VIII. Ausbruch

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Durch einen Ruck wurde ich langsam wieder wach. Ich spürte, wie ich weder meine Hände noch meine Füße bewegen konnte. Ich war gefesselt an irgendwas. Als ich mein Bewusstsein mehr und mehr wiederbekam, merkte ich, dass ich an eine Seite eines Schiffs gefesselt war und Eugenes, mit der Krone in der Hand, ans Steuer.

Wachleute stürmten aufs Schiff und befreiten zuerst meinen Bruder, um ihn abzuführen. Ich hörte ihn nach Rapunzel rufen, erst dann erinnerte ich mich an alles.

Einer der Wachleute kam zu mir und befreite mich schnell, bevor er fragte, ob es mir gut ging und wie das passiert war. Ich erklärte ihm die Situation mit den Zwillingen, aber er schien mir nicht zu glauben. Er sagte nur, dass ich nach Hause gehen und mich für ein paar Tage ausruhen sollte. Falls mir noch irgendetwas einfällt, könnte ich gerne mit der Garde in Kontakt treten.

Was ein Idiot.

Trotzdem ging ich so lange, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte. Ich wusste, wo sie meinen Bruder hinbrachten. Das war logisch. Ins Gefängnis, damit er schnellstmöglich dem Galgen vorgestellt werden konnte. Wahrscheinlich schon morgen. Die sind dabei meist ziemlich fix.

Maximus lief mir plötzlich über den Weg. In der Zwischenzeit war ich wieder komplett klar. Er sprang aufgeregt vor mir her, doch ich wusste nicht, was er mir damit sagen wollte. Als er das bemerkte, atmete er genervt aus, bevor er in die Richtung zeigte, in die die Wachen Flynn gebracht haben. "Das Gefängnis?" Er nickte, bevor er auf mich und dann auf das Gefängnis zeigte. "Ich soll ins Gefängnis gehen?" Noch ein Nicken. "Und Eugene rausholen?" Ein weiteres Nicken. "Solltest du das nicht verhindern?" Er rollte nur mit den Augen.

"Wie genau soll ich das anstellen, Maximus? Die Wachen verhaften mich gleich mit." Er schüttelte mit dem Kopf, bevor er auf sich selbst und dann Richtung Wald deutete. Lasst die Rate-Stunde beginnen. "Dass du in den Wald gehst, hilft mir nicht." Enttäuscht schüttelte er den Kopf. Er stellte sich auf die Hinterbeine und fuchtelte mit seinen Vorderhufen herum, als würde er auf Tasten drücken. Warte mal ...

"Du willst die Säufer aus dem Quietscheentchen holen?" Ein mehrfaches Nicken bekam ich von dem Pferd, als er sich wieder auf alle vier gestellt hatte.

"Also willst du, dass ich Eugene raushole und du währenddessen die Säufer als Unterstützung holst?" Er nickte nochmal. In der Ferne sah ich, wie die Sonne aufging. "Auf dass ich nicht verhaftet werde."

Maximus schubste mich in die richtige Richtung, bevor er davonjagte. Wie genau komme ich jetzt zu den Zellen?

Ich wusste, wo sie sind. Ich musste einmal bei der Säuberung der Zellen aushelfen, da ich strenggenommen eine der Angestellten am Hof war und alle damals mithelfen mussten nach einem, na ja, man kann es schon Massaker nennen. Es war zumindest eine ziemlich blutige Angelegenheit.

Allerdings wusste ich, dass es einen Eingang für Personal gibt. Es war damals schon eine ziemlich unsichere Sache, da theoretisch jeder durch diesen Eingang ins Schloss kam, aber da er versteckt war, hatte die Garde bis jetzt noch nichts dagegen unternommen.

Glück für mich. Ich schlüpfte ungesehen durch die kleine Tür und kam in dem Gang heraus, der am Ende zu den Zellen führte. Es schienen fast keine Wachen im Schloss herumzulaufen, was mir komisch vorkam, bis ich an einem Fenster zum Innenhof vorbeilief. Ich konnte bestimmt 20 Wachen erkennen, die gerade daran arbeiteten, den Galgen aufzustellen. Jetzt war Schnelligkeit gefragt.

Ich ging bis zum Ende des Ganges und schloss mit dem Schlüssel, der etwas weiter weg an der Wand hing, die Tür zum Kerker auf. Danach musste ich nur noch meinen Bruder finden.

Ich lief an den Zellen vorbei und bekam mehrere fragende Blicke von den Gefangenen. Ein paar bettelten sogar, dass ich sie herauslasse. Klar. Wer es glaubt, wird selig.

Als ich plötzlich die eingebuchteten Zwillinge sah, kochte eine Wut in mir hoch, die ich gar nicht von mir kannte. Ich griff durch die Gitterstangen den Ersten am Kragen und zog ihn mit Schwung zu mir. "Wo ist Rapunzel?" Er schien überrascht von meiner Stärke, nachdem er mich so einfach ausgeknockt hatte und antwortete erstaunlicherweise gleich. "Wir wissen es nicht. Da war dieser alte Mann." Alter Mann? Sein Vater? Er hat ihn wieder mitgenommen? Das kann nichts Gutes heißen. Ich muss ihn finden, aber nur Eugene weiß, wo er ist.

Schnell ließ ich den Zwilling los, mit etwas mehr Wucht, als ich vorhatte, bevor ich mich weiter auf die Suche nach Eugene machte.

Da die Zellenwärter wohl recht einfältig waren, hingen auch hier die Schlüssel an der Wand am weitesten von den Zellen entfernt. Ich nahm mir den Schlüsselbund und ging weiter. Auf jeden Schlüssel war eine Nummer eingestanzt, die Nummer der Zelle um genau zu sein. Ich musste also nur Eugene finden.

Er war im Endeffekt in der allerletzten Zelle untergebracht. Eugene schien sich zuerst zu freuen, mich zu sehen, bevor er ein besorgtes Gesicht aufsetzte. "Was tust du hier?" "Dich vor dem Galgen retten. Komm schnell. Die Wachen könnten jeden Moment wiederkommen." Seine Zelle war schnell geöffnet, und ich hing den Schlüssel wieder zurück, während wir unseren Weg zurück bahnten. Doch wir kamen gar nicht bis zum Kerkereingang, als uns schon die Wachen entgegenkamen.

Eugene reagierte schnell, nahm mich am Arm und zog mich auf einen anderen Weg. Doch auch von da kamen uns Wachen entgegen. Als ich dann aber ein kleines Einhorn auf einer Schwelle stehen sah, atmete ich innerlich durch. Maximus hatte es geschafft. Einer der Säufer sammelte gerne Einhörner. Im nächsten Moment wurden die Wachen vor uns weggestoßen und wir rannten weiter. Die Banditen hielten uns die Wachen so lange vom Leib, bis wir im Innenhof ankamen.

Gefühlt kam die ganze Kavallerie uns im Innenhof entgegen. Unser Captain Hook nahm Eugene und mich, bevor er uns absetzte und irgendwas von "In die Hocke und Knie auseinander" sagte. Bevor wir hinterfragen konnten, wurden wir auch schon in die Luft geschleudert und saßen wenig später auf Maximus Rücken. Da ich vorne saß, umarmte ich schnell Maximus' Hals als Dankeschön, bevor wir losritten. Er sprang vom Dach herunter in die Stadt und auf die Brücke. "Eugene, wir müssen zu Rapunzel. Wo ist der Turm?" Schnell gab er Maximus die Richtung an und wir ritten im gleichen verdammt schnellen Tempo weiter.

Es war nicht mal eine viertel Stunde, und wir standen schon vor dem Turm. Ich sprang schnell herunter und Eugene tat das Gleiche, doch als er landete, hörte ich nur ein schmerzerfülltes Zischen von ihm. Als ich mich herumdrehte, winkte er mich weiter, bevor er laut rief: "Rapunzel, lass dein Haar herunter." Ich denke, er hat sich den Fuß verstaucht. Aufstehen konnte er zumindest nicht mehr. Während ich noch zu Maximus sagte, dass er auf meinen Bruder aufpassen sollte, fiel die ganze Haarpracht von Rapunzel wie ein Seil zum Hochklettern herunter. Eugene nickte mir zu, bevor ich mich an Rapunzels Haare hing, nach oben kletterte und hoffte, dass ihm das nicht weh tat.

Doch oben angekommen, war das gerade meine letzte Sorge. Rapunzel war angekettet an eine Säule und sein Mund zugebunden. Er versuchte irgendwas zu sagen, während er mich panisch ansah, doch ich konnte es erst entziffern, als ich schon einen stechenden Schmerz in meinem Rücken spürte.

"Pass auf", hatte er versucht, zu sagen.


Wahre Träume (m. Rapunzel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt