In Gesellschaft

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Nachdem das Leben des alten Schreibers auf immer und ewig versiegt war, hatte der Jünger des Todes sofort Witterung aufgenommen. Es war nicht einfach gewesen, an diesen Ort zu gelangen. Um das Reich eines höhergestellten Engels zu betreten, musste man zuvor eine Vielzahl an Toren durchqueren. Zu seinem Glück hatten die meisten Wächter ein gutes Herz. Obendrein waren sie leichtgläubig und bestechlich. Ein kleines Lügenmärchen hatte genügt, um sie von der Wichtigkeit seiner Anwesenheit zu überzeugen.

Die Grundstücke der Engel befanden sich auf unterschiedlichen Ebenen. Sie waren nicht nummeriert, sondern lediglich durch verschiedene Symbole gekennzeichnet. Äußerlich glichen sie sich, wie ein Haar dem anderen. Dennoch hatte der Jünger des Todes schnell die richtige Fährte aufgenommen und sein Ziel binnen weniger Minuten erreicht.

Er war einer der Mächtigsten seiner Art. Die vielen Jahre auf Erden hatten ihm vor allem eines gelehrt: Willst du etwas haben, dann nimm es dir, ohne Rücksicht auf Verluste!

Den goldenen Zaun überwand der Jünger des Todes mit einem hohen Sprung. Alsdann durchschritt er rasch den Garten und läutete an der Türe. Als diese sich endlich öffnete, war er dem Objekt seiner Begierde zum Greifen nahe!

Ohne ein Wort der Begrüßung trat er ein. Er drängte sich an den anmutigen Engel vorbei, bevor dieser ihn hätte aufhalten können, und lief zielsicher Richtung Wohnzimmer. Nach einem kurzen Blick durch den Raum ließ er sich breitbeinig auf dem Sofa nieder.

Der Engel schloss die Tür und folgte alsdann hoch erhobenen Hauptes seinem ungebetenen Gast. "Was ist Euer Begehr?", wünschte er zu erfahren.

"Ich begehre dasselbe, wie zuvor. Sagt, glaubt Ihr an das Schicksal?"

"Natürlich, doch halte ich unsere Begegnung ganz und gar nicht für schicksalhaft."

"Ich werde Euch alsbald eines Besseren belehren. Warum setzt Ihr Euch nicht zu mir und wir...?"

"Nein!", unterbrach der Engel den Jünger des Todes abrupt. "Kein Wort mehr darüber! Ihr solltet an derlei Schandtaten nicht denken, geschweige denn es wagen, sie auszusprechen. Ich bin ..."

"Mir ist bewusst, was Ihr seid. Genau darum bin ich hier", meinte der Jünger des Todes selbstbewusst. Er öffnete den silbernen Knopf an seinem schwarz glänzenden Gewand und streifte jenes alsdann provokativ von seinen breiten Schultern. Darunter offenbarte er ein tief ausgeschnittenen, anthrazitfarbenes Hemd, welches dem Engel einen guten Ausblick auf seine fahle, kräftige Brust gewährte.

"Ihr habt nicht vor, wieder zu gehen", stellte er fest und vermied es dabei tunlichst, seinen Gast direkt anzuschauen - weder in seine glühenden Augen, noch auf seine sinnlichen Lippen oder gar auf seine kräftige Brust, welche unter dem eng anliegenden Hemd gut erkennbar war.

"Natürlich nicht."

"In diesem Fall bleibt mir nichts anderes übrig, als Eure Anwesenheit zu akzeptieren, denn ich möchte nicht, dass man mich für gastunfreundlich hält", sagte der Engel, welcher trotz aller widrigen Umstände weiterhin höflich und tugendhaft blieb. "Darf ich Euch ein Getränk anbieten?"

"Liebend gerne. Allerdings befürchte ich, dass mein Geschmack euch erzürnen könnte."

"Ich zürne nie. Was genau bevorzugt Euresgleichen zu sich zu nehmen?"

"Wein!", log der Jünger des Todes.

Der Engel, welcher jede Lüge zu durchschauen vermochte, antwortete daraufhin: "Damit kann ich nicht dienen. Alkohol animiert dem Mensch zur Sünde. Darum ist es wie jedes Rauschmittel in unserem Reich strengstens verboten."

"Wer hätte das gedacht...", sagte der Jünger des Todes, während er den Engel in seinem reinweißen Gewand von oben bis unten musterte. Was er sah, gefiel ihm sehr.

Angel and DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt