Kapitel 9
Isabella
In der stillen Dunkelheit der Nacht werde ich durch das Kreischen von Stahl und Feuer geweckt. Mein Herz beginnt zu rasen, als ich realisiere, dass es Schüsse sind. Mein gesamter Körper zittert. Ich springe panisch aus dem Bett. Rennend gelange ich ins Badezimmer. Dort schließe mich ein. Ich habe keinen Schließmechanismus, der es mir ermöglicht, die Tür zu schließen. Jeder ist in der Lage, hereinzukommen. Verängstigt lehne ich mich an die Wand neben der Tür und versuche, so leise wie möglich zu sein. Die Dunkelheit des Badezimmers scheint in diesem Moment erschreckender als alles andere. Ich versuche, meine Gedanken zu sortieren. Wachen stehen draußen, wie konnten, diese Eindringlinge in die Villa gelangen? Und wer sind diese Menschen, die hier schießen? Sind es Diebe oder schlimmer noch, Mörder? Ich bete darum, dass den anderen nichts passiert ist. Die Gedanken an die Gefahr, in der ich mich befinde, lassen mich erstarren. Die Schüsse verstummen und ich wage es kaum zu atmen, aus Angst, entdeckt zu werden. Aber dann höre ich die Tür zu meinem Zimmer aufgehen und jemand versucht, die Badezimmertür zu öffnen. Ich presse mich fester auf den kalten Fliesenboden. Isabella, ich bin es. Es ist Lennys Stimme, die durch die Tür dringt und so bedrohlich klingt. Vorsichtig hebe ich mich auf die Knie und öffne die Tür. Lenny steht in der Tür, sein Gesichtsausdruck ist ernst und besorgt. Wir haben ein kleines Problem, sagt er und ich kann ein sarkastisches Lachen nicht unterdrücken. Du musst so still wie möglich sein. Ich bleibe bei dir. Seine Worte sind beruhigend, aber die Angst bleibt. Noch bevor ich fragen kann, was los ist, beginnt Lenny zu erklären. Idioten sind hier eingebrochen und schießen herum. Jayden, Rayn und Dean kümmern sich darum. Ich fühle mich ein wenig erleichtert, aber die Angst bleibt. Lenny lehnt sich an die Wand und ich bleibe hinter der Tür sitzen, abwesend und unfähig zu reagieren. Es sind wieder Schüsse zu hören und ich zucke zusammen. Lenny ergreift meine Hand und zieht mich hoch. Er drückt mich gegen die Wand und verdeckt meinen Körper mit seinem. Sein Geruch, so vertraut und beruhigend, steigt mir in die Nase und ich umarme ihn. Hey, es wird alles gut. Ich bin da, dir wird nichts passieren, flüstert er mir zu. Seine Worte sind wie ein Balsam für meine panische Seele. Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten und sie beginnen zu fließen. In diesem Moment, trotz der Angst und der Unsicherheit, fühle ich mich sicher in Lennys Armen. Lenny zieht sich von mir zurück, nur um mich besser betrachten zu können. Für einige Momente sehen wir uns tief in die Augen. Er neigt seinen Kopf und berührt meine Lippen mit seinen. Mein Herz schlägt wild gegen meine Brust, so laut, dass ich es selbst hören kann. Nach einem langen, intensiven Kuss löst er sich von mir. Warum hast du geweint?, fragt er. Ich hatte noch nie jemanden, der sich um mich gekümmert hat, dem ich wichtig war. Hier bin ich mir sicher. Für sie habe ich keine Bedeutung. Aber sie beschützen mich, aus welchen Gründen auch immer. Noch nie hat sich jemand um mich gekümmert. Niemand hat mich beschützt. Niemand hat mir nur mal zugehört. Ich war immer diejenige, die alle beschützen und sich um alles kümmern musste. Keinen hat es interessiert, wie es mir geht. Hier bei euch habe ich das Gefühl ich weiß auch nicht, was ich da fühle. Warum habe ich das nur gesagt? Ich muss wirklich immer erst denken und dann reden. Er streicht mit seinem Daumen über mein Gesicht. Seine braun-grünen Augen verdunkeln sich. Er schaut mit einem fast bösen Blick auf mich herab. Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen. Aber er kommt nicht dazu. Die Tür wird plötzlich aufgerissen. Er dreht sich schnell um und schützt meinen Körper mit seinem breiten Rücken. Ich kann nichts erkennen, nur dass er seine Waffe aus dem Hosenbund zieht. Schüsse fallen und reflexartig halte ich mir die Ohren zu. Schnell dreht er sich wieder zu mir um, sein Körper ist voller Blut. Besorgt frage ich ihn: Ist alles in Ordnung bei dir? Ja, antwortet er, doch sein Zustand sagt etwas anderes. Ich schaue auf den Boden und sehe einen Mann liegen, der Teppich saugt sich voll mit Blut. Oh mein Gott. Ist er tot? frage ich, während meine Atmung schnell und unkontrolliert wird. Lenny greift mein Gesicht und dreht es zu sich. Nicht nach unten sehen, sagt er und ich nicke nur. Ich möchte ihn umarmen, doch als ich meine Arme um ihn legen will, zischt er auf. Erschrocken ziehe ich meine Arme zurück und sehe, dass meine Hände mit seinem Blut beschmiert sind. Wurdest du angeschossen?, frage ich ihn. Alles gut, nur ein Kratzer, versucht er zu beruhigen. Ich greife nach dem Bund seines Hoodies und ziehe es ihm über den Kopf, dann sein Shirt. Ich betrachte die Wunde. Ich verstehe nicht viel davon, aber das sieht so aus, als müsste es genäht werden. Der Schuss hat ihn nur an der Seite gestreift, aber es sieht trotzdem schlimm aus. Ich hatte nie gedacht, dass es so weit kommen würde, dass ich jemals in einer Blut-bespritzten Badewanne sitzen und die Wunde eines Mannes verarzten würde. Ein Mann, der nichts sagte, während ich seine blutige Wunde säuberte und ihn verarztete. Er sah mir nur zu. Er beobachtete jede meiner Bewegungen. Ich konnte sehen, dass er mehr sah, als ich wollte. Er sah mehr, als ich wollte, dass er sah. Sein Blick machte mich nervös und ich konnte nicht anders, als mich zu fragen, was er dachte. Es war, als ob der Raum stillstand, als die Stimmen der Jungs zu uns durchdrangen. Wir haben sie alle erledigt, es waren die von den Morans. Ihr Eintritt ins Badezimmer brachte uns zurück in die Realität. Lenny, der bis dahin nur mich angesehen hatte, wandte seinen Blick ab. Habt ihr Verbandszeug?, fragte ich, in der Hoffnung, die Situation zu entschärfen. Dean antwortete, dass er welches holen würde und ich fragte, ob die Wunde genäht werden müsste. Ich wusste nichts von Erster Hilfe, aber ich wollte helfen, so gut ich konnte. Als Dean mit dem Verband zurückkam, begann ich, die Wunde zu verarzten, so gut ich konnte. Lenny sagte nur ein einfaches Danke. Dann kündigte einer der Jungs an, dass er Dr. Smith anrufen würde. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie unnötig meine Bemühungen gewesen waren. Sie hatten Zugang zu einem Arzt und ich hatte nur in der Hoffnung gehandelt, helfen zu können. Jayden fragte Lenny dann sarkastisch, ob ihm meine Art der Verarztung nicht gefallen habe. Ich hätte am liebsten im Boden versinken können. Ein trauriges Lächeln huschte über mein Gesicht und ich verließ das Badezimmer. Ich hörte sie lachen, als ich ging. Ich konnte nicht anders, als zu glauben. Sie lachten über mich. Ich fand einen abgelegenen Platz im Haus, um mich zu beruhigen. Ich verschloss mich in der Toilette, zog die Knie an meinen Körper und legte meinen Kopf darauf. Warum hatten sie gelacht? Hatte ich etwas falsch gemacht? Das Gefühl der Schande und der Peinlichkeit belastete mein Herz. Gleichzeitig entstand ein seltsamer Schmerz in meinem Hals. Die Zeit verstrich. Schließlich entschied ich mich, die Toilette wieder zu verlassen. Meine Augen waren geschwollen und rot vom Weinen. Aber ich würde weitermachen. Ich musste. Ich schaute in die Augen der Männer, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Sie trugen die Leichen raus, ihre Gesichter ausdruckslos und kalt, während andere den Boden wischten. Einer der Männer, mit schroffen Zügen und kalten Augen, richtete seine Aufmerksamkeit auf mich. Wer bist du? Was machst du hier in diesem Haus?, verlangte er zu wissen. Ich konnte nur stammeln: Ich Ich arbeite hier. Er zog eine Augenbraue hoch, unbeeindruckt. Ja, dann mach dich nützlich und räume hier alles auf. Meine Augen weiteten sich in Entsetzen. Ich konnte nicht glauben, dass ich dazu aufgefordert wurde, dabei zu helfen. Bevor ich reagieren konnte, packte mich jemand an den Schultern. Es war Jayden. Sein Blick war hart, als er mich warnte: Mach, dass du das hier sauber bekommst, oder ich werde ungemütlich. Sagte der Lenny. Ich war unsicher, ob er mich meinte. Fassungslos starrte ich ihn an. Ja, sage ich doch, dass du es machen sollst und du stehst blöd da und glotzt mich an, sagte der andere Mann. Ehe ich mich wehren konnte, packte er mich am Arm. Er wollte mich mit sich ziehen. Doch Jayden schlug ihm ins Gesicht. Es war ein harter Schlag, der ihn zur Seite stolpern ließ. Ich meinte dich, Mike, nicht sie, zischte Jayden. Mikes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse des Zorns. Wegen der Schlampe schlägst du mich? Sie kann natürlich wohl auch mit anpacken, hier ist bestimmt nicht wenig. Jayden drohte ihm: Noch ein falsches Wort und du fängst dir noch eine. Mike drehte sich wortlos um und machte weiter, wo er aufgehört hatte. Jayden wandte sich mir zu. Isabella, geh in dein Zimmer und bleibe dort, bis wir dich holen. Ich nickte, immer noch schockiert, und machte mich auf den Weg nach oben. Als ich die Treppe hinaufstieg, sah ich einen Mann mit einem Koffer die Treppe hinaufgehen. Es war Dr. Smith, von dem Lenny gesprochen hatte. Ich folgte ihm und sah, wie er in Lennys Zimmer ging. Die Tür hatte er offen gelassen, also stand ich im Türrahmen und lauschte. Lenny hatte sein Shirt ausgezogen und Dr. Smith lobte die Verbandsarbeit. So wie ich es sehe, wurden Sie schon verarztet. Und das sieht einwandfrei aus, ich hätte das nicht besser hinbekommen mit dem Verbinden. Ich fühlte einen Anflug von Stolz, da ich es war, die Lenny verarztet hatte. Doch bevor ich mich zurückziehen konnte, wurde ich entdeckt. Was machst du hier?, fragte Dean. Ich wurde rot und murmelte: Nichts. Dean schob mich ins Zimmer und erklärte: Es war Isabella, die ihn verarztet hat. Dr. Smith nickte anerkennend. Das haben Sie hervorragend gemacht. Sind Sie auch die nächsten Tage hier? Ich nickte, doch mein Herz schlug unruhig. Was würde die Zukunft wohl für mich bereithalten? Also, wenn es Ihnen recht ist, können Sie mir etwas Arbeit abnehmen. Schauen Sie bitte, dass er die Tabletten immer nimmt und wechseln Sie ihm einmal am Tag den Verband. Ich werde Ihnen aufschreiben, wie und wann er welche Tabletten nehmen muss. Ich nickte. Ja, das mache ich gern, wenn Lenny damit einverstanden ist, erwiderte ich. Alle Augen schwangen zu Lenny herum, abwartend, was er dazu sagen würde. Na dann, lass sie es machen. Von mir aus. Ich fühlte mich wie ein Schlag in die Magengrube. Es fühlte sich so falsch an, wie der Kerl mich behandelte – als wäre ich nur eine Last. Aber sie ließen mich nicht gehen und ich konnte auch nicht von allein weggehen. Und dann wären sie wieder bei Lisa. Na, dann ist das ja geklärt. So machen wir es, verkündete Dean. Er wies mich an, in mein Zimmer zu gehen. Das war genauso, wie Jayden es mir gesagt hatte. Ich duschte, während ich wartete, und kam nur mit einem Duschhandtuch um die Hüften gewickelt aus dem Badezimmer. Rayn saß auf meinem Bett, umgeben von einer Unzahl von Tüten. Wir waren für dich einkaufen. Du hast doch nichts außer die Sachen von Dean, daher dachten wir, du könntest etwas Neues gebrauchen. Danke, murmelte ich, ein wenig verwirrt darüber, dass Rayn in meinem Zimmer war. Er tat das sonst nicht. Mit zögerlichen Fingern holte ich die Kleidungsstücke aus den Tüten, Kleider, Röcke, Hosen, Shirts, sogar Unterwäsche. Wer hat das alles ausgesucht?, fragte ich. Rayn zuckte die Schultern. Gefällt es dir nicht? Doch, doch, es ist alles wunderschön. Hast du das ausgesucht? Wir waren alle zusammen einkaufen für dich. Jeder hat etwas ausgesucht, was ihm gefällt. Die Größen müssten passen. Ich nahm ein paar Sachen und ging zurück ins Bad, um mich anzuziehen. Ein kurzes Shirt und eine Shorts. Wann habt ihr es gekauft?, wollte ich wissen. Gestern. Wo du hier beschäftigst, warst, waren alle außer Haus. Wir haben es dir nicht gesagt. Meine Haare hingen noch nass und ungekämmt auf meinen Schultern. Ich merkte, dass ich dringend eine Bürste benötigte. Ein paar Haargummis würden auch nicht schaden. Rayn, habt ihr zufällig eine Bürste und Haargummis da? Nein, aber wir können dir später welche kaufen. Und wie kämmt ihr euch? Kannst du mir deinen Kamm leihen? Ich habe nur einen Kamm, mit dem sitzt du Stunden, bis du deine Haare durch hast. Ich seufzte. Okay, dann eben nicht. Ich warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass ich keine Zeit hatte. Wie spät ist es? Rayn schaute auf seine teure Armbanduhr. Fast elf Uhr. Ich muss runter, was kochen Wir haben schon gekocht. Du musst heute nichts machen. Erleichterung durchflutete mich. Es war schön, mal nichts machen zu müssen. Als ich die Treppe hinunterging, war die Küche still und leer. Auf dem Tisch lag der Medikamentenplan, den Dr. Smith zurückgelassen hatte. Es war eine simple Liste. Sie zeigte den Namen des Medikaments und die Dosierung. Die Liste zeigte auch die Tage an, an denen das Medikament einzunehmen war. Ich nahm den Plan in die Hand und las ihn gründlich durch. Lenny musste die Tabletten nehmen, sonst würde sich die Wunde entzünden. Es war noch zu früh für die Antibiotika, aber wenn er Schmerzen hatte, durfte er eine Schmerztablette nehmen. Ich ging zur Küchentür und sah hinaus in den Garten. Dort war Lenny. Er lag auf einer der Liegestühle am Pool, seine Augen waren geschlossen und er schien zu schlafen. Es sah so friedlich aus, dass ich mich nicht traute, ihn zu wecken. Doch die Sorge um seine Gesundheit ließ mir keine Wahl. Lenny, geht es dir gut?, fragte ich leise. Er öffnete die Augen und sah mich an. Für einen Moment war es still, dann fragte ich: Hast du Schmerzen? Jayden, der auf der gegenüberliegenden Liege lag, stammelte: Machst du dir etwa Sorgen? Ich verdrehte die Augen. Schon in der Früh hatte er sich im Bad über mich lustig gemacht. Ich wollte nur helfen, aber sie machten sich nur über mich lustig. Wisst ihr was, ihr könnt mich mal. Ihr Idioten, rief ich wütend und drehte mich um, um zu gehen. Das Angebot nehmen wir gern an!, rief Jayden mir hinterher und sie lachten wieder. Wütend und frustriert kreischte ich laut auf und rannte zurück ins Haus. Rayn saß auf dem Sofa und sah mich besorgt an. Was ist passiert bei euch am Pool?, fragte er. Ich antwortete nur: Nichts, alles gut. Er sah mich skeptisch an. Aber ich wollte nicht weiter darauf eingehen. Beim Essen versuchte ich, Lenny und Jayden zu ignorieren.Wisst ihr, weshalb das heute passiert ist?, fragte ich leise. Hast du vergessen, wer wir sind? Bist du so dumm oder stellst du dich nur so an? spottete Lenny. Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Sie hallten noch lange in meinen Gedanken nach. Das war eine schmerzhafte Erinnerung an die Nacht, in der sie bei uns aufgekreuzt waren. Wieso behandelt er mich so? Was habe ich getan, um solch eine Behandlung zu verdienen? Meine Unsicherheit saß tief, stach wie ein Dolch in mein Selbstwertgefühl, in meine Würde. Ich blieb stumm, die Worte fest in meiner Kehle, die Gedanken wirbelten in meinem Kopf. Alles, was ich tun konnte, war schweigen, meine Gefühle hinter einer Maske der Gleichgültigkeit verbergen. Hey, hör auf sie so zu behandeln, sie will ja nur wissen. Woher soll sie denn das wissen, sie hatte damit noch nie zu tun. Du darfst sie nicht verurteilen, ereiferte Dean sich trotzig. Seine Worte waren wie eine Fackel in der Dunkelheit. Sie waren ein Funken Hoffnung in meiner sonst so hoffnungslosen Welt. Es war eine Erleichterung zu wissen, dass wenigstens einer mich hier verteidigte. Danke, murmelte ich. Es war eine stille Anerkennung seiner Unterstützung. Ich nahm meinen Teller und das Besteck und spülte es ab. Dann eilte ich in mein Zimmer. Ich wollte weg von den Blicken und weg von der Unruhe. Der Raum schien zu vibrieren, ein Spiegelbild der Unruhe, die in mir tobte. Doch, sobald ich meine Zimmertür schloss, fühlte ich die Stille, die nur die Einsamkeit bietet, über mich hin wegrollen. Es war eine trügerische Ruhe, die Vorbotin eines Sturms, der unweigerlich kommen würde. Doch für den Moment war es genug. Für den Moment war ich frei.