Sechs

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*** Cassie ***

Ich betrete die , noch leere, Bar. Es ist noch keiner da, was aber auch daran liegt, dass die Bar erst in einer halben Stunde öffnet. Ich gehe durch eine Tür in das Hinterzimmer der Bar und öffne dort einen Schrank indem ich meine Jacke und Tasche verstaue. Dann binde ich meine langen dunklen Haare zu einem pferdeschwanz zusammen. Ich bin noch eine Weile alleine und gönne mir ein Bier aufs Haus während ich auf Alex warte. Sie kommt immer zu spät. Pünktlichkeit scheint nicht zu den Stärken zu gehören, die sie in ihren Jobbewerbungen erwähnen sollte. Trotzdem warte ich bis sie da ist. Ich will die Bar nicht alleine öffnen, auch wenn um 19 Uhr meist noch keine Gäste kommen. Die meisten trudeln erst gegen acht ein. Besonders voll ist die Bar unter der Woche ohnehin nicht. Am Wochenende sieht das aber meist ganz anders aus.

„Hey du", begrüßt Alex mich mit einem Grinsen als sie reinkommt.

„Selber hey du", antworte ich.

Ich beobachte Alex dabei, wie sie sich ihre schwarze Jacke auszieht unter der sie ein graues Shirt trägt. Auch heute hat ihre Hose wieder Risse an den Knien und ihre Dr. Martens trägt sie ebenfalls. Sie ist cool. Ganz anders als Lina und vielleicht brauche ich genau das. Etwas Neues und komplett gegenteiliges zu Lina.

„Sag mal, gilt dein Angebot, dass ich bei dir wohnen könnte immer noch?", frage ich Alex und sehe dabei verlegen auf den Boden.

Wieso es mir etwas unangenehm ist das zu fragen, keine Ahnung. Eventuell weil ich Hintergedanken dabei habe.

Alex sieht mich erstaunt an.

„Ich hätte zwar nie damit gerechnet, dass du das Angebot wirklich in Betracht ziehen würdest, aber ja das Zimmer ist noch frei", sagt sie. „Aber du müsstest natürlich Miete zahlen."

„Danke und das mit der Miete geht klar", erwidere ich und umarme sie etwas zu stürmisch.

„Ähm kein Problem", meint Alex.

Dann geht die Tür auf und jemand ruft nach einem Mitarbeiter der Bar.

„Die Arbeit ruft, aber wir können später gerne weiter reden", sagt Alex und legt mir ihre Hand kurz auf den Unterarm.

„Ja klar", antworte ich und gehe einen Schritt zurück.

Alex schenkt mir noch ein breites Lächeln ehe sie das Personalzimmer verlässt. Oh mein Gott, was tue ich hier eigentlich? Da ich mich nicht damit beschäftigen möchte, wieso und warum ich bei Alex einziehen werde, gehe ich mich an die Arbeit machen.

Die Bar ist leer, es sitzt nur ein Typ am Tresen, der mir seit Stunden von seiner verflossenen erzählt. Obwohl eigentlich jammert er eher. je mehr Drinks ich ihm ausschenke, desto unverständlicher wird das was er sagt. Es interessiert mich aber auch nicht. Der Mann ist ein fremder, der seinen Ballast bei einer ihm ebenfalls fremden Los werden will. Garantiert kümmert es ihn nicht, dass ich nicht zuhöre. Irgendwann gegen Mitternacht schließen Alex und ich die Bar.

„Kann ich mit zu dir kommen?", will ich von ihr wissen. „Ich will so spät nicht mehr mit dem Bus zurück nachhause fahren."

Außerdem will ich nicht alleine mit meinen Gedanken sein. Dann denke ich im Endeffekt nur wieder an Frau Roth und kann nicht schlafen. Ich muss diese Frau aus meinem Kopf kriegen.

„Gerne", meint Alex während sie sich ihre Jacke anzieht.

„Super danke", sage ich leise und lächele sie an.

Gemeinsam verlassen wir die Bar und fahren mit Alex Auto einige Minuten bis zu einem kleinen Wohnblock.

„Ich wusste gar nicht, dass du so nah an der Bar wohnst", murmele ich.

„Du hast nie gefragt", erwidert sie mit einem Achselzucken.

„Mhm", gebe ich von mir.

Sie hat recht. Bisher habe ich mich nicht sonderlich für Alex interessiert. Da ist es verständlich, dass sie von meinem plötzlichen Sinneswandel bei ihr einziehen zu wollen und jetzt bei ihr schlafen zu wollen irritiert ist. Ich kann es ihr nicht verübeln. An ihrer Stelle ginge es mir genauso.

Wir steigen aus, Alex schließt die Haustür auf und ich folge ihr durch den Flur und das Treppenhaus in den dritten Stock. Dort öffnet sie ihre Wohnungstür und wir gehen nach drinnen. Sobald Alex die Tür hinter uns geschlossen hat, komme ich ihr näher und küsse sie. Ich brauche Ablenkung und Sex scheint mir da eine gute Wahl zu sein.
Zu meiner Verwunderung legt Alex ihre Hände auf meine Schultern und schiebt mich ein Stückchen von sich weg.

„Was?", bringe ich hervor und jetzt bin ich es, die die Welt nicht mehr versteht.

„Cassandra", nuschelt Alex leise.

Dann kommt da aber nichts mehr. Jetzt werde ich ein wenig wütend. Sie hat sich doch ständig an mich ran gemacht. Was soll das hier jetzt? Wieso ist sie plötzlich so abweisend zu mir? Es ist unmöglich, dass ich ihre Signale falsch verstanden haben könnte.

„Ich verstehe es nicht", sage ich lauter als beabsichtigt. „Ich dachte du willst das auch. Schließlich hast du doch ständig Andeutungen gemacht, aber wenn dem nicht so ist, kann ich auch wieder gehen."

Ich will gerade die Tür aufmachen, als Alex sich vor mich stellt und mich daran hindert. Genervt stöhne ich auf. So ein Drama kann ich echt nicht gebrauchen. Ich hatte in der Vergangenheit genug davon.

„Es ist nicht so wie du denkst", bringt sie hervor und fährt sich mit der Hand durch ihre kurzen rötlichen Haare.

„Ach ja? Dann bin ich ja mal gespannt."

„Ich weiß, dass du es nicht wirklich ernst meinst", sagt sie.

„Das ist Schwachsinn. Wie kommst du auf sowas?", entgegne ich.

Da war nicht die Art von Ablenkung, die ich gebraucht habe. Definitiv nicht.

„Ich habe gesehen, wie du vor gar nicht allzu langer Zeit diese betrunkene Frau in der Bar angesehen hast und so siehst du mich definitiv nicht an. Ich will für dich nicht nur irgendein Lückenfüller sein."

Wieso denkt Alex sich so einen Schwachsinn aus. Wie es aussieht hat sie einfach das Interesse an mir verloren, jetzt wo ich endlich Interesse an ihr zeige. Wie kann sie es nur wagen Lina als Ausrede vorzuschieben, um mich loszuwerden. Alex hätte einfach nein sagen können, als ich sie gefragt habe, ob ich noch mit zu ihr kommen kann.

„Sag doch einfach, dass du keinen Sex mit mir willst, anstatt dir so einen blöden Mist auszudenken", werfe ich ihr wütend an den Kopf ehe ich ihre Wohnung verlasse.

Das ich Alex nur benutze, um Lina zu vergessen ist doch Blödsinn. Schließlich kümmert mich Lina Roth schon lange nicht mehr.

Kiss me at midnight Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt