auf, was nicht verwunderlich war. Schließlich war es bereits kurz vor zwölf. Im Winter.

Je länger ich fuhr, desto mehr fror ich. Die Kälte fraß sich in meine Knochen und brachte diese zum Schmerzen. Alles tat weh. Vor allem aber mein Kopf. Ich musste ihn von diesem Druck erlösen. Diesem endlosen Druck, der mir das Leben schlimmer machte, als es eh schon war. Aber wie alles andere war das jetzt egal. Alles war egal. Zumindest für mich zählte nun nichts mehr. Mit jedem Meter kam ich meinem Ziel näher, der Brücke.

Seit ich Ju dort an diesem Abend getroffen hatte, hatte ich mich nie wieder länger dort aufgehalten. Nach der Arbeit war ich immer sofort nach Hause gefahren, um jede Streiterei zu vermeiden, doch nie hatte es etwas gebracht. Chris verhielt sich von Tag zu Tag schrecklicher und ich schien keinen Ausweg zu haben.
Außer diesen.

Inzwischen hatte ich mich ein wenig gefasst und meine Verzweiflung beiseite geschoben. Die Entschlossenheit hatte mich gepackt und niemand würde mich jetzt noch davon abhalten zu tun, was ich im Sinn hatte. Schniefend fuhr ich die letzten Meter nach oben. Bei der Laterne angekommen stieg ich ab und kettete mein Rad an. Dann ging ich zum höchsten Punkt der Brücke und lehnte mich an das Geländer. Fünf Meter unter mir lagen die Gleise. Sie waren von einer leichten, nasse Schicht überzogen und glänzten im Laternenlicht.

Nun richtete ich mich auf und ließ meine Blicke über Aachen gleiten. Doch nach kurzer Zeit verschwammen meine Blicke und ich starrte in die Ferne. In Gedanken ließ ich mein Erinnerungen revue passieren. Alles zog an meinem inneren Auge vorbei. Ich wollte irgendetwas greifen, einen klaren Gedanken fassen, doch es gelang mir nicht. Ich nahm alles verschwommen wahr und mir wurde schwindlig.
War es wirklich richtig was ich tat?
'Ja Luisa, ist es! Niemand braucht dich. Das merkst du doch. Tu es einfach. Es leiden genau so viele Menschen darunter wenn du gehst, wie sich um dich sorgen!', flößte mir meine innere Stimme ein.

Ich riss mich zusammen so gut ich konnte und richtete meinen Blick nach unten. Verwackelt sah ich die Gleise. Die Umgebung konnte ich nicht mehr erkennen.
Nur die Gleise.
Den Abgrund.
Das Ende.
Ich schluckte, doch es gab kein zurück mehr. Ich hatte mich entschieden. Und wahrscheinlich war es besser so, wer brauchte mich denn.
Ein letztes Mal atmete ich tief durch, dann legte ich meine Hände behutsam auf das Geländer. Vorsichtig und zögerlich schwang ich meinen rechten Fuß darüber. Jede Bewegung brachte mich dem Schluss ein wenig näher.
Ich war hin und her gerissen.
Auf der einen Seite war es dann für immer vorbei, und auf der anderen Seite war es doch eine Erlösung.
Für mich.
Für alle.

Mein Kopf war nun ganz leer.
Und leise.
Ich hörte das leichte Rauschen des Winds, das leise Knistern des Stroms, welches von den Gleisen und Laternen kam, die Motorengeräusche der wenigen Autos, die auf der Hauptstraße vorbeikamen.
Der kalte Wind kitzelte meine Wangen und ein Schauer durchzog mich.
Ich nahm so viel zur gleichen Zeit wahr, und doch war alles um mich herum leise und still.

Erneut hatte ich Minuten in Gedanken verbracht, doch nun war ich bereit. Denn was, wenn ich heute nochmal nach Hause kommen musste. Wenn ich ihn nochmal sehen musste, hören musste, riechen musste, seine Blicke auf mir spüren musste. Wenn ich einen weiteren blauen Fleck kassieren würde. Ich wollte ihn nie wieder sehen. Dieser Mensch sollte aus meinem Leben verschwinden und da er es nicht tat, musste ich den Schritt wagen.

Also nahm ich das zweite Bein auch über das Geländer.
Nun stand ich dort am Abgrund.
Zitternd und unsicher.
Gefangen zwischen zwei Gedanken, die mich hin und her rissen.
Gehen oder bleiben?
Ich wusste es nicht, doch das letzte, was ich wollte, war ihm noch einmal wieder zu begegnen.
Dann musste ich es wohl tun.
Mit gemischten Gefühlen blickte ich nach unten.
Sie schrien nach mir, der Tod wollte mich auf seiner Seite.
Aber wollte ich das auch?
Wollte ich das wirklich?

Die Gegenfrage war, wer wollte es denn nicht?
Chris würde es nie begreifen.
Meine Eltern und Kate bekamen mich nie zu Gesicht, sie würden es verkraften können.
Ich hatte sie sicher eh enttäuscht.
Und was meine Kollegen betraf, ich war nicht eng mit Pia oder anderen befreundet, wir waren Kollegen.
Also wieso nicht.

Nach weiteren verstrichenen Minuten hatte ich abgeschlossen.
Mit mir.
Mit der Situation.
Mit meinem Leben.
Noch immer hallten Zweifel in meinem Kopf, doch ich schob sie beiseite.
Ich atmete durch.
Ein letztes Mal.

Ich schloss meine Augen und war bereit, loszulassen, als mich zwei Hände unter den Armen packte und stützte.
"Stop", flüsterte mir die Person ins Ohr.
"Du bist das nicht wert!"
Ängstlich zuckte ich zusammen.
Ich wusste nicht, was ich nun tun konnte.
Alles, was mich hielt, waren die Arme dieser Person.
Langsam und schüchtern drehte ich meinen Kopf nach hinten und blickte direkt in diese dunkelbraunen, glänzenden Augen.
"Ju?", fragte ich erschrocken.
"Wieso bist ausgerechnet du hier?"
"Kletter wieder zurück", sagte er bestimmt, ohne auf meine Fragen einzugehen.
Zögernd blickte ich ihn an.
Die ganze Überzeugung war weg, meine Kraft schwand und Emotionen überkamen mich.
Ich wollte es doch nicht.
Und irgendwie schon.
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Verzweifelt sah ich zu Ju.
"Lu, komm zu mir rüber. Ich bin da für dich", redete er mit sanfter, tiefer Stimme auf mich ein.
Ich wusste nicht, wer er war und was ich von ihm halten konnte, ob mein Vertrauen später bestraft werden würde, aber das war mir jetzt nicht wichtig.

Schwer schluckend stand ich hier, über dem Abgrund, gehalten von einer Person, die ich nicht wirklich kannte.
"Lu, bitte. Ich tu dir nichts. Du willst das nicht. Komm zu mir", sprach Ju beruhigend und blickte mir tief in die Augen.

Dieses Mal berühren mich seine Worte.
Immer mehr Tränen füllten meine Augen und jede Kraft war aus meinen Körper gewichen.
Zitternd hielt ich mich am Geländer und schwang meine Beine zurück auf die Brücke.
Immer noch von Ju gestützt brach ich in seinen Armen zusammen und hielt nichts mehr zurück.
Von einer auf die andere Sekunde hatte mich jeder Mut verlassen.
Alles fühlte sich schwer an.
Verletztend.
Ich hatte nicht die Kraft, mich von alleine auf den Beinen zu halten, doch Ju übernahm auch das für mich.
Er hatte seine Arme schützend um meinen Körper gelegt.
Seine Wärme gab mir Geborgenheit.
Obwohl er ein Fremder war.
Obwohl er ein Mann war.
Ich hatte keine Gewissheit über sein Vorhaben.
Aber das war mir jetzt egal.

Weinend schlang ich meine Arme um ihn und krallte meine Hände in seine Jacke, um nicht komplett den Halt auf dem Boden zu verlieren.
So standen wir da, auf der schwach beleuchteten Brücke, in der Kälte, Arm in Arm, zwei sich gegenseitig fremde Menschen.




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Leudeee ich brauch ein kleines bisschen Hilfe.
Und zwar muss es ja jetzt weitergehen.
Gehen die beiden getrennt in deren jeweilige Wohnungen und trifft Lu wieder auf Chris?
Bringt Ju sie nach Hause und macht dort Bekanntschaft mit Chris und wie reagiert er dann?
Oder traut Lu einem fremden Mann und folgt ihm in seiner Wohnung und welche Folgen hätte das auf die Story?
Bidde helft mir, wie ich weiterschreiben soll:)
Ansonsten noch eine schöne Zeit💜🙏🏼
LG Malina

But who fights for you? || Julien Bam ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt