Im Hause

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Die Straße endete in einer von schmalen, hohen Fachwerkhäusern gesäumten Sackgasse. Eines jener beschaulichen, jedoch zugleich auch sehr altertümlichen Häuschen, das Schmalste und Niedrigste von Allen trug die Nummer Drei an seiner rotbraunen Fassade. Zielsicher ging der Engel darauf zu und erklomm wenig später die kleine Steintreppe, welche zur Eingangstür führte.

Die Pforte öffnete sich lautlos für ihn, ohne dass er die Klinke zu berühren brauchte. Nur ein winziger Hauch von Magie genügte, damit sie tat, was er verlangte. Unbemerkt trat er ein und befand sich sogleich inmitten eines engen, dunklen Treppenhauses.

Im Erdgeschoss gab es keine Fenster, die ihm hätten Licht spenden können. Doch auch bei Nacht, ganz gleich wie dunkel es auch war, konnte der Engel hervorragend sehen. Darum bedurfte er keiner Kerze, um den rechten Weg zu finden.

Vor ihm taten sich zwei Treppen auf. Die linke führte nach unten in den Keller, die rechte aber wies nach oben zu den Wohnungen der Mieter. Das Geländer wirkte morsch. Einige Streben fehlten bereits und so mancher Pfosten wies aus unerfindlichen Gründen Brandflecken auf. Doch davon ließ sich der Engel nicht beirren. Er schritt über die alten Dielen hinweg, ohne dass diese erbost ächzten oder knarrten und stieg alsdann die Treppe hinauf, wobei er es tunlichst vermied, sich am stark beschädigten Geländer festzuhalten.

Stufe um Stufe erklomm er mit Bedacht, so wie es sich für seinesgleichen gebührte. Das Haus verfügte über fünf Stockwerke. Erst als er das Dritte erreichte, hielt er inne und schaute sich aufmerksam um. Der Boden wirkte hier sehr viel sauberer, so als wäre er vor nicht allzu langer Zeit frisch gewischt worden. Auch die rauen Wände machten oben einen sehr viel freundlicheren Eindruck, als im Erdgeschoss des Hauses.

Direkt vor ihm taten sich drei Türen auf, welche zu den Wohnungen der Mieter führten. Die Linke wurde von einem schicken Blumenkranz geziert. Ihr Holz war glatt und poliert, und ihre silberne Klinke glänzte im schwachen Lichtstrahl der einsamen Straßenlaterne, welcher durch das schmale Fenster neben der Treppe ungehindert ins Innere des Hauses gelangen konnte.

Die mittlere Tür wirkte sauber und gediegen. Am Boden vor ihr lag ein kleiner Teppich, welcher jeden Gast freundlich willkommen hieß und zum längeren Verweilen einlud.

Die Rechte aber war alt und abgenutzt. Offenbar wurde ihr im Laufe ihrer Existenz nicht sehr viel Liebe zuteil, denn mehrere Kratzer zierten das dunkle Holz und die Klinke sah matt und fleckig aus. Schweigend folgte der Engel den Spuren größter Not und erhob seine linke Hand. Daraufhin öffnete sich die rechte Tür lautlos, so als folge sie nur allzu gerne seinem stummen Befehl.

Der Engel trat in die winzige Zwei-Zimmer-Wohnung ein und befand sich nunmehr in einem solch engen Flur, dass mehr als eine Person darin nicht hätte Platz finden können. Wie nicht anders zu erwarten, befand sich der Raum in keinen sonderlich guten Zustand. Am Boden lag ein ausgefranster, bejahrter Teppich, dessen einstmals kräftige Farben bereits seit vielen Jahren verblasst waren. Die Tapete war ergraut und wies zahlreiche Risse auf. An einer Seite der Wand hing ein Holzregal mit einer vertrockneten Blume darauf. Gleich daneben waren zwei mittlerweile stark verrostete Nägel angebracht worden, an welchen zwei durchnässte Mäntel trocknen sollten. Gelegentlich fiel ein Tropfen auf den Boden herab und landete in einer kleinen Pfütze, welche das darunter befindliche Holz unschön aufquellen ließ.

Der äußere Anschein hatte den Engel nicht getrogen, sondern wurde im Inneren mehr als nur bestätigt. Offenbar hauste in dieser tristen, ja geradezu trostlosen Wohnung eine Familie in äußerst ärmlichen Verhältnissen. Der Anblick war wirklich bemitleidenswert, doch der Engel vermochte es gemäß seiner Natur nicht, derlei Empfindungen wahrzunehmen. Er blickte zum Wandspiegel, der direkt gegenüber dem Holzregal zwischen zwei Türen hing und bedauerlicherweise an der oberen Hälfte einen großen Sprung aufwies.

Angel and DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt