Kapitel 8

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Ich wache auf. Ich schaue kurz auf die Uhr, die an der Wand hängt. 9 Uhr. Mist. Nur noch eine Stunde Zeit alle Sachen zu packen, zu essen und mich fertig zu machen. Ich reiße meinen Schrank auf, reiße alle Jacken von den Bügeln und schmeiße sie in meinen Koffer. Das gleiche mache ich mit meinen Hosen, Socken und T-Shirts bis der Schrank ganz ausgeräumt ist. Dann gehe ich ins Bad und putze mir die Zähne. Als ich fertig bin habe ich trotzdem nur noch 10 Minuten und ich bezweifle das ich es jetzt noch schaffe etwas zu essen. Tja, das hast du dir selbst zu verdanken, Carlie. Ich hätte den Wecker stellen sollen, ich hätte mich nicht mit Alice prügeln sollen, dann wäre das alles nicht passiert.

Ich schmeiße mich aufs Bett. Nur noch ein paar Minuten schlafen... Es klopft laut an der Tür und ich schrecke aus meinem Halbschlaf hoch. „...Carlie! Du musst nach unten kommen!" brüllt eine Stimme, die mich endgültig wieder wachrüttelt. „Komme schon." murmele ich, allerdings so leise das die Stimme es sicher nicht gehört haben kann. Schnell springe ich auf, nehme den Koffer und meine Jacke mit. Dann reiße ich die Tür auf, aber draußen steht keiner mehr. Ich zucke mit den Schultern.

Auch egal. Ich sprinte los, zur Treppe und reiße den Koffer mit. Nur hat der Koffer mehr Gewicht und nimmt mich dir Treppe runter mit. Rums. Ich beiße die Zähne zusammen und reibe mir den Kopf. Wankend stehe ich wieder auf und gehe, diesmal langsamer, die Treppe runter. Unten erwarten mit schon Ms Sterling und meine Mutter. „Guten Morgen Carlie, ich hoffe du hast gut geschlafen. Du wirst gleich mit deiner Mutter mit nach Hause fahren. Die halbe Strecke mit dem Bus, dann steigt ihr auf den Gleiter um." sagt sie und lächelt mir aufmunternd zu. „Den Plan habe ich deiner Mutter gegeben." Als wir in den Bus einsteigen, sind schon andere Leute im Bus. Ich setze mich nach vorne ans Fenster, meine Mutter neben mir. Sie hat die Lippen aufeinander gepresst und liest schweigend auf ihrem AFR. Ich schaue aus dem Fenster und betrachte die Landschaft. Bäume mit grünem Laub und frischen Blumenwiesen. Glitzernde Seen. Tolles Panorama, allerdings sieht es fast überall, außer in den Einheiten 9001 bis 10.000 so aus.

Auch unser Wetter wird streng kontrolliert. Durch Geräte, die unser Wetter bestimmen und berechnen. Dann kommen wir in dicht besiedeltere Gebiete, bis wir schließlich durch die Stadt fahren. Ich vermeide es meine Mutter anzusehen und krame in dem Rucksack herum um irgendwas zu tun. Dann müssen wir umsteigen. Als wir uns setzen, räuspert meine Mutter sich. „Carlie..., wir haben einen Therapeuten für dich arrangiert. Wenn wir Zuhause sind wirst du ihm von dem Vorfall erzählen und seine Fragen beantworten." Dann verfällt sie wieder in ihr Schweigen. Ich schaue mit offenem Mund nach vorne. Ein Therapeut? Ich soll therapiert werden? Das ist nicht euer Ernst oder? Nein. Ich kann es nicht fassen. Das darf nicht wahr sein. Ich bin doch kein Psycho.

Oder vielleicht doch? Wie konnte ich so etwas nur tun? Gib es doch zu. Flüstert die Stimme in meinem Kopf. Du wirst verrückt. Das merkt man zuerst gar nicht. Aber auf jeden Fall habe ich mir das alles selbst zuzuschreiben. Da bin ich mir einig. Ich darf mir das nie verzeihen. Sonst mache ich das wohl möglich noch einmal. Wir sind da. Der Gleiter hält an und wir steigen schweigend aus. Wir gehen den Weg entlang und höre, wie unsere Schuhe auf dem Asphalt auf kommen. Dann gehen wir die Straße entlang. Lachende Leute kommen uns entgegen. Ich fühle nichts. Mechanisch setzte ich einen Fuß vor den anderen aber in Gedanken bin ich weit woanders. Am liebsten würde ich mich irgendwohin verkriechen und nie wieder rauskommen. Ich schrecke auf als ich ein Summen höre, mit dem unsere Haustür aufgeht und wir den Flur betreten. Ich ziehe meine Jacke aus und hänge sie an einen Haken und streife mir meine Schuhe von den Füßen. Mein Vater und ein anderer Mann mittleren Alters sitzen an einem Tisch und trinken schweigend ihre Tassen aus.

Mein Vater hat die Lippen zu einem Schmalen Strich verzogen, so wie meine Mutter vorhin, und als er mich entdeckt wendet er den Blick ohne die Miene zu verziehen ab. Der Therapeut lächelt mich freundlich an, aber das beruhigt mich nicht. Meine Knie zittern und vergeblich versuche ich es zu unterdrücken. Das Zittern nimmt nur noch zu. Ich senke den Blick zu Boden und schweige. „Bist du Carlie?" fragt der Therapeut. Ich hebe den Blick und nicke langsam. Ja, die Carlie, die ihre beste Freundin verprügelt hat, die bin ich. Der Therapeut nickt auch. „Freut mich, Carlie. Ich bin Dr. Adams." sagt er und reicht mir die Hand. Automatisch schüttele ich sie. „Deine Eltern haben mir von dem... Vorfall erzählt und ich finde wir sollten einmal darüber sprechen. Manchmal hilft das die Dinge besser zu verstehen." sagt er freundlich. Meine Mutter geht aus dem Zimmer und auch mein Vater erhebt sich. „Ich hoffe sie können ihr weiterhelfen." sagt er, ohne mich anzugucken. Der Therapeut lächelt. „Das hoffe ich auch." Mit seinem ganzen Lächeln, Nicken und seinen Möchte-gern Philosophensprüchen geht er mir langsam echt auf die Nerven. Wie soll das mir bitteschön helfen? „Okay. Wollen wir mal beginnen. Wir ich gehört habe, hast du dich mit deiner Zimmergenossin gestritten, und hast sie getreten und geschlagen, als die Situation eskaliert ist." sagt er. „Ja." sage ich tonlos. „Du schlägst dich sonst nicht, nehme ich an?" fragt er. „Ja." erwidere ich. „Wie hat konnte das denn dann passieren?" fragt er. Tolle Frage. „Ich weiß es nicht." sage ich. Dr. Adams runzelt die Stirn. „Wie hat es denn angefangen?" Ich habe keine Lust die Fragen zu beantworten, also lüge ich. „Keine Ahnung." Dr. Adams schaut mich an. „Sie lügen." sagt er mit einer Bestimmtheit, die mich gruselt. Wie kann er das wissen? Hat er einen Lügendetektor dabei?

Ich lehne mich nach hinten und vermeide es ihn anzusehen. „Sie sagte ich solle weggehen, als ich ins Zimmer gekommen bin." sage ich und stocke. „Und Weiter?" „Ähm, ja, wir haben uns gestritten und dann ist es aus geartet." sage ich. „Genauer?" Seine blöden Fragen machen mich gereizt und ich bin bemüht, es nicht zu zeigen. „Als sie gesagt hat ich solle weggehen habe ich Nein gesagt und dann ist... Dann ist mir was raus gerutscht und ihre Antwort hat mich noch wütender gemacht, dann habe ich sie angeschrien und sie ist auch wütend geworden. Ich habe ihr ins Gesicht geschlagen und die Situation ist eskaliert." sage ich, unbeteiligt rattere ich alles runter, als würde es gar nicht um mich gehen, sondern nur um eine Geschichte die eine Freundin mir erzählt hat.

„Wir haben uns geschlagen, die Tür ist aufgegangen unsere Lehrerin ist reingekommen und ich bin weggerannt." Der Therapeut seufzt. „Das klingt aber nicht danach dass du dich da zum ersten Mal geprügelt hast. Lässt du dich den leicht provozieren?" fragt er. „Nein, eigentlich nicht. Das war ein Ausrutscher." sage ich und versuche bestimmt zu klingen. Ich will dass er mir glaubt, das überhaupt jemand mir glaubt. „Okay. Wenn das ein Ausrutscher war, woran denkst du, kann das dann gelegen haben, dass du so schnell die Selbstbeherrschung verloren hast?" fragt er und betrachtet mich aufmerksam. „Ich weiß es nicht." sage ich erschöpft. „Ich... habe einfach die Kontrolle verloren."

Plötzlich will ich nur noch ins Bett und einschlafen, der Realität entfliehen, obwohl es erst 12 Uhr Mittags ist und ich vor ein paar Stunden erst nach Hause gefahren bin. Der Therapeut nickt. „Ich denke das reicht." Er packt seine Tasche und steht auf. Meine Eltern sitzen im Wohnzimmer. Dr. Adams geht auf sie zu. „Wenn es ihnen nichts ausmacht, würde ich morgen um 2 Uhr nachmittags nochmal kommen." sagt er. Meine Eltern nicken stumm. Dann geht er, und lässt die Tür hinter sich zufallen.

Verkrampft stehe ich da. Das Schweigen drückt sich auf meine Schultern und desdo mehr Zeit vergeht, desdo weniger halte ich die Stille aus. Schließlich wende ich mich zum Gehen.

„Wie konntest du nur! Uns so etwas antun!" schreit mein Vater in die Stille hinein. Ich zucke zusammen und drehe mich um. „Weißt du was wir ertragen mussten?! Unser ganzer Ruf ist ruiniert! Mitten in der Nacht steht plötzlich die Jugendkriminalitätspolizei vor der Tür und bittet uns sie zu begleiten! Dann fragt sie uns und darüber aus ob du schon mal jemanden körperlich verletzt hast und ob du kriminell erfahren bist! Wenn wir es nicht verhindert hätten wärst du vors Gericht gekommen und hättest dich einem Strafprozess unterziehen müssen und wärst dem Aufsichtsrat gemeldet worden! Deine Lehrerin hat uns heute morgen benachrichtigt, sagte wir müssten dich abholen kommen! Du kannst froh sein dass wir überhaupt noch ein Wort mit dir reden!"

Brüllt er weiter. Meine Mutter steht auf. „Carlie, wir sind sehr enttäuscht von dir." sagt sie. Sie schreit nicht, schaut mich nur an. „Geh jetzt bitte nach oben in dein Zimmer." Die Worte treffen mich mehr, als die meines Vaters. Sonst sagt Mama nie etwas gegen irgendwen. Ich wende mich ab und gehe nach oben. Ich reiße die Fenster auf und atme die frische Luft ein. „Carlie, wir sind sehr enttäuscht von dir." Der Satz hat sich in meinem Kopf fest gesetzt und er klingt immer noch nach.

Ich habe meine Eltern enttäuscht. Ich habe sie blamiert und bloßgestellt. Sie werden mir nicht verzeihen. Auch wenn ich nicht weinen will, ich habe diese Tage schon genug geweint, kommen die Tränen doch. Die alte Carlie hätte so etwas niemals getan. Die alte Carlie würde durch eine Monster Carlie ersetzt. Die Tränen versiegen. Das war's. Jetzt bin ich kein ordentliches Regierungskind mehr, ich bin ein erbärmliches Waisenkind aus Einheit 10.000. Mein Leben ist vorbei. Ein Fehler, und man fällt in die Dunkelheit, aus der es kein Entkommen gibt. Ich muss mich damit abfinden. Ich habe nichts mehr. Keine Freunde, keine Ehre, keine Familie, keine Leben. Vielleicht sollte ich mich einfach von der Brücke stürzen. Ich schüttele den Kopf. Nein, so tief bin ich nicht gesunken. Ich darf dem Carlie Monster nicht die Oberhand lassen. Ich darf keinen Fehler mehr machen. Keinen einzigen, keinen noch so kleinen.

Tja, das Kapitel kam jetzt wieder später, allerdings war ich eine Woche weg, auf Hallig Hooge, da konnte ich nicht schreiben und ich hatte noch ein paar andere Termine (Außerdem bin ich grade im Harry Potter Bastelfieber, da hat man einfach nicht so viel Zeit :'D). Nur damit das Kapitel heute noch fertig wird, habe ich jetzt auf den letzen Drücker geschrieben. Halbe Stunde vor Mitternacht. So spät schreibe ich eigentlich nie! :D

Lüge // On HoldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt