Schneekönigin - Die Vorgeschichte

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Ich weiß, normalerweise schreibe ich kein Vorwort, aber diese Geschichte ist anders geworden, als die vorherigen. 
Sie hat eine tiefere Bedeutung, ist "dunkler", weniger zum Lachen gedacht. Eigentlich gehört sie nicht richtig in diese Sammlung, aber ich muss das teilen.

Ich habe bestimmte Themen angesprochen, die vielleicht nicht alle gerne lesen oder die für manche schwierig sind. Deshalb gibt es eine Themenwarnung, die Spoiler enthält. Ihr könnt für euch selbst entscheiden, ob ihr sie lesen wollt, oder nicht.

Themenwarnung: Tod beider Elternteile, Mobbing, Unterdrückung von Gefühlen, Unterdrückung eines Individuums

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Lila waren die Wände, Lila war der Teppich, Lila waren die Möbel, Lila waren die Blumen, Lila hieß das Mädchen, dem das Zimmer gehörte.

Und jedes Mal, wenn sie etwas berührte, sprossen Blumen aus der Stelle und wuchsen dort noch, nachdem das Mädchen schon lange weg war. Auch auf ihrem Körper wimmelte es nur so vor den Lebewesen, weshalb Lila sich auch nie Sorgen darum machen musste, was sie anziehen sollte – Klamotten scheuerten ihre kleinen Freunde nur ab.
Sie liebte die lila Blüten, die ihren Körper bedeckten, und würde sie auf gar keinen Fall hergeben wollen.

Ihre Eltern waren nach ihrer Geburt äußerst verunsichert gewesen, verstanden dann aber, dass ihre Tochter ein Geschenk der Wiese gewesen war, auf der sie gezeugt wurde. Der Blumen zu ehren, die auf ihr wuchsen, gaben sie ihr den einzigen Namen, der ihr gerecht werden würde.
Doch sie wollten nicht, dass Lila jemals etwas zustoßen sollte. Deshalb durfte das Mädchen ihr Haus nicht verlassen. Ihr fehlte es in ihrer Kindheit an nichts – alles, was sie besaß, hatte ihre Lieblingsfarbe, überall wuchsen Blumen, und doch – sie war einsam.

Außer ihren Blumen hatte sie niemanden. Ihre Eltern verließen täglich das Haus, um zur Arbeit zu gehen, und sperrten sie ein. Tag für Tag saß sie am Fenster und blickte nach draußen, um die anderen Kinder zu beobachteten, die Fangen spielten und Spaß hatten.

8 Jahre später

Ihre Eltern hätten schon längst zuhause sein sollen. Normalerweise kamen sie um 16 Uhr zurück, und begannen sofort damit, Lila zu unterrichten.
Dadurch, dass sie nicht zur Schule gehen konnte, aber trotzdem etwas lernen sollte, mussten das eben ihre Eltern übernehmen.

Doch heute Morgen war etwas anders. Ihre Eltern waren angespannt gewesen, hatten sie zum Abschied nicht auf die Wange geküsst – und waren eine Stunde früher verschwunden.

Lila ahnte, dass etwas im Busch – oder eher in den Blumen – war. Wahrscheinlich hatte es etwas damit zu tun, dass sie heute vor 16 Jahren geboren wurde.

Es klopfte. Endlich. Sie ging die Treppe nach unten und berührte die Blumen an der Flurwand. Das löste eine kleine Welle bei ihren Freunden aus, und die, die auf der Türklinke saßen, öffneten die Haustür.

Doch es standen nicht ihre Eltern davor. Ein Mann und eine junge Frau, kaum älter als sie standen davor. Beide waren Lila unbekannt.
Sie erschrak und stolperte zurück. Sie hatte noch nie, und sollte es auch nie. Mit Fremden reden.

»Lila?«, fragte der Mann vorsichtig.

Das Mädchen wich noch einen kleinen Schritt zurück und taumelte leicht, doch wurde sofort von ihren Blumen gestützt.
Die Augen des Mannes zuckten zu den Ranken, die ihre Arme hielten, und er schauderte kurz.

»Lila, deine Eltern sind tot. Du wirst umziehen müssen. Pack deine Sachen«, sagte er dann mit schroffer Stimme zu ihr.

Etwas zersprang in ihrem Herzen. Das konnte nicht sein. Ihre Eltern würden sie nicht verlassen. Sie würden nicht wollen, dass Lila mit Fremden reden muss.

»W-Was?«, stotterte das Mädchen und sah hilfesuchend zu der bisher stummen Frau.

Diese sah sie aus kalten Augen an. »Pack deine Sachen«, waren die einzigen Worte, die sie für Lila hatte.

Das konnte nicht wahr sein. Ihre Beine gaben unter ihr nach und sie stürzte zu Boden, fiel jedoch weich. Ihre Blumen, das Einzige, was sie jetzt noch hatte, fingen sie auf.
Ein schützender Kokon bildete sich um das verletzliche Mädchen, damit niemand sah, wie sie zusammenbrach.

2 Wochen später

Ihre Welt war grau. Sie wusste nicht, wohin mit sich. Was sollte sie ohne ihre Eltern machen?

Und sie zwangen sie weiterzuleben. Schließlich würde nächste Woche das neue Schuljahr starten, an dem sie teilnehmen musste.

Kein Augenblick der Trauer war ihr gegönnt worden, schließlich war es ja nicht so schlimm, seine Eltern zu verlieren. Sagte jedenfalls der Bürgermeister, bei dem sie gezwungenermaßen unterkommen musste.
Niemand sonst wollte sie haben, und da er sie aus dem Haus geholt hatte, war sie seine Verantwortung.

1 weitere Woche später

Sie hatten sie gezwungen, Klamotten anzuziehen. Ihre Blumen sträubten sich dagegen, genauso wie das Mädchen. Doch der Bürgermeister zwängte sie in Kleidung und zwang sie, sich anzupassen.

Durch die Schuhe entstanden nicht bei jedem neuen Schritt Blumen, und auf jedem Fleck ihrer Haut, der von Kleidung bedeckt war, wuchs nichts mehr.
Nur auf ihrem Gesicht und auf ihren Händen blieben die Blumen.

Als sie die Schule betrat, änderte sich zunächst nichts.

Doch mit jeder Minute wurde das Getuschel lauter. Hexe stach besonders aus den ganzen Beleidigungen hervor.
Jedes Mal, wenn Lila eines der Worte hörte, verblassten die Blumen auf ihrer Haut immer mehr.

Und irgendwann war das Lila weg. Die Blumen blau und kalt, gefühllos, genauso, wie ihr Inneres. Mit jedem Tag hatte sie ihre Gefühle mehr und mehr weggesperrt, weil sie es einfach nicht mehr ertragen konnte.

Mit der Zeit waren ihre Freunde ganz verschwunden. Haben sich in ihrer Haut versteckt. Jeder gehässige Kommentar hatte ihre Haut mit einer weiteren narbigen, blauweißen Blume geschmückt.

Und mit jeder Blume war auch ein Stück ihres Herzens verschwunden – tief in ihrem Inneren vergraben.

Lila war gestorben. Was war sie schon ohne ihre Blumen?
Die Schneekönigin war aus Narben geboren.

To be continued...

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Das war meine erste Geschichte seit langem, ich habe schon länger nicht geschrieben. Und da das ja eine Art Adventskalender wird, wollte ich euch etwas Weihnachtliches bieten. 
Was eignet sich da besser, als das Märchen der Schneekönigin? (Ich musste mir erstmal ein Video anschauen, weil ich schon ganz vergessen habe, worum es da geht). 

Und das hier ist ja nur die Vorgeschichte, aber ich musste sie einfach erzählen. Ich weiß, normalerweise ist das eher lustig hier, aber ich wollte auch ernstere Themen ansprechen. Und diese Geschichte ist mir praktisch sofort, noch während dem Video schauen, eingefallen.

Also lasst gerne noch Feedback dafür da. Nächsten Sonntag bekommt ihr dann die Fortsetzung, das Hauptmärchen. Ich weiß noch nicht, ob das auch eine tiefere Botschaft bekommt, oder ob ich es schaffe, wieder "den Stil" der vorherigen Märchen aufzugreifen. Wir werden sehen :).

Und danke an alle, die mich noch nicht abgeschrieben haben, sondern das Kapitel lesen, obwohl hier so unregelmäßig was kommt.
Hauptsächlich für euch habe ich mir diese Adventsaktion überlegt :).

Und denkt daran: Worte haben die Macht Menschen zu verletzen, auch wenn es unbeabsichtigt ist - deswegen geht vorsichtig damit um. 

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