Kapitel 83 - Lilith

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Wir räumen schnell das schmutzige Besteck in die Spülmaschine und räumen die Essensreste für heute Abend in den Kühlschrank. 

„Was hast du heute noch vor?", fragt mich meine Mutter. 

„Ich weiß nicht. Rocco hat gefragt, ob wir uns treffen können." Ich weiß nicht, ob das der beste Moment ist, das zu fragen, aber ich bin mir sicher, dass Rocco auf eine Antwort von mir wartet und die will ich ihm nicht vorenthalten. 

„Okay. Ich habe mich eh heute schon verabredet." Meine Mutter? Verabredet? Jetzt wird es interessant... Hoffentlich nicht mit meinem Erzeuger. Auf ihn kann ich wirklich verzichten. Ich will nicht nachtragend sein, aber wenn ich ihm so unwichtig bin, dass er abhaut, nur weil ich intersexuell bin, dann will ich ihn auch nicht jetzt kennenlernen. Er hat früher die Entscheidung getroffen, meine Mutter mit einem Baby zurückgelassen, da werde ich bestimmt nicht so tun, als wäre alles gut, nur weil ich jetzt erwachsen bin. 

„Mit?", hake ich also nach. 

„Mit einer alten Schulfreundin", antwortet meine Mutter nur, ohne mich eine Sekunde anzusehen. Ma kann nicht lügen. Wenn sie mich nicht ansieht, heißt es, dass sie lügt. 

„Aha und in echt?", grinse ich also. 

„Mit einer Schulfreundin, sagte ich doch!" Ma sieht kurz auf, dann aber schnell wieder weg.
Okay, dann reden wir eben nicht darüber. Ich stelle den Käse als letztes zurück in den Kühlschrank, verschließe ihn und laufe zurück in mein Zimmer, um Rocco zu schreiben, dass wir uns treffen können.

Hey Rocco!, tippe ich ihm eine Nachricht zurück. Ja, wir können uns sehr gerne treffen! Wann und wo?

Ich sende meine Nachricht zufrieden ab und warte einige Minuten, ob Rocco mir antwortet. 

Als ich gerade mein Handy ausschalten will, sehe ich den Schriftzug mit online, der jetzt unter Roccos Namen aufgetaucht ist. Eine warme Welle durchspült meinen Körper von der Nasenspitze bis zu den Zehen. Ich weiß nicht, wie, aber Rocco schafft es immer wieder mich glücklich zu machen. Wenn ich traurig war, geht es mir danach wieder viel besser. Wenn ich glücklich war, geht es mir danach noch besser als vorher. Keine Ahnung, wie er das schafft.
Als ich durch den Flur gehe, um mich im Bad zu schminken, sehe ich Ma in ihren Zimmer, wie sie sich in ein enges Kleid presst und sich eine Kette umlegt. 

„Eine alte Schulfreundin also, aha", grinse ich. Sie wirft mir einen verwirrten Blick zu, den ich lachend erwidere, um dann ins Bad zu gehen. Mich verlässt der Gedanke nicht, dass meine Mutter ein Date hat. Meine Mutter! Aber sie kann mir das doch sagen. Ich habe doch einen Freund, ich würde mich freuen, wenn auch sie wieder glücklich ist. Sie denkt doch nicht, dass ich ein Problem damit hätte, oder? 

Ich beschließe, meine Mutter heute Abend nochmal darauf anzusprechen. 

Mein Handy gibt einen Ton von sich, weshalb ich sofort meinen Lipgloss absetze und die Nachricht ansehe.

Heute um 2? Lust auf Freibad?

Find ich super!, antworte ich und ein zufriedenes Grinsen breitet sich wieder auf meinem Gesicht aus.

Ich verdecke zwei Pickel, die es sich in meinem Gesicht bequem gemacht haben, tusche schnell meine Wimpern, dann verlasse ich das Bad wieder und krame in meiner Bikini-Schublade. Ich habe viele Bikinis, wovon aber ein Großteil viel zu peinlich für ein Date sind. Ich habe nur zwei, die in Frage kommen. Einen dunkelblauen gepunkteten mit wattierten Körbchen, was meine Brüste etwas größer machen könnte. Der andere ist schwarz und ziemlich knapp. Er besitzt nicht mal richtige Körbchen, sondern deckt nur einen Teil der Brust ab. Auch unten ist es ziemlich knapp, sodass man quasi meinen kompletten Po sieht. Ich entscheide mich für den ersten. Nicht nur weil es immer gut ist, größere Brüste zu haben, sondern auch, weil er nicht so knapp wie der andere ist. Darin werde ich mich also etwas wohler fühlen. 

Ich freue mich auf unser Date. Aber ich habe gleichzeitig auch Angst, wie immer wenn ich im Schwimmbad bin. Es gibt nun mal Anzeichen an meinem Körper, die nicht typisch weiblich sind. Damit meine ich nicht nur meine relativ muskulösen Arme, sondern auch meine nicht vorhandenen Rundungen. Ich sehe aus wie ein zwölfjähriges Mädchen, das viel Krafttraining macht und deswegen Muskeln hat. Das ist zwar gut, dass man mich zumindest nicht als Junge sieht, trotzdem fände ich es besser, als achtzehnjährige Frau gesehen zu werden. Okay, von mir aus noch Mädchen, aber ich bin kein Junge und nicht zwölf Jahre alt! 

Ich schlüpfe wieder aus meinem Kleid und ziehe mir den Bikini an. Er sitzt gut, ist nur oben etwas zu weit, was mir aber nichts ausmacht. Ich ziehe das Kleid wieder darüber und packe meine Unterwäsche in meine Schwimmtasche, die in einer Ecke meines Zimmers schon verzweifelt auf seinen nächsten Einsatz wartet. 

Ich stopfe noch mein Portemonnaie und mein Handy, eingepackt in eine wasserdichte Hülle, in die Tasche und stopfe noch ein Handtuch und Shampoo dazu. 

Ich werfe einen Blick auf meine Wanduhr. Viertel vor zwei. Ich sollte mich beeilen. Vielleicht sollte ich nächstes Mal doch mal vor zwölf Uhr aufstehen... 

Ich schultere die Tasche und schlüpfe unten in meine Sandalen, dann mache ich mich auf den Weg zum Freibad. Aufgeregt und glücklich, als wäre es mein erstes Date. 

Körper - das komische Ding, in dem meine Seele gefangen istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt