Vier

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** Lina **

Schon von weitem aus erkenne ich Carina, wie sie auf den Parkplatz zu läuft. Ich stecke mein Smartphone weg und bin immer noch wütend darüber, dass sie meine Anrufe und Nachrichten ignoriert. Merkt sie denn nicht, wie viel mir an ihr liegt?

„Ist das dein Ernst, Lina? Lauerst du mir jetzt schon an meinem Auto auf?", fragt Carina mich wütend.

Sie hat sich ihre blonden Haare in einem Dutt zusammengebunden, aber wie immer haben sich ein paar Strähnen gelöst. Außerdem trägt sie die schwarze Lederjacke, die ihr so unglaublich gut steht.

„Tue ich gar nicht. Falls es dir nicht aufgefallen ist steht mein Auto direkt daneben", antworte ich.

„Klar und du willst mir jetzt wirklich weiß machen, dass das Zufall wäre."

„Kann ja sein und außerdem reagierst du ja nicht auf meine Nachrichten oder Anrufe", erwidere ich trotzig.

Ich beobachte, wie sie die Arme vor der Brust verschränkt und an mir herunter blickt. Zu gerne wüsste ich, was sie gerade denkt. Ob sie schlecht von mir denkt? Ich hoffe es nicht.

„Und anscheinend hast du nicht verstanden, dass ich Abstand von dir brauche", sagt sie und sieht mich ernst an.

„Ich verstehe es auch nicht. Ich habe nichts falsch gemacht."

Ich nehme Carinas Hände in meine und sehe sie an. Ich kann diese Frau nicht so einfach aufgeben. Schließlich waren wir fast drei Jahre zusammen. So etwas wirft man nicht achtlos weg.

„Ich liebe dich und ertrage es nicht, dass du nichts mehr von mir wissen willst", flüstere ich.

Bevor sie mir widersprechen kann, küsse ich sie. Zu meiner Überraschung erwidert sie meinen Kuss. Wir küssen uns leidenschaftlich auf dem Parkplatz vor der Schule und es ist mir egal. Carina ist es egal. Es geht nämlich niemanden was an. Schneller als mir lieb ist, entfernt Carina sich wieder von mir.

„Ach shit, wieso werde ich bei dir jedes Mal schwach", murmelt sie leise. „Das ändert aber trotzdem nichts. Ja, ich liebe dich, aber ich kann nicht vergessen, was du getan hast."

„Es war nur ein verdammter Kuss und ich habe ihn nicht einmal erwidert. Der Typ im Club hat mich geküsst und das habe ich dir schon so oft gesagt", erinnere ich sie.

Wieso kann sie nicht damit aufhören? Es war nicht meine Schuld, aber Carina denkt das. Aus irgendeinem Grund traut sie mir nicht mehr. Nur habe ich ihr nie einen gegeben, um mir zu misstrauen.

„Ich weiß, aber das wäre niemals passiert, wenn du nicht ständig so viel trinken würdest. Ich musste dabei zu sehen, wie der Alkohol meine Mutter kaputt gemacht hat. Das kann ich nicht noch einmal", erwidert sie und jetzt laufen ihr Tränen über die Wangen.

„Ich trinke nicht viel", widerspreche ich ihr erneut.

Ein Glas Wein oder mal abends einen Shot ist nicht viel trinken. Das macht doch gefühlt jeder zweite oder dritte abends. Ich verstehe ihr Problem damit nicht.

„Du willst es nicht wahr haben, aber du hast ein Problem, Lina. So lange du das selbst nicht erkennst, kann ich das mit uns nicht."

Ich will sagen, dass ich kein Problem habe, aber Carina steigt wortlos in ihr Auto und lässt mich zurück. Wie immer macht sie ein großes Drama aus einer Kleinigkeit. Ich sehe ihrem Wagen nach bis sie auf der Kreuzung abbiegt.

„Als ob ich ein Problem hätte", murmele ich.

Ich gehe zu meinen Auto und fahre nachhause. Vielleicht sollte ich Carina ein paar Tage geben, um über das nachzudenken was sie vorhin gesagt hat. Sie wird schon erkennen, dass sie nur übertrieben hat. Es bringt vorerst nichts mich ihr weiter aufzudrängen. Schließlich hat sie es gesagt: sie liebt mich. Leider Schmerzt das noch mehr. Sie liebt mich, will aber nicht mit mir zusammen sein. Was soll das. Zuhause werfe ich meine Tasche neben der Tür auf den Boden und stecke den Autoschlüssel in meine Jackentasche. Ich gehe in die Küche und nehme die angebrochene Weinflasche, die auf der Kücheninsel steht. Zu meiner Enttäuschung ist sie leer.

„Verdammt", fluche ich.

Jetzt muss ich auch noch einkaufen gehen. Eigentlich wollte ich heute nirgends mehr hin. Der Tag war schlimm genug, aber wie sagt man so schön: schlimmer geht immer. Das trifft auf den heutigen Tag zu.

Genervt nehme ich mir meine Autoschlüssel, eine Sonnenbrille und meinen Geldbeutel. Dann mache ich mich auf den Weg zum nächstgelegen Supermarkt. Da ich so schnell wie möglich wieder nachhause möchte, gehe ich ohne Umweg zu den Regalen mit den Weinflaschen. Ich nehme mir zwei von meinem Lieblingswein, auch wenn es mir eigentlich egal ist.

Gerade als ich mich auf den Weg zur Kasse machen möchte, läuft ein großes braunhaariges Mädchen an mir vorbei. Obwohl eher junge Frau und ich muss nicht länger als ein paar Sekunden hinsehen, um zu wissen wer es ist. Cassandra Williams. Nach all den Jahren würde ich sie trotzdem überall auf den ersten Blick erkennen. Zu meinem Glück scheint sie mich nicht gesehen zu haben. Es wäre mir zu unangenehm ihr gegenüber zu stehen nachdem ich sie betrunken geküsst habe und was weiß ich noch getan haben könnte. Manchmal kann ich mich nicht mehr an alles erinnern.

Ohne es verhindern zu können muss ich daran denken, wie es mit Cassie war. Wie es sich angefühlt hat sie zu küssen und in meinen Armen zu halten. Es hat sich so richtig angefühlt und es tut immer noch weh sie jetzt zu sehen. Ich habe mir so oft vorgestellt, wie es wäre sie wieder zu treffen, aber natürlich waren das Träume. In der Realität war unsere aufeinandertreffen nicht so schön, wie ich es mir ausgemalt habe. Außerdem ist Cassie in einer vollkommen unpassenden Zeit in meinem Leben wieder aufgetaucht. Vielleicht wäre es besser, wenn sie gar nicht wieder aufgetaucht wäre. Dann könnte ich weiter so tun, als würde ich sie dafür hassen, dass sie mir das Herz gebrochen hat. Nur kann ich das jetzt nicht, wenn ich sie so sehe. Viel mehr möchte ich ihr wieder nahe kommen, um mich wieder so verliebt zu fühlen, wie damals. Nur wird das nicht passieren. Cassie hat eine neue Freundin und ich habe Carina.

Also mache ich kehrt und verstecke mich zwischen zwei Regalen. Ich greife das erst beste was ich finden kann. Angestrengt versuche ich so zu tun, als würde ich ausführlich die Rückseite einer Tequila-Flasche studieren. Naja viel zu lesen gibt es da eigentlich nicht, aber wenn ich den Tequila schon mal in der Hand habe kann ich ihn auch kaufen. Nachdem ich heute nicht nur Stress mit Carina hatte, sondern auch noch Cassie beinahe über den Weg gelaufen bin, brauche ich den vielleicht sogar. Kommt drauf an, was sonst noch so passieren wird in den nächsten Stunden.

Kiss me at midnight Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt