Kapitel 9

99 10 0
                                    

Warmes Sonnenlicht kitzelt meine Nase. Ich fühle den weichen Stoff meiner Bettwäsche, ehe ich mich ausgiebig strecke und dann aufstehe. Verschlafen tapse ich durch meine Wohnung ins Badezimmer. Dort gehe ich aufs Klo und wasche mir die Hände, als ich Geräusche aus der Küche höre. ,,Hallo?", rufe ich verwirrt und gehe langsam in Richtung Küche. Als ich dort ankomme sehe ich Mila. ,,Hey Mexi. Wie hast du geschlafen?", fragt sie mit einem breiten Grinsen. ,,Soweit ganz gut. Aber Mila was machst du hier?", erwidere ich und schaue sie fragend an. ,,Ich backe Kekse.", sagt sie, während sie eine große Metallschüssel aus dem Schrank nimmt. ,,Das sehe ich. Gut lass es mich umformulieren: Seit wann bist hier?", frage ich während ich mich auf einen der Barhocker an meiner Küchentheke setze. ,,Ich bin schon die ganze Zeit hier Dummerchen.", antwortet Sie und schlägt drei Eier gleichzeitig in die Schüssel. *Biep Biep Biep* höre ich es in meinem Ohr piepen. ,,Hast du das gehört?", frage ich Mila und schaue mich ein wenig um, um die Herkunft des Geräuschs ausfindig zu machen. ,,Nein was meinst du?", fragt Mila. ,,Dieses Piepen.", antworte ich. Sie zuckt mit den Schultern und widmet sich wieder ihrem Keks teig. *Biep Biep Biep* ertönt es erneut. ,,Da ist es schon wieder. Was ist das?", frage ich etwas genervt, weil es wirklich langsam nervt. ,,Ich höre nichts.", sagt Mila. ,,Aber willst du mir nicht langsam mal helfen?", fragt sie und schaut mich fordernd an. ,,Jap. Entschuldige bitte.", sage ich und stehe auf. Ich schnappe mir das Nudelholz und rolle den Teig aus. Mila kramt irgendwelche Ausstechförmchen raus. Als ich das Nudelholz weglege, erschrecke ich kurz. Es fühlt sich an als hätte jemand kurz meine Hand genommen, aber da ist niemand. ,,Was ist?", fragt Mila und schaut verwirrt. ,,Ich hätte schwören können, das gerade jemand meine Hand genommen hat.", erkläre ich. ,,Bist du sicher das es dir gut geht Mexi?", fragt Mila etwas besorgt. ,,JA.", antworte ich. Mila beginnt damit die Kekse auszustechen. Ich lege sie aufs Backblech. Als alles ausgestochen ist, schieben wir das Blech in den Ofen und Mila stellt einen Timer für eine Halbe Stunde. Nach fünf Minuten klingelt ihr Handy und sie nimmt die Kekse aus dem Ofen. Zu meiner Überraschung sind sie perfekt Gold Braun durchgebacken. ,,Aber sie waren doch nur fünf Minuten drinnen?", frage ich irritiert. ,,Du Dummerchen. Das ist unmöglich.", antworte Mila und macht den Ofen zu. *Biep Biep Biep* höre ich es wieder. ,,Was ist das?", frage ich angepisst. Mila nimmt meine Hände, schaut mir direkt in die Augen und sagt:,,Mexi... du hättest schon längst aus diesem Zug aussteigen müssen." ,,Was für ein Zug?", frage ich und bin nun komplett verwirrt. ,,All das hier ist eine Zugfahrt Mexi.", erklärt Mila mir. ,,Aber es ist so schön hier. Alles ist perfekt.", protestiere ich. ,,Hier streite ich mit niemandem und mir geht's so gut. Ich bin glücklicher denn je." ,,Je länger du mit diesem Zug fährst, umso länger wird der Rückweg.", sagt Mila ernst. ,,Wohin soll ich überhaupt zurück? Rezo und ich haben so gestritten, dass er mich sicher nicht wieder zu sich lässt.", sage ich und Mila lässt mich los. ,,Bist du dir da sicher?", fragt sie und zeigt rüber ins Wohnzimmer. Und dort sitzt er. Rezo. Auf einem Stuhl mitten im Raum und starrt auf den Boden. ,,Aber wie...?", frage ich ehe ich auf ihn zu Stürme. ,,Rezo.", sage ich. Keine Reaktion. Nicht mal ein blinzeln. ,,Rezo!", sage ich jetzt mit mehr Nachdruck, während ich vor ihn Knie und perfekt in seinem Blickfeld bin. Sofort laufen mir Tränen über die Wangen und ich weine. ,,SITZ NICHT NUR SO STARR MICH AN! BITTE SAG IRGENDWAS!", schreie ich und weine noch mehr. ,,Er hört dich nicht Mexi. Er ist nicht in diesem Zug.", sagt Mila ruhig und legt ihre Hand auf meine Schulter. ,,Und warum bist du hier?", frage ich und wische mir die Tränen aus dem Gesicht. ,,Irgendjemand muss dich zurückholen.", sagt Mila. ,,Aber du musst langsam aussteigen. Sonst kommst du nicht zurück.", ergänzt sie und schaut sehr ernst. Jetzt verstehe ich es. Alles setzt sich in meinem Kopf zusammen wie ein Puzzle. ,,Hier geht's gar nicht um Züge oder?", frage ich direkt. ,,Nein.", antwortet Mila knapp und schaut besorgt. Ich will gerade etwas sagen, als ich Rezo auf dem Sofa sehe. Er hat eine Gitarre in der Hand und beginnt zu spielen. Schon nach den Ersten drei Tönen weiß ich welches Lied es ist. The 30th von Billie Eilish.

Sometimes, you look the same
Just like you did before the accident
When you're staring into space
It's hard to believe you don't remember it
Woke up in the ambulance
You pieced it all together on the drive
I know you don't remember calling me
But I told you, even then you looked so pretty
In a hospital bed
I remember you said you were scared
And so was I

,,Mila was hat das zu bedeuten?", frage ich und schaue sie an. ,,Hör ihm weiter zu. Vielleicht verstehst du es dann.", antwortet sie und ich setze mich aufs Sofa.

In a stand-still on The Five, thought it was unusually early traffic
Usually, I don't panic, I just wanted to be on time
When I saw the ambulances on the shoulder, I didn't even think of pulling over
I pieced it all together late that night

And I know you don't remember calling me
But I told you, even then you looked so pretty
In a hospital bed
I remember you said you were scared
And so was I

,,Mila was ist hier los?", frage ich und will endlich antworten haben. Rezo holt einmal tief Luft. Ich weiß sofort welcher Part jetzt kommt.

What if it happened to you on a different day?
On a bridge, where there wasn't a rail in the way?
Or a neighborhood street where the little kids play?
Or the Angeles Crest in the snow or the rain?
What if you weren't alone? There were kids in the car
What if you were remote? No one knows where you are
If you changed anything, would you not have survived?
You're alive, you're alive, you're alive

,,Ich glaube ich verstehe es.", sage ich. ,,Das ist gut.", sagt Mila. Rezo singt den letzten Part mit Tränen in den Augen. Auch mir steigen Tränen in die Augen und ich bekomme eine Gänsehaut.

And I know you don't remember calling me
But I told you, even then you looked so pretty
In your hospital bed
I remember you said you were scared

And so am I

Dann verschwindet er einfach. Er löst sich in Luft auf. ,,Wo ist er hin?", frage ich und wische mir erneut Tränen aus dem Gesicht. ,,Er wartet auf dich Mexi. Du musst zurück.", sagt Mila und setzt sich auch neben mich. ,,Aber was wenn... wenn ich die Kraft dazu nicht habe. ,,Die hast du.", versichert Mila mir. ,,Aber was wenn nicht?", frage ich erneut. Es ist nicht Mila die antwortet. Es ist Gnu. Sie sitzt auf einem Stuhl, da wo zuvor Rezo saß und weint:,,Ich hätte ihn an dem Abend nicht gehen lassen dürfen. Es ist alles meine Schuld." ,,Nein ist es nicht. Gnu du hast keine Schuld.", sage ich. Aber auch sie kann mich nicht hören. ,,Wie komme ich zurück Mila?", frage ich aufgelöst. ,,Hab den Willen dazu!", antwortet sie. Dieser Satz hallt in meinem Kopf wider. Immer und immer wieder höre ich Mila sagen:,,Hab den Willen dazu! Hab den Willen dazu!" Ihre Stimme entfernt sich immer weiter und alles um mich herum wird in Dunkelheit getaucht, bis sich meine Augen schließen.

my futureWo Geschichten leben. Entdecke jetzt