Zwanzig

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** Cassie **

Ich komme nicht mal wirklich ins Wohnzimmer bevor mein Bruder Paul vom Sofa aufspringt, um mich über mein Date mit Lina auszufragen. Interessant, dass er sich plötzlich so sehr für mein Liebesleben interessiert. Vielleicht liegt es daran, dass er keins hat.

„Und wie war es?", will er neugierig wissen.

Gerade als ich den Mund aufmachen will, um zu antworten, mischt sich auch noch Tommy ein. Er pausiert sein Spiel, dass er gerade an der Xbox spielt und grinst mich frech an.

„Naja dem roten Lippenstift auf Cassie's Lippen nach zu urteilen, scheint es nicht gerade schlecht gelaufen zu sein", meint er und lacht.

„Ach haltet die Klappe ihr Volltrottel", erwidere ich und spüre, wie meine Wangen heiß werden.

Linas roter Lippenstift muss auf meine Lippen abgefärbt haben. Daran habe ich gar nicht gedacht. Mit dem Zeigefinger fahre ich mir einen Moment lang über meine Unterlippe und muss dann lächeln. Das alles war fast zu schön um wahr zu sein, aber es ist wirklich passiert.

„Igitt Cassie, hör auf so blöd verliebt zu glotzen", ärgert Tommy mich weiter und spielt dabei vor, als müsste er sich gleich übergeben.

„Du bist doch bloß neidisch", sage ich und will gehen und meine beiden Brüder im Wohnzimmer zurück lassen. Nur komme ich nicht dazu, weil ich weiter mit Fragen gelöchert werde.

„Kennen wir deine neue eigentlich?", will Paul wissen.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und überlege, was ich sagen soll. Es bringt nichts zu lügen, aber ich werde ihnen garantiert nicht sagen, wer es ist.

„Ja, denke schon", antworte ich und tue gleichgültig.

„Ohhh jetzt wird es spannend", mischt Tommy sich nun doch wieder ein. „Wie heißt sie denn?"

„Ach ich dachte es würde dich gar nicht interessieren", erinnere ich meinen kleinsten Bruder, um ihn zu ärgern.

Tommy zuckt mit den Schultern. „Vielleicht."

„Jetzt komm schon, Cassie. Wie heißt sie denn?", sagt Paul.

Wieso müssen Geschwister eigentlich immer so verdammt neugierig sein? Immer wollen sie alles wissen. Naja ich bin was das betrifft genauso, wie meine Brüder. Vielleicht liegt es in der Familie.

„Lina", antworte ich.

Es gibt sicher so einige Mädchen und Frauen, die Lina heißen und meine Brüder werden sicher nie auf die Idee kommen, dass es Lina Roth ist. Lina ist für Paul und mich unsere ehemalige Chemielehrerin und Tommy hat Mathe bei ihr. Die zwei wissen aber wahrscheinlich nicht einmal, wie ihre Lehrerin mit Vornamen heißt. Selbst wenn, würden sie sich nicht vorstellen können, dass ich etwas mit Frau Roth am laufen haben könnte. Falls das mit Lina dieses Mal etwas ernstes wird, was ich mir echt wünsche, werden sie es schon noch erfahren. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie darauf reagieren würden. Vielleicht würden sie es einfach für einen Witz halten und sich über mich lustig machen. Naja es muss erstmal klappen mit Lina. Bevor ich nicht sicher bin, ob es das wird, werde ich niemand genauere Infos liefern.

„Ja und weiter?", fragt Tommy und sieht mich auffordernd an.

Er scheint noch nicht zufrieden mit meiner Antwort zu sein, aber mehr kriegt ihr nicht. Das ist schon mehr, als ich anfangs erzählen wollte.

„Das werde ich euch vielleicht irgendwann sagen", meine ich und lasse die beiden im Wohnzimmer stehen, um nach oben in mein Zimmer zu gehen.

Grinsend steige ich die Treppen nach oben in mein Zimmer. Ich würde so gerne jemand von Lina erzählen. Das wollte ich damals schon immer, doch da war es unmöglich. Jetzt ist es das nicht mehr. Ich könnte es jemand erzählen, aber ich wüsste nicht wem. Da ich so oft meine Studienfächer gewechselt habe, habe ich an der Uni keine Freunde gefunden. Nur hier und da ein paar bekannte, aber niemand dem ich meine Gefühle anvertrauen würde. Das ist irgendwie echt traurig.

Seufzend bleibe ich vor meinem Spiegel stehen und betrachte den leichten roten Schimmer auf meinen Lippen. Ich beiße mir auf die Unterlippe und bin kurz davor Lina eine Nachricht zu schreiben, wie schön unser Date war. Da ich aber nicht aufdringlich sein möchte, lasse ich es dann doch. Ich werde warten bis sie sich meldet. Schließlich hat sie vorgeschlagen, dass wir nächstes Wochenende essen gehen sollten. Verdammt nächstes Wochenende ist noch so weit weg. Wenn ich könnte würde ich Lina morgen schon gerne Wiedersehen.

Wenn ich zugeben muss, hat es mich ein bisschen gestört, dass Lina so viel nach  meinem Studium gefragt  hat. Sicher hat sie das nicht gemacht, um mich zu nerven, sie war nur neugierig und das kann ich verstehen. Ich bin aber ein wenig genervt von mir selbst, weil ich Lina nicht die ganze Wahrheit gesagt habe. Es kommt mir im Nachhinein dumm vor, dass ich ihr nur ganz wenig darüber erzählt habe. Ich habe sie nicht angelogen, aber ich habe ihr eben nicht alles erzählt. Aus Angst heraus, sie würde dann schlecht von mir denken. Für sie bin ich doch bestimmt immer noch die total intelligente Schülerin aus später etwas großes werden wird. Ich wollte einfach nicht, dass sie weiß wie sehr ich versagt habe. Wie sehr ich alle enttäuscht habe, die daran geglaubt haben, dass ich es im Leben weit bringen werde. Lina soll das nicht auch noch von mir denken. Sie hält mich doch ohnehin schon für einen schlechten Menschen, weil ich sie damals abserviert habe und dann das restliche Schuljahr so getan habe, als würde sie nicht existieren. Ja das war fies und gemein von mir, aber was hätte ich denn tun sollen. Früher oder später wäre die ganze Sache heraus gekommen und das hätte Linas Leben kaputt gemacht.

Wahrscheinlich hat sie mir so viele Fragen gestellt, damit sie nichts von sich erzählen muss. Laut dem was ich bisher so gehört habe, läuft es bei ihr nicht gerade rund. Außerdem hat sie es fertig gebracht die ganze Flasche Wein innerhalb von drei Stunden alleine leer zu trinken und man hat ihr nichts davon angemerkt. Was das betrifft muss ihr Körper so einiges an Alkohol gewöhnt sein. Das gefällt mir so gar nicht, aber ich habe nichts zu ihr gesagt. Vielleicht war es auch einfach kein besonders hochprozentiger Rotwein. Ich weiß es nicht. Ich habe mir die Flasche nicht genauer angeschaut.

Ich lasse mich auf mein Bett fallen und versuche an etwas anderes zu denken, was mir aber nicht gelingt. Meine Gedanken wandern immer wieder zurück zu Lina.

Kiss me at midnight Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt