Ich sitze immer noch draußen auf dem Liegestuhl. Die Sonne ist geht langsam unter. Der Kopf von Opa schaut mich an. Offenbar bin ich eingeschlafen. Ich nehme den Kopf und will ihn zurück ins Haus tragen. Da kommt jemand die Straße entlang. Ich erkenne sie schon von weitem, es ist Ami Graves. Auch in meiner Klasse, allerdings unerreichbar, eine von den "Perfekten". Dass wir im gleichen Stadtteil wohnen, haben wir dem zu verdanken das unsere Eltern beide höhere Posten in der Regierung haben, ich habe ihre Mutter einmal im Fernsehen gesehen.
Ich habe mich schon dafür entschieden so zu tun als wäre sie nicht da und will mit meinem Holzkopf reingehen. Da ruft sie plötzlich: „Hallo Carlie!" Verwirrt drehe ich mich um. Sie kann nur mich meinen. Normalerweise tun wir beide so als würden wir uns nicht kennen und damit sind wir beide auch soweit zufrieden. Normalerweise.
„Ähhm... Ja?" frage ich. Und werde rot. Warum bin ich bloß so schüchtern! Außerdem hätte ich sie einfach weiter ignorieren können. Toll gemacht! Erst denken dann reden, Carlie. „Alles okay, ich wollt nur Hallo sagen." sagt sie und lächelt freundlich. „Wie hast du den gemacht?" fragt sie und deutet auf den Kopf, den ich immer noch in der Hand halte. Ich kann immer noch nicht ganz fassen, dass mir die Ehre zuteil wird ein Wort mit Ami Graves zu wechseln. Das klingt extrem übertrieben, aber es ist so. Die Perfekten bleiben unter sich und reden nie mit niemandem, außer den Lehrern. Das ist sowas wie ein Gesetz. Insbesondere Ami Graves, denn sie ist sowas wie die Anführerin der Clicke.
Ich frage dümmlich „Den?" und deute auf den Kopf. Ami zieht eine Augenbraue hoch. Offenbar wird es ihr langsam auch zu doof. Ich würde am liebsten im Erdboden versinken. „Ähh... Ja?" sagt sie. „Habe ich gerade geschnitzt." sage ich knapp, zum Glück ohne zu stottern.
„Cool.. Ähh... Ich muss jetzt nach Hause... Noch was machen... Tschüss dann!" sagt Ami und geht eilig davon, als wäre ich eine hoch ansteckende Krankheit. Naja, ... etwas anderes hätte ich nicht erwartet, wenigstens ist das Gespräch jetzt beendet, ich muss keine sinnlosen Sätze mehr stottern und kann mich nicht noch mehr blamieren. Erleichtert atme ich aus. Dann gehe ich rein, mit dem Kopf in der Hand.
Ich sitze am Tisch, höre Musik und kritzele etwas vor mich hin. Da wird die Haustür aufgemacht. Meine Mutter kommt rein, zieht die Jacke aus und hängt sie an die Garderobe. „Hallo." sagte ich. „Hallo Carlie" ruft sie zurück. Mit ihr habe ich ein besseres Verhältnis als zu meinem Vater. Aber ihre Treue gilt der Regierung, das sollte jeder wissen. Jedes Wort das gegen die Regierung sein könnte wird von ihr zerrissen. Wir haben so ein Verhältnis wie Nachbarn zueinander, die sich gegenseitig nicht stören und die sich nicht in die Sachen des anderen einmischen.
Meine Mutter geht zum Kühlschrank. Sie holt 2 Flaschen Vitaminsaft aus dem Schrank. Ich mag ihn nicht so gern, denn irgendwie werde ich davon immer so leicht schläfrig, aber trotzdem muss ich ihn trinken, meine Familie hält sich ganz genau an den offiziellen, geprüften und empfohlenen Ernährungsplan der Regierung. „Wie war die Schule?" fragt meine Mutter. „Ganz gut." erwidere ich. „Wann kommt Vater?" frage ich so beiläufig wie möglich. „Dein Vater hat noch eine Extraschicht und kommt daher etwas später." sagt sie. Ich muss ein erleichtertes Aufseufzen unterdrücken. Also werde ich bis Morgen von ihm verschont bleiben. „Warum?" fragt meine Mutter und schaut mich eindringlich an. Erwischt. Ich werde rot und stottere: „Äh... Nur so... Ich... äh..."
„Habt ihr euch gestritten?" hakt sie nach. Ich nicke ergeben, es hätte sowieso keinen Zweck es zu verleumden, ich kann einfach nicht lügen. Sie nickt erst, dann seufzt sie.
Ich schalte das Watchboard an und wir gucken die Nachrichten, sehen erst die Rede von Doreen Clarks in den äußeren Einheiten, dann ihr Interview. Ich schaue auf den Bildschirm ohne wirklich zuzuhören. Aber Nachrichten schauen ist am Abend Pflichtprogramm, wenn ich meine Mutter jetzt vorschlagen würde einen Film wie „One" zu gucken, würde sie komplett die Fassung verlieren, bei ihr gibt es nur die Regierung und nichts anderes. Der Beruf ist sozusagen ihr Leben, etwas anderes kann sie sich nicht vorstellen. Aber ich würde es mir sowieso nicht trauen, ihr so eine Frage zu stellen.
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Lüge // On Hold
Science FictionEine Stadt der Zukunft. Perfekt, ohne Fehler, alles ist schon erfunden, die Menschen leben in Frieden und Einklang. Carlie Hill ist eine von ihnen, ein ganz normales Mädchen, das in der Einheit 048 lebt. Bis sie etwas erfährt, ein Geheimnis, das die...