Kapitel 40 - Lilith

24 11 1
                                    

Aber mein Herz sagt da etwas anderes. Es pocht so laut, dass man es bestimmt bis zu Carlos in Barcelona hören kann.

Bevor ich die Haustür öffne, atme ich einmal tief ein und wieder aus. Dann ziehe ich sie schwungvoll auf. So schwungvoll, dass sie hinten an unsere Wand knallt und eine kleine Delle hinterlässt. Shit!

„Ähm, hi Rocco", versuche ich die unangenehme Situation zu überspielen, aber Rocco scheint eh nichts gemerkt zu haben. Er grinst mich nur an.

„Hallo Julia!" Ma ist aus dem Haus aufgetaucht und begrüßt Roccos Tante, die – genauso breit grinsend wie er – neben ihm steht.

Roccos Tante und meine Ma umarmen sich und gehen dann rein.

„Komm rein", sage ich auch zu Rocco. Mein Herz schlägt noch immer unnatürlich schnell und meine Beine fühlen sich wackelig an, dass ich keine langen Sätze aus mir rausbekomme.

Rocco geht rein und zieht seine Schuhe aus.

„Äh, wo soll ich die hinstellen?", fragt Rocco. Puh, ich bin nicht die Einzige, die total nervös ist, Rocco bringt auch eher stockende Sätze heraus.

„Hier", sage ich und deute auf unser Schuhregal, wo noch zwei freie Plätze sind.

Er stellt seine Schuhe ins Regal und sieht mich erwartungsvoll an.

„Zeigst du mir dein Zimmer?", fragt er dann.

„Aber sei nicht traurig, wenn es nicht halb so schön wie deins ist", grinse ich. Wow, ich habe es geschafft, einen grammatikalisch korrekten Satz herauszubringen, ohne ein Äh anzufügen!

„Dein Zimmer ist bestimmt wunderschön!", widerspricht er mir. Mal gucken, ob er das gleich noch genauso sieht...

Ich laufe zusammen mit Rocco die Treppe hoch und öffne die Tür von meinem Zimmer. Green Day steigt gerade wieder beim Refrain von Basket Case ein, als Rocco den Raum betritt.

Basket Case!", staunt er.

„Du kennst Green Day?", frage ich verwirrt. Ja, viele Leute haben schon mal das ein oder andere Lied von Green Day gehört, und Basket Case läuft auch schonmal im Radio, aber dass Rocco das so zuordnen kann, gefällt mir.

„Natürlich! Ich liebe die!", meint Rocco.

„Echt?" Jetzt bin ich baff. Er liebt Green Day! Genauso wie ich! Langsam beginne ich zu glauben, dass wir Seelenverwandte sind.

„Lieblingssong?", fragt mich Rocco.

„Puh, das ist schwer! Aber ich glaube, 21 Guns."

„Gute Wahl!", meint Rocco. „Ich mag aber auch total gerne Holiday und Coming Clear."

„Jaa, die sind auch echt gut!", stimme ich ihm zu.

„Einigen wir uns auf Fell for you?", fragt er grinsend.

„Finde ich super!" Ich entsperre mein Handy, suche Fell For You in Spotify und stelle es als Dauerschleife an.

Green Day setzt mit den ersten Versen ein, die ich in meinem Kopf sofort mitsinge. Als kurze Zeit später der Refrain einsetzt, sehen Rocco und ich uns an und lächeln.

„I had a dream that I kissed your lips, and it felt so true. Then I woke up as a nervous wreck, and I fell for you.", singen wir lauthals, nur mit dem Unterschied, dass es bei mir total schief klingt, bei Rocco jedoch wunderschön. Wow! Ich wusste nicht, dass er so gut singen kann.

„Wieso kannst du so gut singen?", frage ich Rocco überwältigt. Seine Stimme ist wirklich schön! Er könnte echt Troy von High School Musical doubeln.

„Keine Ahnung" Er grinst. „Ich hatte in der Grundschule Gesangsunterricht, weil meine Eltern mich dazu gezwungen haben, aber als sie gestorben sind, habe ich damit aufgehört, weil es mir einfach keinen Spaß gemacht hat, diese ganzen Stimmübungen und so zu machen."

Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Es tut mir so leid, dass seine Eltern so früh gestorben sind. Ich will nichts Falsches sagen. Ich glaube, ein Oh würde auch komisch rüberkommen. 

Deswegen entscheide ich mich dazu, einfach nichts zu sagen. Ich warte, bis die Strophe wieder zu Ende ist und setze erneut zum Refrain ein. Rocco singt mit. Ich fühle mich wie die mieseste Sängerin der Welt neben ihm.

„Also ich mag dein Zimmer", meint Rocco, nachdem der letzte Akkord den Song beendet hat.

„Ja? Es ist halt nicht so besonders wie deins."

„Was ist denn bitte an meinem Zimmer besonders?" Rocco sieht mich verwirrt an.

„Alles!", beginne ich zu schwärmen. „Diese meterhohen Bücherregale in diesem dunklen Holz und dazu die bunten Bücher, das sieht so schön aus! Ich wünschte, mein Zimmer hätte auch sowas!"

„Die Regale hat meine Tante mir eingebaut, als ich bei ihr eingezogen bin, weil ich so darüber geschwärmt habe.", erzählt Rocco.

Ich lächele. „Es ist wie in einer Bücherei in deinem Zimmer. Nur der böse Chef fehlt", grinse ich

„Stimmt" Rocco lacht. Ich klicke an meinem Handy zweimal den Leiser-Knopf, damit wir noch miteinander reden können, während Green Day wieder mit dem Lied beginnt.

Rocco kommt langsam auf mich zu und nimmt meine Hand.

„Weißt du, dass ich echt alles an dir mag?" Rocco lächelt mich an und legt seine Hand auf meine Wange, um darüber zu streichen. Ich spüre, wie mir wieder die Farbe ins Gesicht ströhmt.

„Du bist so wunderschön!", führt er fort. „Ich könnte dich ewig ansehen."

Ich? Wunderschön? Ich glaube nicht, dass er gerade wirklich mein Gesicht vor sich sieht.
Meine Wange kribbelt, als er wieder die Hand wegnimmt und sie an meiner Hüfte anlegt.

„Weißt du eigentlich, wie glücklich ich bin, dass wir jetzt zusammen sind?" Rocco sieht mir so tief in die Augen, dass ich mich durchschaut fühle.

Ich lächele nur. Was soll ich auch sagen? Nein? Oder Ja? Klingt doch beides irgendwie komisch

„Ich auch" Und weil Rocco gerade so nah an mir ist, dass ich es einfach nicht mehr aushalte und mein Verlangen immer größer wird, beuge ich mich zu ihm vor und küsse ihn. Wie sehr habe ich das vermisst. 

Das explodierende Feuerwerk in meinem Magen. Das schöne Kribbeln, das meinen kompletten Körper erfüllt und die leise Musik meiner Lieblingsband, die sich immer mehr in den Hintergrund rückt, weil ich mich nur noch auf Rocco konzentriere. Auf den Kuss, auf meine Gefühle. Es ist so schön, dass ich das Gefühl habe, dass alles mit jedem Kuss besser wird. 

Körper - das komische Ding, in dem meine Seele gefangen istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt