Wo bist du.

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Ich sehe ein Mädchen.

Mit geneigtem Kopf steht sie schwarz im Nebel, der über ihr hängt.

Wo ist sie.

Sie sieht über ihre Schulter und ich sehe, dass sie nichts sieht. Ihr Blick wendet sich nach vorne und sie geht einige Schritte. Ich folge ihr. Sie bleibt stehen, sinkt zu Boden.

Was ist mit ihr.

Die schwarzen Haare verdecken ihr Gesicht. Ich sehe sie nicht.

Ich mache einen Schritt. Ich bin barfuß und der Boden ist kalt und die Kälte scheint mein Blut zu gefrieren und mein Blut ist schon lange erstarrt.

Erstarrt.

Ist auch das Mädchen erstarrt, sie sieht nichts. Nie hat sie jemand gesehen.

Ich sehe das Mädchen und der Nebel verdichtet sich. Je näher ich gehe, desto dichter wird der Nebel, desto nasser meine Haut.

Sie erhebt sich und dreht sich mit erhobenen Kopf gen Himmel, als ob sie etwas erwartete.

Was soll da kommen?

Sie weiß es nicht. Ich sehe es nicht. Ich trete weiter zurück, damit ich sie besser sehe. Mein Blick wird klarer. Warum kann ich nicht näher heran und sie gleichzeitig sehen?

Ein Stechen durchzieht meinen Körper. Ich falle auf den Boden.

Das Mädchen steht im selben Moment auf. Sie blickt in meine Richtung. Sie sieht mich.

Ich wische mir die Glasperlen vom Gesicht, die trotzdem auf meiner Haut verweilen. Ich kann sie nicht abschütteln.

Das Mädchen scheint sich zu nähern, läuft in meine Richtung. Sie ist größer als ich dachte. Eine junge Frau. Ich hebe meinen Blick erwartungsvoll.

Doch plötzlich bleibt sie stehen. Bleibt stehen und schaut einfach nur in meine Richtung.

Sie sieht mich.

Sieht sie mich.

Sie macht ein paar Schritte zurück und sammelt sich. Sie streckt einen Arm in meine Richtung. Sie läuft weg, an den Platz, an dem sie am Boden lag.

Ich stehe auf und mein Gesicht wird von einem Wassertropfen getroffen. Ich schaue nach oben, doch ich sehe nichts.

Soll da Regen kommen?

Ich will zu dem Mädchen rufen, doch kein Schrei entweicht meiner Seele. Ich bleibe stumm und eine zweite Perle trifft meine Haut. Meine Haut zerreißt. Ich kann das Mädchen nicht erreichen, habe ihr so viel zu sagen. Doch ich komme nicht zu ihr. Etwas nicht Greifbares.

Der Nebel umhüllt mich. Die Perlen werden mehr und bald sind überall Regenbänder, gekreuzt von Nebelschwaden.

Ich stehe. Sie kauert.

Ich will sie kennen. Ich will es wissen.

Die eisernen Perlen fließen über meine Haut. Heißkalt.

Der Nebel verflüchtigt sich durch das Wasser und dann steht das schwarze Mädchen vor mir.

Meine Haare verdecken mein Gesicht. Sie steht dort, ich hier.

Will ich zu ihr.

Sie sieht mich an. Ein unmöglich zu deutender Blick.

Sehe ich sie.

Mein Blut ist gefroren. Erfroren mein Gemüt, mein Sein.

Wo bin ich. Wo ist sie.

Ich erkenne Raum und Zeit nicht. Lasse mich fallen. Bis zum Boden.

Wer errichtet mich.

Wir stehen dicht voreinander. Ich erkenne ihr dunkles Gesicht nicht. Sie erkennt mich nicht. Wir heben gleichzeitig einen Arm, sie den linken, ich den rechten. Wir spreizen unsere Finger, wollen uns berühren. Ihre schwarzen Finger sind Sekunden von meinen entfernt.

Als sie sich berühren fühle ich Hoffnung. Erwartung.

Sie ist weg. Auf einmal aufgelöst.

Meine Hand war weiß.




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