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Jetzt weiß ich, wie Baby sich gefühlt hat, als sie auf der Brücke die Schritte nicht konnte.

Während Joe Cocker auf dem Stuhl steht und die Arme zum Himmel streckt, schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen und stampfe fluchend mit dem Fuß auf den Boden. Egal, was ich versuche, ich komme einfach nicht wieder hoch. Das kann doch wohl nicht so schwer sein, oder? Wenn ich doch nur ein bisschen sportlicher und gelenkiger wäre. Vielleicht sollte ich Toms Angebot, mit ihm joggen zu gehen, doch mal annehmen. Aber dann lacht er mich aus, wenn ich nicht mit ihm mithalten kann oder noch schlimmer: Er nimmt wieder Rücksicht auf mich. Außerdem hasse ich Laufen nach wie vor.

Es ist zum Heulen.

Okay, Emma. Jetzt nur nicht verzweifeln. Du kriegst das hin. Du hast noch über eine Woche.

Leider trägt diese Information nicht unbedingt dazu bei, dass ich ruhiger werde. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Das schaffe ich nie. Ich kann einpacken.

Und dann? Hat Tom nichts zum Auspacken.

Besten Dank, für die freundliche Erinnerung, liebe Stimme in meinem Kopf. Druck macht es auf jeden Fall besser. Der hat mich ja schon immer total angespornt. Nicht.

Da Jammern allerdings genauso wenig bringt, schnappe ich mir den Cowboyhut, den Hank uns bei unserem Trip nach Arizona geschenkt hat, setze das Lied auf Anfang und beginne von vorn.

Wie bereits erwartet versage ich spätestens an der Stelle, als ich rücklings auf dem Stuhl sitze und mich elegant nach hinten gleiten lassen will, schon wieder. Von wegen total einfach. Für Lucy vielleicht. Aber nicht für Menschen wie mich. Selbst wenn mir auf wundersame Weise Bauchmuskeln wachsen und ich es doch noch irgendwie schaffen sollte, wieder hochzukommen, sieht das bei mir ungefähr so grazil aus wie bei einer Sumpfkuh. Und womöglich habe ich bei meinem Glück danach auch noch einen Hexenschuss.

Stöhnend falle ich mich zusammen wie ein nasser Sack. Es ist einfach hoffnungslos.

Aufgeben will ich aber auch nicht. Obwohl mir jetzt schon alles wehtut, gehe ich wieder auf Position und ... kippe diesmal mitsamt Stuhl um.

»Ah!« Schmerzerfüllt kneife ich die Augen zusammen. »Verdammte Scheiße!«

»Was ... wird das, wenn es fertig ist?«

Erschrocken reiße ich die Augen wieder auf. Und als wäre nicht schon schlimm genug, wie ein Marienkäfer auf dem Rücken zu liegen, entdecke ich im nächsten Moment Toms breites Grinsen über mir. Ich will sterben!

»Äh ...« So schnell, wie es mir möglich ist, rapple ich mich auf und suche nach meinem Handy, um die Musik auszuschalten. »Ich wollte ... der Stuhl!« Panisch zeige ich auf den Gegenstand. »Ich wollte die Stuhlbeine saubermachen. Die sind ganz staubig und ...« Mit jedem weiteren Wort erkenne ich, dass das die bescheuertste Ausrede aller Zeiten ist, und schneide mir schließlich selbst das Wort ab.

»Mit deiner Zunge?« Tom sieht sich um. »Oder wo hast du den Lappen gelassen?«

Ja, wirklich sehr witzig!

Immer noch amüsiert greift er nach dem Hut. »Und was wolltest du damit?«

Erwähnte ich bereits, dass ich sterben will? Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt. Wie peinlich kann man bitte sein? Wobei ich von Glück sagen kann, dass ich mich nicht dazu entschieden habe, mein Outfit zu tragen, wie ich es erst vor hatte, um das richtige Feeling zu bekommen. Das wäre die absolute Krönung der Schande gewesen.

Darum bemüht, nicht zu heulen, reiße ich ihm den Hut aus der Hand. »Jetzt gib schon her!«

»Ist alles okay bei dir?« Leider scheint dieser Mann ein eingebautes Radarsystem zu besitzen, das sofort erkennt, wenn etwas nicht stimmt.

Beschämt weiche ich seinem durchdringenden Blick aus. »Sicher. Was ... machst du eigentlich hier?« Er hat doch Dienst. Deshalb wollte ich ja auch üben. Erst jetzt sehe ich die schwarzen Flecken auf seiner Wange und dass er in voller Montur vor mir steht. »Ist irgendwas passiert?« Meine Stimme klingt schriller als beabsichtigt. »Geht es dir gut?«

Ein Lächeln bildet sich um seine Mundwinkel, ehe er sich mir nähert und seine Lippen auf meine legt. »Keine Panik. Wir waren nur gerade in der Gegend. Nur ein kleiner Kabelbrand«, schiebt er ein, beruhigt mich damit allerdings nicht wirklich. »Da dachte ich, ich komm kurz vorbei und gebe dir persönlich 'nen Gute-Nacht-Kuss.«

Im ersten Moment kann ich mich nicht entscheiden, ob ich ihm um den Hals fallen soll, weil er einfach so süß ist, wenn er sich verlegen über den Nacken reibt. Oder ob ich ihn weiter dafür verfluchen soll, dass er einfach unangemeldet hier rein schneit. Gut. Die Tatsache, dass er ebenfalls hier wohnt, dürfte ihn entlasten. Vielleicht sollte ich dann lieber weiter mich verfluchen.

Draußen ertönt eine Hupe. Ist das ...? Hat er nicht gesagt, er wäre vorbeigekommen?

»Hey! Prince Charming! Mach hinne! Ich hab Kohldampf!« Wenn mich nicht alles täuscht, ist das Brian.

Tom verdreht stöhnend die Augen und murmelt etwas wie: »Ich bringe ihn um.«

Erneut dröhnt die Hupe. Wenn sie so weitermachen, wecken sie die ganze Nachbarschaft. »Vielleicht solltest du ... Ich bringe dich noch zur Tür.«

Tom will noch etwas sagen, aber ich bin schneller. Nicht, dass ich ihn nicht bei mir haben wollte, aber ehrlich gesagt bin ich auch ganz froh, dass seine ungeduldigen Kollegen diese peinliche Situation für mich beenden.

Ich drehe mich noch mal um und sehe, dass er seinen Blick durch den Wohnbereich schweifen lässt. »Kommst du?«

»Klar.«

Draußen angekommen erwartet mich die gesamte Truppe. Während Samuel und Brian die Köpfe aus dem Fenster strecken, winkt Ben mir hinter dem Lenkrad zu.

Verhalten winke ich zurück, da steht Tom auch schon hinter mir.

»Na endlich! Ich dachte schon, ich muss verhungern«, meckert Brian, woraufhin Tom die Kiefer zusammenpresst.

»Du wirst dir noch wünschen, es wäre so«, brummt er und ruft dann: »Halt die Klappe, Loius!« Dann wendet er sich entschuldigend an mich. »Sorry, er ist und bleibt einfach ein Idiot.«

Als ob ihn die Anwesenheit der anderen gar nicht stören würde, legt er seine Hände auf meine Taille und zieht mich zu sich, um mir diesmal einen längeren Kuss zu geben. »Schlaf gut, Cowgirl. Und reite nicht zu weit ohne mich.«

Zum Glück ist es dunkel und er sieht nicht, dass meine Wangen vor Hitze glühen. Hoffe ich zumindest.

»Äh ja. Du auch.« Sanft gebe ich einen Schubs. »Und jetzt geh schon.«

»Klingt fast so, als wolltest du mich loswerden.« Seine Stimme hat wieder diesen seltsamen Unterton, bei dem ich nie weiß, ob er das jetzt ernst meint oder nur Spaß macht.

Dass er sich breit grinsend umdreht und die zwei Stufen herunterspringt, die zu unserer Haustür führen, spricht für letzteres. Wobei er auch keinen Grund zur Sorge hat. Eher würde er mich loswerden wollen. Die Pfiffe der Männer ignoriert er und steigt zurück in den Truck, der kurz darauf hinter der nächsten Ecke verschwindet.

Drinnen angekommen räume ich alles wieder auf und setze mich anschließend auf die Couch. Lucky legt sich auf meinen Schoss. Er schnurrt, als ich anfange, ihn zu kraulen. Ich liebe das. Es beruhigt mich. Auch wenn mir das gerade bei meinem Problem nicht sonderlich viel hilft.

Ich brauche einen Plan.

So etwas wie gerade darf auf keinen Fall noch mal passieren. 

Where Joy finds a homeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt