Zweiundzwanzig

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** Lina **

Ich werde von dem lauten Klirren von Besteck wach und dann einer lauten Kaffeemaschine. Was soll der Lärm? Dann fällt es mir wieder ein. Carina hat mich gestern quasi gezwungen mit ihr nachhause zu fahren und dann durfte ich auf ihrem Sofa schlafen. Sie hat die ganze Zeit über kein Wort zu mir gesagt und auch jetzt sieht sie mich schweigend an. Wieso bin ich hier, wenn sie mich so sehr hasst?

Langsam setze ich mich auf und muss feststellen, dass ich noch genau dieselben Sachen anhabe, wie gestern. Zum Glück hatten wir immerhin keinen Sex. Naja dafür ist Carina aber auch zu vernünftig. Sie würde es nie ausnutzen, dass jemand betrunken ist. Wenn ich so darüber nachdenke, dann ist Carina eine tolle Frau, die ich aber nicht verdient habe.

„Wie scheiße war ich gestern zu dir?", frage ich sie und sehe ihr dabei zu, wie sie sich eine Brot schmiert.

„Es war schon schlimmer", erwidert sie mit einem Achselzucken.

„Ich sollte wahrscheinlich Danke sagen."

„Ja, das ist angebracht", antwortet Carina und sieht mich weiterhin nicht an.

„Außerdem tut es", beginne ich, komme aber nicht dazu meine Entschuldigung zu Ende zu bringen.

„Spar dir das, Lina. Eine Entschuldigung macht nichts von dem was du getan hast wieder gut. Es ändert sicher auch nichts daran, dass zwischen dir und mir nichts mehr sein wird", sagt sie und kaut nachdenklich auf ihrer Unterlippe. „Ich habe dich mit deiner neuen gesehen und weiß genau wer es ist. Ich weiß auch das du mich niemals so angesehen hast."

Jetzt fehlen mir für einen Moment die Worte.

„Woher? Wieso?"

Das ist alles was ich herausbringe. Es irritiert mich einfach zu sehr, dass sie glaubt alles zu wissen. Sie kann nicht wissen wer es ist. Oder etwa doch?

„Ich habe dich gesehen beim Spazierengehen mit Ruby", meint sie und deutet mit einem Kopfnicken auf ihren Golden Retriever. „Du scheinst echt ein schönes Picknick mit Cassandra Williams gehabt zu haben."

„Woher weist du das sie es war?", frage ich.

„Ach komm schon, Lina. Ich bin nicht dumm. Das war mir schnell klar und außerdem sieht Cassandra dem Rest ihrer Familie sehr ähnlich. Ab dem Moment war mir alles klar. Mir ist wieder eingefallen, wie du sie damals in der Schule angesehen hast. So hast du mich nie angesehen."

„Was? Du wusstest es damals?", will ich verdutzt wissen.

Carina zuckt mit den Achseln. „Nein, ich wusste nichts, aber wenn man genauer hingesehen hat, war schnell klar, dass du sie mehr als nur als Schülerin siehst. Aber lassen wir das Thema."

Ich nicke. Das muss schwer sein für Carina es ist offensichtlich wie sie mit sich kämpft. Sie kaut immer noch auf ihrer Unterlippe herum, was sie früher immer gemacht hat, wenn sie versucht hat nicht zu weinen. Jetzt fühle ich mich noch schlechter.

„Welchen Tag haben wir und wie viel Uhr ist es?", will ich von ihr wissen, um das Thema zu wechseln.

„Donnerstag und es ist kurz nach sieben. Du hast also noch Zeit dich im Bad fertig zu machen. Ich gehe noch mit Ruby spazieren", sagt sie.

Ich nicke und gehe ins Badezimmer. Carina muss mir nicht erklären, wo welches Zimmer ist. Ich war oft genug hier in den vergangenen Jahren. Um ehrlich zu sein, habe ich nicht geglaubt, dass sie mich jemals wieder in ihre Wohnung lassen wird. Ich höre, wie die Haustür ins Schloss fällt. Da ich nicht viel zur Hand habe, um mich etwas frisch zu machen, dusche ich schnell und mache meine Haare. In meiner Tasche finde ich noch etwas Make-up und roten Lippenstift. Das muss dann wohl reichen. Mit derselben Kleidung zwei mal hintereinander in der Schule zu erscheinen, gefällt mir so gar nicht, aber daran kann ich nichts ändern. Es wäre zu viel verlangt Carina nach etwas zum anziehen zu fragen.

Als ich wieder in den offenen Wohnbereich mit der Küche komme, ist Carina immer noch weg. Ich mache mir einen Kaffee und setze mich an den Tisch. Hier habe ich oft mit Carina zusammen morgens Kaffee getrunken. In dieser Wohnung ist so viel zwischen uns passiert. Seufzend trinke ich einen Schluck Kaffee und kann nicht verhindern, dass ich in Erinnerungen an unsere Beziehung schwelge. Alle haben immer gesagt, was für ein tolles Paar wir sind und das waren wir auch.

Die Tür geht auf und reißt mich glücklicherweise aus meinen Gedanken. Wenige Sekunden später kommt mir ein wedelnder Hund entgegen und springt an mir hoch.

„Ruby, du braves Mädchen", murmele ich und kraule den Hunde hinter den Ohren.

„Sie hat dich vermisst", sagt Carina.

Ich streichele den Hund noch einen Moment und sehe Carina dann wieder an.

„Du nimmst mich hoffentlich wieder mit zu Schule, oder?", will ich von ihr wissen.

„Ja. Ich bin doch kein Unmensch. Wir müssen dann übrigens los", antwortet sie.

„Ok."

Carina zieht sich noch schnell andere Schuhe an und ihren Cremefarbenen Trenchcoat. Ausnahmsweise trägt sie ihre langen blonden Haare heute offen, was ihr unglaublich gut steht. Ich höre auf meine Ex-Freundin anzustarren und ziehe mir meine Loafers und meine schwarze Jacke über. Dann nehme ich meine Tasche und folge Carina aus der Wohnung. Sie schließt hinter uns ab und wir gehen schweigend zu ihrem Wagen.

Die Fahrt über läuft nervige Radiomusik und wir reden die zwanzigminütige Fahrt zur Schule kein Wort miteinander. Es ist eine unangenehme Stille, aber ich weiß nicht was ich sagen sollte. Carina will wahrscheinlich nicht mit mir reden. Sie parkt ihr Auto direkt neben meinem auf dem Parkplatz vor der Schule.

„Hier deine Schlüssel", meint sie und holt meinen Autoschlüssel samt Haustürschlüssel aus ihrer Jackentasche und reicht ihn mir.

„Danke", erwidere ich. „Wieso hast du das gestern Abend eigentlich gemacht? Ich habe das echt nicht verdient."

Ich sehe sie an, aber sie weicht meinem Blick aus und starrt stattdessen aus dem Fenster.

„Weil", beginnt sie und ihre Stimme zittert ein wenig. „Weil du mir nicht egal bist, Lina. Du bist mir immer noch wichtig. Ich liebe dich immer noch, aber das spielt keine Rolle mehr."

Sie wischt sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen.

Ich lege meine Hand auf ihre. „Ich wünsche mir echt, dass es zwischen uns wieder so sein könnte, wie es war", flüstere ich leise.

Carina dreht sich zu mir um und schneller als ich es realisieren kann, sind ihre Lippen auf meinen. Sie küsst mich und ich erwidere den Kuss. Es fühlt sich so vertraut an sie zu küssen. Ein wenig wie zuhause, weil ich mich bei ihr immer sicher und gefühlt habe. Carina war immer offen mir gegenüber was ihre Gefühle betrifft.

„Es tut mir leid", nuschelt sie sobald sie sich wieder von mir entfernt hat. „Ich hätte das nicht tun sollen. Du hast ja schließlich jemand anderen."

Ich will etwas sagen, aber mir fällt nichts ein. Ich bin sprachlos. Durcheinander und weiß nicht mehr was ich fühlen soll.

„Ich muss noch was vorbereiten vor dem Unterricht", murmelt sie und steigt aus.

Das ist definitiv so gemeint, dass ich endlich aus ihrem Auto aussteigen soll. Was ich auch tue. Carina schließt ihren Wagen ab und läuft schnellen Schrittes in Richtung Schule. Es kommt mir vor, als würde sie vor mir davon laufen. Genau das tut sie wahrscheinlich auch. Nicht nur ich bin jetzt vollkommen durcheinander, sondern auch sie.

Kiss me at midnight Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt