Elf

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*** Lina ***

Es war typisch für Cassie, dass sie so direkt nachgefragt hat, wieso ich sie geküsst habe. Es war mutig von ihr, aber gleichzeitig fand ich es auch mehr als anmaßend. Die Schule war weder der richtige Ort dafür noch geht es sie etwas an. Ich habe keine Ahnung was für eine Antwort sie sich erhofft hat. Mir selbst ist keine gute eingefallen, also habe ich sie mit ein paar gemeinen Worten vergrault, was erstaunlicherweise gut geklappt hat. Bis gestern habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht, wieso ich Cassie geküsst habe. seitdem sie mir die Frage gestellt hat, zerbreche ich mir den Kopf deswegen. Zu einer zufriedenstellenden Antwort bin ich jedoch nicht gekommen.

Das Flasche vor mir ist schon leer und ich öffne eine zweite Bierflasche. Ich weiß nicht was mich dazu verleitet hat Bier zu kaufen, aber es war das einzige was ich im Haus hatte. Zur Not reicht es und heute Abend brauche ich definitiv ein wenig Alkohol, damit ich nicht noch durchdrehe. Meine Gedanken hören nicht auf um den Kuss vor der Bar zu kreisen und ich frage mich wieso ich es getan habe. Bisher war meine Erklärung dafür, dass ich lediglich einsam war und Cassandra da war. Es könnte aber sein, dass da auch mehr dahinter steckt.

Da ich mich nicht länger damit beschäftigen möchte, stehe ich auf, nehme meine Autoschlüssel und gehe nach draußen. Ich setze mich ins Auto und weiß nicht so wirklich wo ich überhaupt hin will. Also fahre ich einfach los und wenig später stehe ich vor dem Haus in dem Carina wohnt. Anscheinend hat es mich unbewusst hierher gezogen. Ob sie zuhause ist. Ich bezweifele, dass sie mich sehen will, aber das ist mir egal. Ihre blöde Pause geht mir auf die Nerven. Sie soll sich endlich überlegen was sie wirklich will. Das kann doch nicht so schwer sein. Entweder will sie mit mir zusammen sein oder nicht. Genau das will ich wissen.

Schnell steige ich aus dem Auto aus und gehe an die Haustür und drücke dort auf die Klingel. Mit einem Summen geht sie auf und ich betrete das Gebäude. Ich nehme immer zwei Stufen auf einmal und bin innerhalb kürzester Zeit ganz oben im vierten Stock angekommen. Etwas außer Atem bleibe ich einige Meter vor ihrer Wohnungstür stehen.

„Hallo Carina", sage ich.

Sie steht in der offenen Tür und blickt mich verwundert an. Ihre langen blonden Haare hat sie im Nacken zusammengebunden und sie trägt eine schwarze Leggings und einen grauen Kapuzenpullover.

„Hallo", erwidert sie. „Was willst du hier?"

Carina macht keine Anstalten mich in ihre Wohnung zu lassen. Alleine diese Kleinigkeit sorgt dafür, dass Wut in mir aufkommt. Sie tut so als wäre ich eine fremde für sie oder als könne sie mich gar nicht leiden. Carina hat wohl vergessen, dass ich schon tausende Male in ihrer Wohnung war.

„Mit dir reden", beantworte ich ihre Frage und versuche nicht so genervt zu klingen, wie ich mich fühle.

„Du bist betrunken. Verschwinde", meint sie und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Schwachsinn", widerspreche ich ihr.

Wieso wirft sie mir das jedes Mal, wenn wir reden als erstes vor? Fällt ihr nichts anderes ein? Damit wird sie mich nicht los. Das kann sie vergessen. Bevor sie überhaupt etwas darauf erwidern kann, rede ich weiter.

„Ich will endlich wissen, woran ich bin. Willst du das mit uns noch oder nicht?", frage ich sie direkt.

Ich höre sie seufzen.

„Ich habe dir diese Frage schon beantwortet", murmele sie und streicht sich eine haarsträhne hinters Ohr.

„Und ich habe dir gesagt, dass ich keine Probleme habe. Sag doch einfach, wenn du keine Lust mehr auf mich hast."

„Du weißt das es so nicht ist. Du bist mir wichtig, Lina", sagt sie leise.

„Und wieso sind wir dann nicht zusammen? Wieso tust du so, als könntest du mich nicht ausstehen? Das ergibt für mich keinen Sinn."

Sie kann doch nicht behaupten, dass ich ihr wichtig bin und mich dann bei jeder Gelegenheit ignorieren und zurück weisen. Carina ist klug und sie muss doch merken, dass sie sich selbst widerspricht.

„Ich will nicht dabei zusehen, wie du dich selbst kaputt machst und ich kann dir nicht helfen so lange du nicht einsehen willst, dass du ein Problem hast."

„Ich habe kein Problem. Hör auf das ständig zu sagen", widerspreche ich ihr und merke das meine Stimme dabei lauter geworden ist als gewollt.

„So lange wir hier immer wieder dasselbe Gespräch führen, wird das nichts mit uns", entscheidet sie.

„Tja dann ist das halt so",  stelle ich fest. „War wohl doch kein so großer Fehler, wie ich dachte, eine andere zu küssen. Du hast ja anscheinend ein Problem mit mir."

Die letzten Sätze hätte ich mir sparen können, aber jetzt ist es gesagt und möglicherweise stimmt es auch. Wenn Carina nicht weiß was sie will, dann kann sie mir auch nicht vorschreiben, dass ich keine anderen Frauen küssen darf.

„Du hast was?", bringt sie hervor und ich kann sehen, wie sich Tränen in ihren Augen sammeln.

Ich erwidere nichts darauf. Ich weiß genau, dass sie verstanden hat was ich gesagt habe. Es würde nichts bringen zu behaupten, dass es nicht stimmt.
Also schweigen wir uns beide einige Momente lang an. Keiner sagt ein Wort und die Stille ist beinahe erdrückend.

„Weißt du was, vielleicht ist es besser, wenn wir das mit uns endgültig beenden", meint sie und gegen Ende wird ihre Stimme immer brüchiger.

„Vielleicht", sage ich.

Carina schüttelt den Kopf und Tränen laufen über ihre Wangen. Ich beiße mir fest auf die Unterlippe. So habe ich mir das Gespräch nicht vorgestellt.

„Geh jetzt bitte einfach", bittet Carina mich und dreht sich um und verschwindet in ihrer Wohnung.

Wollte ich, dass es so läuft? Nein. Habe ich es mir so vorgestellt? Auch nein. Nun habe ich meine Antwort, aber sie gefällt mir nicht. Während ich die Treppenstufen nach unten gehe, tut es mir fast schon leid, dass ich ihr an den Kopf geworfen habe, dass ich eine andere geküsst habe. Ich habe nicht nachgedacht und es war fies von mir, aber es ist die Wahrheit. Ehrlich gesagt wollte ich Carina nicht verletzen, aber die Worte kamen so schnell aus meinem Mund, dass ich nicht mal darüber nachdenken konnte.

Jetzt brauche ich definitiv mehr als einen Drink. Tage die schlimm sind, können immer noch schlimmer werden. Zumindest trifft das bei mir zu.

Kiss me at midnight Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt