Sechszehn

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*** Cassie ***

Ich muss ständig an die Nacht mit Lina denken. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Um ehrlich zu sein habe ich gar nicht nachgedacht. Ich habe mich meinen Gefühlen hingegeben und so kam eins zum anderen. Es endet nie gut, wenn ich mich von meinen Gefühlen leiten lasse. Auch wenn ich zugeben muss, dass es atemberaubend mit Lina war und ich es wahrscheinlich wieder tun würde. Zumindest würde ich es wahrscheinlich wieder tun, wenn ich angetrunken wäre.

Das ich immer noch in dem Haus am Ende ihrer Straße die Hunde Sitte macht es nicht besser. Jedes Mal, wenn ich nach draußen gehe, um mit den Hunden spazieren zu gehen, habe ich Angst ich könnte ihr über den Weg laufen. Wie sollte ich mich denn verhalten? Ein Teil von mir würde dann am liebsten auf sie zu gehen und sie küssen, der vernünftige Teil in mir würde sie ignorieren. Tja auf welchen Teil hört man da bloß. Das Herz oder den Verstand? Ich verlasse mich normalerweise immer auf meinen Verstand, der hat mich noch nie in Schwierigkeiten gebracht. Bei Lina funktioniert das aber nicht immer. Wenn ich bei ihr bin lassen sich so viele Dinge nicht rational erklären und das verwirrt mich. Das hat es schon damals. Wieso muss Lina auch so eine Wirkung auf mich haben? Wieso kann ich meine Gefühle für sie nicht einfach ausschalten? Bei ihr bringt es einfach nichts auf meinen Verstand hören zu wollen. Da sind zu viele Gefühle mit im Spiel. Mit Gefühlen konnte ich noch nie besonders gut umgehen und kann es auch bis heute nicht.

Seit der Nacht habe ich viel nachgedacht und bin mir immer mehr bewusst geworden, dass ich immer noch Gefühle für diese Frau habe und es nicht nur meine Erinnerungen an sie sind, denen ich nach trauere. Nur weiß ich nicht was ich mit dieser Erkenntnis anfangen soll. Schließlich weiß ich nicht mal ob es Lina genauso geht und das macht mich verrückt. Ich könnte jederzeit die paar Meter zu ihrer Wohnung laufen und mit ihr sprechen. Das habe ich bisher aber nicht getan, weil ich Angst vor ihrer Reaktion habe. Obwohl eigentlich würde es nichts für mich ändern, wenn sie mich zurück weisen würde.
Vielleicht sollte ich es einfach wagen, dann habe ich Gewissheit. Die große Frage ist, was sollte ich sagen? Oder sollte ich nichts sagen und sie einfach nur küssen? Ich habe keinen Ahnung. Mir den Kopf darüber zu zerbrechen macht mich schier verrückt. Ich halte das nicht mehr lange aus.

„Was würdest du an meiner Stelle machen?", frage ich den Dalmatiner, der neben mir auf dem Sofa liegt.

Mir ist klar, dass der Hund mir nicht antworten wird, aber ich halt es nicht länger aus einfach still zu sein. Der gefleckte Hund tut wenigstens so als würde er mir zuhören oder ich bilde es mir ein.

„Wahrscheinlich würdest du gar nicht nachdenken und dir dein Mädchen einfach schnappen", führe ich mein Gespräch mit dem Hund weiter fort.

Es ist also schon so weit gekommen, dass ich mit einem Hund rede. Wem sollte ich sonst auch von Lina erzählen? Früher habe ich es niemand erzählt und auch jetzt weiß ich nicht wem ich es erzählen sollte. Mir fällt niemand ein, dem ich die ganze Geschichte anvertrauen könnte. Manchmal fehlt es mir mit jemand über solche Dinge sprechen zu können. Meine Brüder kommen nicht in frage und da ich nie irgendwo besonders lange studiert habe, ist es nie dazu gekommen, dass ich richtige Freunde gefunden hätte.

„Ach verdammt", murmele ich und stehe auf.

Was sollte mich eigentlich davon abhalten einfach an Linas Wohnungstür zu klopfen? Ich kann mir bis dahin noch überlegen was ich ihr sagen möchte. Vielleicht ist es auch einfach besser gar nicht so lange darüber nachzudenken. Ich stehe vom Sofa auf und gehe in den Flur, wo ich mir meine Jacke nehme und Schuhe anziehe. Dann verlasse ich das Haus und mache mich auf den Weg zu Linas Wohnung.

Was mache ich ihr eigentlich? Ich versuche nicht darüber nachzudenken, weil mich sonst der Mut verlassen würde.

Schneller als gedacht stehe ich vor ihrer Haustür und drücke auf die Klingel. Eine Weile passiert gar nichts. Eine Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung macht sich in mir breit. Doch plötzlich summt die Tür und lässt sich von mir aufdrücken. Lina hat nicht mal darüber nachgedacht die Sprechanlage zu nutzen, um zu fragen wer da ist. Entweder erwartet sie jemand oder es ist ihr egal.

Ich nehme immer zwei Stufen auf einmal und mache vor der verschlossenen Wohnungstür halt. Auf hier drücke ich nochmals auf die Klingel. Wieder passiert lange nichts. Müsste man nicht eigentlich schon vor der Tür stehen, wenn man bereits den Öffner für die Haustür betätigt hat?
Gerade als ich schon wieder umdrehen möchte, um zu verschwinden, öffnet sich die Tür.

Eine überraschte Lina steht mir gegenüber. Sie trägt einen zu großen grauen Hoodie, eine schwarze Leggins und ist barfuß. Ihre blonden nur noch schulterlangen Haare sind offen. Sie sieht ein wenig müde aus, als wäre sie gerade aus dem Bett aufgestanden.

„Was willst du?", fragt sie genervt und verschränkt die Arme vor der Brust. „Hast du etwa was vergessen, als du dich letztes Mal heimlich davon geschlichen hast?"

Ich sehe auf den Boden. Es ist nur fair, dass sie sauer ist. Nach dieser unglaublichen Nacht war es gemein und feige von mir lautlos zu verschwinden. Verdammt ich hätte mir doch überlegen sollen, was ich ihr sagen möchte. Dann würde ich jetzt nicht wie ein Idiot hier rumstehen.

„Ich denke schon", murmele ich leise und denke nicht weiter nach, sondern handele.

Ich komme ihre näher und küsse sie einfach. Im ersten Augenblick merke ich, wie Lina mich von sich wegschieben möchte, aber dann legt sie ihre Hände in meinen Nacken und zieht mich enger an sich. In diesem Kuss steckt so viel Sehnsucht und Leidenschaft. Trotz allem ist mir klar, dass ein Kuss nicht die Lösung ist. Ich werde mir überlegen müssen, was ich ihr sagen möchte. Gerade ist mir das aber egal. Alles was zählt ist dieser Moment. Ich will das dieser Kuss niemals endet. Natürlich wird er das irgendwann, aber daran will ich nicht denken.

Kiss me at midnight Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt