Prolog - Lilith

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Es ist Samstag. Aber nicht irgendein Samstag. Heute ist mein großer Tag. Beziehungsweise der Tag, den alle anderen mit achtzehn als ihren großen Tag bezeichnen. Es ist mein neunzehnter Geburtstag und der Tag meines Abiballs. Ab heute kann ich die Schulzeit hinter mir lassen, schließlich habe ich jetzt auch meinen Abschluss. Wenn ich mich an meine Lieblingsbücher erinnere, heißt das, die ganze Nacht durchzumachen, so viel zu tanzen und zu saufen, bis man die Kontrolle verliert, und mit wildfremden Jungs schlechten Sex zu haben. Aber so ist mein Leben nicht. Und so wird es auch niemals sein können. Auch wenn ich es mir so sehr wünsche.

Ich ziehe mir vorsichtig mein dunkelblaues Samt-Kleid über den Hals und richte es zu. An der Brust befinden sich weiche Schalen, die meine Brüste, oder eher die kleinen Hügel, die sich auf meinem Oberkörper befinden, halten. Dazwischen glitzert eine goldene Schleife auf, die immer wieder in meinem Ausschnitt juckt. An der Taille liegt der weiche Stoff sanft an und betont jede Fettanlage. Das Kleid ist nicht perfekt, es drückt und juckt, aber ich bin es auch nicht.

Ich stelle meinen Fuß einen Schritt neben mich auf den dunklen Holzboden, was ein leises Knarzen hinterlässt, und nehme ein kleines Schmuckkästchen vom Nachttisch. Als ich es vorsichtig aufklappe, kommt eine silberne Halskette zum Vorschein. Die kleinen silbernen Ringe sind aneinander befestigt und vorne blitzen zwei kleine Herzen im Sonnenlicht auf. Ich nehme sie von dem weichen schwarzen Stoff und binde sie mir um den Hals. Mit einem Schritt nach rechts – der Boden knarrt wieder – werfe ich einen Blick in den Spiegel. Ein zierliches dunkelblondes Mädchen lächelt mich an. Sie könnte jeder sein, nur nicht ich. 

Der Stoff meines Kleides liegt eng an und gibt sein Bestes, meine kleinen Brüste irgendwie größer wirken zu lassen. Ich ziehe meine dünnen Lippen zu einem weichen Lächeln, aber auch das wirkt beängstigend. Wie kann dieses Mädchen vor mir im Spiegel zu mir gehören? Meine kleinen hellgrünen Augen scheinen in meinem Spiegel unbemerkt. Als wären sie nicht da. Sie gehören nicht zu mir, aber sind doch ein Teil von mir. Grün ist die Farbe der Hoffnung und die Augen das Fenster zur Seele, aber es passt nicht. In mir drin gibt es weder Hoffnung noch eine schöne Seele. Ich will nicht, dass man meine Seele sieht. Ich will es einfach nicht. Denn dort lungert ein Geheimnis, was nicht zum Vorschein kommen darf. Niemals. 

Körper - das komische Ding, in dem meine Seele gefangen istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt