Abwarten

12 3 1
                                    

Ich stehe im Nebel. Die eisernen Wassertröpfchen legen sich auf meine kalte Haut und stechen wie kleine Nadeln in die dünne Oberfläche. Die Silhouetten der Bäume um mich herum sind verblasst und ich sehe keine Menschen. Hier ist niemand.

Ich laufe weiter, doch ich sehe nichts. Niemand, der mich klar sieht. Ich streiche mir über meine mit kühlem Tau benetzen Lippen und sehe nach oben. Ein heller Fleck, grau, als Sonne erkennbar am Himmel. Ich spüre ihre Wärme nicht. Komm zu mir.

Ich laufe weiter den geteerten Berg nach oben. Weiter in das Unbekannte. Ich wünschte, ich wüsste wohin. Bist du dort oben? Wartest du? Denn ich warte schon lange. Meine Füße sind schwer und ich will aufhören zu laufen. Um mich herum Stille. Rechts von mir ein weites Feld, links von mir eine eingedeckte Hecke. Soll ich weiter laufen? Der Nebel verdichtet sich.

Ich schlinge meine Arme um mich, um zusammen zu bleiben. Nichts bricht mich. Plötzlich bleibe ich stehen und sehe hinter mich. Ich erkenne nichts, was ist dort? Siehst du mich? Kommst du irgendwann zu mir? Ich lasse meine Arme sinken. Wasser fließt nach unten, über meine Haut. Meine Fingerspitzen tropfen.

Ein schwarzer Schemen scheint aus dem Dunst zu erscheinen. Ein großer dunkler Fleck, der auf mich zukommt. Meine Seele bebt. Wer bist du? Bist du es? Schwebend kommst du näher; dein Lächeln unverkennbar und so ehrlich. Versprochen, dass du kommst, irgendwann. Ich hatte schon fast aufgegeben.

Dann stehst du vor mir, einfach so. Sagst nichts und stehst nur lächelnd da, als würdest du die Dunkelheit verdrängen. Als würdest du mein totgeglaubtes Licht entflammen. Du öffnest dich und nimmst mich in deine Arme. In dieses vertraute, als wäre es nie weg gewesene, Etwas. Ich halte dich fest, weil du nie wieder gehen sollst. Ich schließe die Augen und ich sehe Licht. Salz tränkt meine Wangen. Nach all diesem Warten bist du wieder da. Ich spüre deine Wärme. Du bist bei mir.

Du gibst mir, was ich brauche. Ich öffne meine Augen wieder. Ich sehe dichten Nebel. Bäume, von denen nur Silhouetten zu erkennen sind. Eiskalte Stiche auf meiner Haut. Du bist weg. Wieder weg und ich drehe mich um. Das Salz auf meinem Gesicht erfriert. Wieder weg und du lässt mich zurück.

Ich verschränke die Arme und bewege meine Beine bergaufwärts. Grau in grau. Über mir fliegt ein schwarzer Rabe. Er krächzt einmal und verschwindet im Nebel vor mir. Stille umhüllt mich. Ich bin allein. Du, meine Hoffnung, auf die ich setze, die ich erwarte. Du entzündest mein Licht und entfachst meine Freude. Bitte behalte das. Momentan nicht greifbar wie der Nebel, aber in Zukunft ein Teil von mir. Ich werde weitergehen und beharren auf das, was da kommt. Dort wird jemand sein. Ich freue mich darauf. Doch jetzt bin ich hier und ich sehe keine Menschen. Du dort. Ich hier. Können wir am selben Ort sein?

Über mir ein heller grauer Fleck. Kein Sonnenstrahl trifft mein Gesicht.

Ich laufe weiter.

Ich warte ab.

KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt