Findung

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Der Nebel der Morgendämmerung ist eisig und man spürt jeden Wassertropfen auf der kalten Haut. Der ganze Wald erweckt den Eindruck, als wäre er unter einem dichten Schleier verhangen. Kein Sonnenstrahl durchbricht die tiefe Wolkendecke.

Meine nackten Füße berühren den belaubten Waldboden, der angefeuchtet ist. Sie nehmen die Kälte sofort auf, aber das kümmert mich nicht im Geringsten. Hoch oben fliegt an einer Baumkrone ein Rabe vorbei, aber er ist stumm. Kein Kreischen erfüllt die Luft. Ich sehe ihm nach, bis ihn der Nebel vollends verschluckt hat.

Ich mache einige Schritte auf eine Gruppe Tannen zu, die zwischen all den anderen Bäumen wie eine Festung aussieht. Der Anblick enthält etwas Trauriges, aber auch etwas Magisches. Unter dem Dach der Tannen ist es noch düsterer als außerhalb. Sie scheinen das etwas Licht, das hineinströmen könnte, zu verschlucken und etwas Dunkles zurückzulassen. Der Nebel ist hier etwas dichter und ich blicke zu meinen Füßen, um zu sehen, mit was für einer Art Boden ich zu tun habe. Ich bin froh, als ich die bloße Erde sehe, die mit ein paar braunen Tannennadeln geziert ist.

Ich hebe wieder den Kopf und halte nach etwas Verdächtigem Ausschau, doch es rührt sich nichts. Als hätten sich alle Tiere verabredet den ganzen Tag zu schlafen. Ich kann nur meine eigenen Schritte hören, wobei auch diese durch den Nebel gedämpft werden. Dann, plötzlich, sehe ich etwas funkeln. Wie der Schmuckstein in einem Hochzeitsschleier, nur dass dieses Glitzern nicht weiß, sondern von einem eisblauen Ton ist. Ich versuche die Quelle des Leuchtens auszumachen, aber es scheint, als sei es so schnell verschwunden wie es gekommen war.

Ich bewege mich aus der Festung auf einen lichteren Platz und schaue mich vorsichtig um. Nur mein leichtes Atmen ist zu hören. Stille. Ich lausche, wie Luft meinen Körper verlässt und hineinströmt. Nach einer Zeit, von der ich nicht sagen kann, ob es Sekunden oder Minuten waren, meine ich zu glauben, ein weiteres Atmen zu hören. Langsamer und tiefer. Ein aufkommender Wind wirbelt eine Strähne meiner Haare in mein Gesicht. Keuchen. Meine Muskeln spannen sich an. Der Boden ist nicht mehr kalt. Hinter mir steht das Ungetüm, das so lange verschollen war. Das Suchen hat ein Ende. Hoffentlich nicht auch mein Leben.


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