Einsam?

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Ich komme nun nach Hause und es ist still. Ich wache auf und es ist still. Es ist nicht einsam-still, sondern endlich friedlich-still.

Seit ich denken kann finde ich keine Ruhe. Meine Gedanken kreisen und rasen, gehen rückwärts und nach rechts und nach oben und wieder rückwärts, wobei ich vergesse, wo sie anfingen und während ich darüber nachdenke, dass ich vergessen habe, wo sie anfingen, habe ich vergessen, wo sie aufhörten und ich komme nie zum Punkt und alles um mich herum dröhnt und Menschen schmatzen oder kauen vielleicht auch bloß und der Fernseher ist zu laut und ich fasse fast einen klaren Gedanken, dann klopft es an der Tür und ich kann mich selbst nicht denken hören und ich bin ständig nervös, habe Angst und wackle mit dem Bein, ich habe Kopfschmerzen und ich kann nicht gerade stehen weil mein Kopf nicht gerade denkt und mein Herz nicht gerade fühlt und es nervt, wenn ich Fingernagel an Fingernagel reibe und wenn ich mit dem Bein wackle sowieso und ich kann nicht sagen, dass mein Gegenüber aufhören soll, zu kauen, weil das unhöflich ist und weil ich es auch nicht hören wollte und weil es gar nicht seine Schuld ist und wenn ich mir die Ohren zuhalte, wirke ich wie ein Kind und man, ich hatte nie die Chance ein Kind zu sein und scheiße, ich schaue schon wieder so böse undhäwartewashabichnochmalgeradegedacht...

Nie hatte ich einen sicheren Hafen, an dem ich entkommen konnte. 

Zuhause war es zwar manchmal still, wenn niemand zuhause war. Aber sie konnte noch so weit, noch so lange weg sein, ich bin nervös. Mein Blick geht zur Tür, wenn ich etwas höre, ich schalte meinen Bildschirm aus, klappe mein Buch zu und lausche. Schaue, ob ihr Auto in der Einfahrt steht. Wenn ich abschließen sollte und sie versuchen sollte, reinzukommen, wird sie panisch werden, weil sie denken wird, ich hätte mir etwas angetan, obwohl es fünf Jahre her ist. Daher schließe ich nicht ab, weil sie das nicht mag, schrecke bei jedem Geräusch zusammen und verhalte mich ruhig. Ich weiß, dass sie mir nichts tut. Sie anzusehen reicht, um Übelkeit hervorzurufen und ich will kein Gespräch mit ihr führen müssen, will nicht, dass sie so tut, als würde ich sie interessieren und vor allem nicht, dass sie denkt, sie würde mich interessieren. Wir leben aneinander vorbei und die schlimmsten Teile des Tages sind die, an denen wir es ausnahmsweise nicht tun. An denen sie halbherzig versucht, es nicht zu tun, um gesagt zu haben, sie hätte es versucht. 

Natürlich sind manche Tage einsam, aber ich schätze die Einsamkeit. Ich nehme sie dankend entgegen, wenn sie die Alternative ist. Denn vor allem ist es jetzt ruhig. Friedlich. Es riecht nicht nach Alkohol oder Zigaretten, ich ersticke nicht in der Hitze des Raums, nichts verschimmelt und ich schaue nicht mehr ganz so böse, habe nicht mehr jeden Tag Kopfschmerzen. 

Trotzdem schließe ich mein Zimmer ab. Ich habe keine Angst vor Einbrechern. Trotzdem zucke ich zusammen, wenn ich im Hausflur etwas höre, klappe mein Buch zu und schalte meinen Bildschirm aus. Trotzdem weine ich fast, wenn mir etwas runterfällt. Mein Unterbewusstsein erwartet sie. Sie lauert wie ein Geist in meinen Wänden, sie schaut auf mich herab und jederzeit könnte sie anfangen zu schreien oder zu lachen und ich weiß nicht, was schlimmer wäre.

Ich habe ein großes Stück Freiheit zurückgewonnen. Aber der eine Gedanke bleibt:

Wann werde ich sie los? Wird man sie jemals los? 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 04, 2023 ⏰

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