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Entschieden verschränke ich die Arme vor der Brust. »Vergiss es!«

»Bitte«, bettelt Emma und zieht dabei das eine Wort unerträglich in die Länge. Gepaart mit ihrem Robbenbabyblick fällt mir es mir zunehmend schwerer, standhaft zu bleiben. Und das weiß sie auch ganz genau! »Tu es für die Kinder.« Ihre Lippen verformen sich zu einem triumphierenden Lächeln, bevor sie ihre letzte Waffe zum Einsatz bringt. »Außerdem habe ich noch was gut bei dir. Schon vergessen?«

Ich hasse es, wenn sie die besseren Argumente hat. Warum habe ich Idiot sie auch nach oben gelockt?

Vielleicht, weil du willst, dass sie Vertrauen in sich und ihre Kraft findet?

Das bedeutet aber noch lange nicht, dass ich mich deswegen zum Affen machen muss. Missmutig sehe ich zu dem roten Stück Stoff, das sie mir entgegenhält.

»Zieh es wenigstens mal an, hmm? Danach kannst du immer noch Nein sagen.«

Als wenn ich dann noch eine Wahl hätte. »Wieso fragt Charlotte nicht einfach jemand anderen?« Es ist der letzte verzweifelte Versuch, meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, aber Emma zieht immer fester an dem Strick.

»Hat sie. Die sind alle schon ausgebucht.«

Hervorragend. Wenn ich jetzt Nein sage, bin ich der Arsch, der den Kids das Fest vermiest.

»Außerdem hast du eben so süß mit der Mütze ausgesehen. Da steht dir der Rest bestimmt auch super.« Erneut hält sie mir das Kostüm hin.

Widerwillig ziehe ich es ihr aus den Händen, stehe von der Couch auf und knöpfe unter Emma größer werdenden Augen meine Jeans auf. Mittlerweile kann sie sich zwar einigermaßen beim Sex fallen lassen, allerdings nur solange das Licht aus ist und sie weiterhin alles unter Kontrolle behält. Wobei sie die Initiative immer schön mir überlässt. Eigentlich finde ich es ja ganz niedlich, dass sie so verklemmt ist, manchmal wünsche ich mir jedoch ein wenig mehr Spontanität. Schließlich kann man nicht nur unter der Decke im Bett Sex haben.

Jetzt zum Beispiel, wirft der Teil zwischen meinen Beinen ein, nachdem ich ihn von dem steifen Stoff befreit habe.

Emma scheint es auch zu bemerken, sagt aber nichts dazu. Mit hochrotem Kopf greift sie zu ihrer Tasse und trinkt einen großen Schluck.

Als ich auch noch mein T-Shirt loswerden will, stoppt sie mich. »Das ... äh ... kannst du auch anlassen. Ich meine, der Mantel ist bestimmt kratzig und ...« Sie räuspert sich. »Außerdem haben wir ja noch etwas vor.«

»Was denn genau?« Um sie aus der Reserve zu locken, komme ich ihr näher.

»Die ... äh ... Lichterketten. Ja, genau. Wir wollten doch dekorieren.«

Ich gebe es auf. Hätte ich nicht so viel Selbstbewusstsein, würde ich mir glatt Sorgen machen, nicht anziehend genug für sie zu sein. Dabei waren wir doch schon mal weiter.

Darum bemüht, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, zwänge ich mich in das dämliche Kostüm. »Zufrieden?« Ich strecke die Arme aus.

Eine Weile beobachtet sie mich, nickt dann. »Du siehst toll aus.«

Ja, angezogen vielleicht. Oder steht sie Wahrheit auf versaute Rollenspiele? Glaub ich kaum.

Schluss damit! Sex ist ja wohl nicht alles. Außerdem ist es ja nicht so, dass ihr gar nicht miteinander schlaft. Also krieg dich wieder ein. Es gibt Wichtigeres.

Stimmt. Emma davon überzeugen, dass das hier eine absolute Schwachsinnsidee ist zum Beispiel. Das kaufen die Kids uns doch nie im Leben ab. Schließlich bin ich öfter bei Charlotte. Und gerade Zoé kommt ab und an zu uns. Erst war sie mir gegenüber ziemlich scheu, weshalb ich sie und Emma meistens alleine gelassen habe. Aber so langsam wird sie warm. Letzte Woche haben wir sogar kurz zusammen gequatscht. Sie wird mich erkennen. Da verwette ich meinen Arsch drauf.

Trotzdem gebe ich mich geschlagen und unterschreibe damit mein sicheres Todesurteil. »Okay. Ich mach's.«

»Wirklich? Danke!« Freudestrahlend fällt sie mir um den Hals, schnappt sich aber, bevor ich mir meine Entschädigung abholen kann, ihr Handy und tippt emsig darauf herum.

»Ich werde Charlotte gleich die gute Nachricht überbringen.«

***

»Oh Gott! Ich kann gar nicht hinsehen!«

Amüsiert blicke ich zu Emma, die sich tatsächlich die Augen zuhält.

»Keine Panik. Ich mache das nicht zum ersten Mal.« Schließlich kraxele ich öfter mal in luftigen Höhen rum.

»So genau will ich das gar nicht wissen!«

Ich muss schmunzeln. Sie ist und bleibt ein Angsthase. Stundenlang hat sie mit mir darüber diskutiert, dass ich mich sichern soll. Dabei sind das hier gerade mal ein paar Meter.

»Gib mir mal mehr Leine«, rufe ich runter, woraufhin sie widerwillig die Hand vom Gesicht nimmt und anfängt, das nächste Stück der Lichterkette zu entwirren. Nach drei weiteren gescheiterten Versuchen haben wir uns dazu entschlossen, dem Kabelsalat an Ort und Stelle an den Kragen zu gehen.

Bisher sind wir dabei ein ziemlich gutes Team und wären vermutlich auch längst fertig, wenn Emma nicht zu sehr damit beschäftigt wäre, mir zu sagen, dass ich aufpassen soll, anstatt sich um die Bodenarbeit zu kümmern.

Als ich mich verheddere und kurz mit dem Tacker in der Hand ins Straucheln gerate, bekommt sie fast einen Herzinfarkt und quietscht erneut. »Komm sofort darunter! Bitte!«

Zeit für eine kurze Pause, bevor sie noch die halbe Nachbarschaft zusammen schreit.

Nachdem ich von der Leiter gestiegen bin, drückt sie mich erstmal an sich, als hätten wir uns monatelang nicht gesehen.

»Hey. Nichts passiert«, versuche ich, sie beruhigen. Ohne Erfolg.

»Aber es hätte. Geh nicht mehr da rauf.«

»Und was ist mit der Weihnachtsdeko?«

»Vergiss das. Es reicht, wenn wir drinnen alles schmücken und den Baum.«

»Und was machen wir dann mit dem Rest?« Ich kann den Krempel ja nicht einfach hier liegenlassen.

Sie zieht eine Schnute. »Mir egal.«

Noch einmal versuche ich, sie umzustimmen. »Wir haben es doch bald geschafft, hmm?«

»Wieso müsst ihr hier überhaupt eure kompletten Häuser einwickeln?«

Eine Frage, auf die ich keine Antwort habe. Ich kenne es nicht anders. »Mom und Dad haben das früher immer schon so gemacht.« Neben Thanksgiving ist Weihnachten für sie das schönste Fest im Jahr. Und auch wenn der Kram in den letzten Jahren nicht zum Einsatz kam, mag ich es auch irgendwo. Es hat was Gemütliches. Zumindest wenn man es nicht übertreibt wie manch einer in der Siedlung, dessen Vorgarten zum quietschbunten Vergnügungspark mutiert. »Außerdem magst du das doch auch.« Hat sie zumindest behauptet.

»Dann habe ich meine Meinung jetzt eben geändert.«

Das glaube ich ihr nicht. Wenn ich nur wüsste, wie ich sie davon überzeugen könnte, ihre Angst mal loszulassen und mir zu vertrauen. Emma gibt sich echt Mühe, verfällt allerdings auch oft genug in alte Muster. Ich weiß, dass sowas Zeit braucht. Aber sobald ihre Angst sie regiert, ist kein Rankommen mehr an sie.

»Was ... wünscht du dir eigentlich zu Weihnachten?« Die Worte kommen so abgehackt und gleichzeitig bemüht beiläufig aus ihrem Mund, dass es nur so nach Ablenkungsmanöver stinkt.

Aber gut. Wenn sie mich schon so fragt. Grinsend nähere ich mich ihrem Ohr. »Dich. In roter Schleife.«

Überfordert schnappt sie nach Luft und ich beschließe, noch einen drauf zu setzen. »Nur mit Schleife. Damit ich was zum auspacken hab«, raune ich ihr ins Ohr und muss mir das Lachen verkneifen, als sie sich mit hochroten Kopf nach allen Seiten umsieht und schwer schluckt.

»Äh ...« Sie deutet zum Dach, räuspert sich. »Vielleicht sollten wir doch weitermachen. Wir können die Lichterkette ja nur an der Unterkante befestigen.« Mit wir meint sie wohl mich. Sie wird garantiert nicht da hochklettern. »Ich ... halte solange die Leiter fest.«

Wusste ich es doch. Aber wenigstens können wir jetzt weitermachen.

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