Motherless Child

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Ich ließ mich in meinen Lesesessel fallen und legte die Füße auf das Sofa. Als sie wiederkam setzte sie sich direkt daneben.

„Hab ich gesagt, dass du dich setzen darfst?"

„Nein", hauchte sie und stand wieder auf.

„Und wieso nicht?"

„Weil ich nicht gefragt habe?"

„Richtig!"

„Darf ich mich setzen?"

„Ja, jetzt darfst du."

Sie setzte sich wieder neben meine Füße. Ich zog die Beine an und sagte: „Weiter nach links. Beine auseinander und Rock hoch!"

Sie machte es. Unter dem Rock und der Netzstrumpfhose trug sie einen rosa Hello-Kitty-Slip. Für einen Moment wusste ich nicht, ob ich lachen oder sie rausschmeißen sollte. Ich streckte meine Beine wieder aus und drückte ihr meine rechte Ferse in den Schritt. Sie hielt den Druck stand, mehr noch, erwiderte ihn sogar.

„Wieso meinst du eigentlich, dass ich überhaupt eine Domme bin, kleine Liz? Nur weil wir letztes Mal etwas raueren Sex hatten? Oder weil ich ein bisschen Respekt und Anstand von dir einfordere?"

„Nein", sagte sie und sah auf meinen Fuß, der nun mit dem Ballen gegen ihren Schmetterling drückte. Dann grinste sie und sagte: „Aber eine Frau, die keine Domme ist, würde sowas nicht machen."

Ich bewegte den Fuß etwas auf und ab, sie schloss die Augen und zitterte leicht, unter dem T-Shirt hoben sich klar ihre Nippel ab.

„Viele Lesben machen das", behauptete ich, „das alleine ist noch kein Merkmal einer Domme."

„Aber du würdest es auch in Stiefeln machen!"

Das stimmte allerdings.

„Und dir würde das gefallen?"

Sie nickte eifrig.

„Was mir aber egal wäre!"

Sie hielt den Blick weiterhin gesenkt und sah auf meinen Fuß. Sie begann schwerer zu atmen, hielt aber den Gegendruck aufrecht, und bewegte schließlich ihr Becken auf und ab.

Ich nahm meinen Fuß weg und setzte mich mit gegrätschten Beinen vor sie, die ihren klappte ich zusammen. Sie sah mich mit einer Mischung aus Enttäuschung und Wut an, wie ich Dragan, als er meinen ersten Meisterschaftskampf in der Amateurliga der Boxing Federation abbrechen ließ, nachdem mir diese deutsche Walküre mit nur einem einzigen Punch zwei Rippen gebrochen hatte.

„Wie alt bist du, Liz?", sagte ich ernst.

„Zweiundzwanzig, das weißt du doch."

„Ja, das weiß ich, aber warum benimmst du dich dann wie eine Dreizehnjährige? Das verstehe ich nicht. Du kommst hierher, ziehst deinen Lolitascheiß ab und reißt Türen auf, hinter denen vielleicht die schlimmsten Monster wohnen. Hat dir die Sache mit dem Crackdealer letztens nicht gereicht?"

Klick. Als hätte man einen Schalter umgelegt. Sie setzte sich gerade, strich ihr Röckchen glatt, sah mich an, wie eine erwachsene Frau eine andere, und griff nach meinen Zigaretten. Nun ließ Ich sie.

„Wenn du deinen Kink ausleben willst, dann ist das okay", fuhr ich fort, „aber ich fürchte, dass ich nicht die Richtige dafür bin. Oder hast du gedacht, wir setzen jetzt einen Vertrag auf, bestimmen ein Safeword, und dann kommst du alle zwei Wochen mal vorbei und lässt dir ein bisschen den Hintern versohlen?"

Ich kannte diesen Blick. Es ist der den du siehst, wenn du einem Patienten sagst, dass er dauerhaft einen Blasenkatheter benötigt, weil seine Prostata die Harnröhre abdrückt. Oder der einer Angehörigen, der du sagen musst: Nein, ein Pankreaskarzinom ist nicht heilbar, ihr Mann wird sterben, und zwar bald.

„Wenn du nur spielen willst, Liz, dann mach das mit deinen Freundinnen von der Lesbengruppe. Aber ich glaube nicht, dass es das ist, was du wirklich suchst, stimmts?"

Sie sagte nichts.Trotzdem wusste ich, dass sie mir recht gab. Und sie wusste, dass ich eswusste.

„Was du brauchst, ist kein Dom, sondern eine Mom. Und nicht einmal pro Woche, sondern ständig", redete ich weiter, „Irgendjemand, der dir zeigt, in welche Richtung es nach Hause geht, denn im Grunde bist du nur ein kleines Mädchen, das sich gerade im Wald verläuft".

Sie schwieg eine Weile, dann begann sie zu singen, ganz leise und abgrundtief traurig: „I feel, oh I feel, like a motherless child, a long long way from home". Und traf mich damit mitten ins Herz.

„Meine Mom ist schon so lange tot, wie ich auf der Welt bin", sagte sie schließlich, „Und von zuhause weg bin ich 1500 Kilometer Luftlinie. Zumindest war das Lancing College in Brighton vier Jahre sowas wie mein Zuhause. Aber mit achtzehn bist du auch dort fertig und musst raus. Ich hätte nach Eton gehen können oder nach Kanada, aber glaubte nicht, dass ich dort hinpasse. Darum ging ich erst nach Basel, zu meinem Vater, dann nach Berlin und voriges Jahr hierher, weil ich dachte, vielleicht gehöre ich ja nach Wien, wo meine Mutter her ist. War aber wohl auch nicht so."

Sie drückte die Zigarette in den Aschenbecher, versuchte ein Lächeln, das ihr gründlich misslang, und sagte: „Ich werde dann mal gehen, Jana. Entschuldige, dass ich dich belästigt habe. Oder muss ich dich wieder um Erlaubnis bitten, wenn ich gehen will?"

„Nein, musst du diesmal nicht. Aber ich würde mich freuen, wenn du noch einen Espresso mit mir trinkst."

„Ja, tun wir das", stimmte sie mir zu.

Jana und Liz - Teil 2: Die RückkehrWo Geschichten leben. Entdecke jetzt