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Ich blinzle, als mir klar wird, was hier gerade passiert ist. Sie hat es gesagt. Okay. Eigentlich war es eher ein Schreien, der sich wie ein Hilferuf anhörte. Und doch ändert es nichts an dem Stechen in mir Brust, das mich daran erinnert, dass sie mich hintergangen hat. Schon wieder.

Ich sollte gehen. Einen Schlussstrich unter diese Geschichte ziehen, die mir gezeigt hat, wie verdammt weh Liebe tun kann. Aber irgendwas in mir will das hier nicht aufgeben. Scheiße. Unsere Verbindung hängt nur noch am seidenen Faden. Und trotzdem bin ich nicht bereit, dieses letzte Fitzelchen zu kappen, während ein ganz kleiner Teil mir zuflüstert, dass mein Leben so viel leichter war ohne all das ganze Zeug. Der weitaus größere Teil zeigt mir aber all die Momente zwischen uns, für die es sich lohnt weiterzukämpfen. Der mir sagt, dass ich es bereuen werde, wenn ich jetzt gehe und ich an dieem verschissenen Faden selbst dann noch festhalten würde, wenn ich mir die Haut daran aufreiße. Dazu kommt mein Verantwortungsbewusstsein, das mich an den Grund für unseren Streit erinnert.

Ich habe es gesehen, als ich den Test aus dem Klo gefischt habe. Neun Buchstaben, die meine Gefühlswelt komplett auf dem Kopf gestellt haben, bevor mir die Erkenntnis, dass sie den Test weggeworfen hat, um mir zu verheimlichen, dass sie schwanger ist, den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Ich weiß, dass Emma Probleme mit solchen Dingen hat und dass sie Zeit braucht. Trotzdem tut es weh, dass sie mich selbst in so einer Sache belügt. Verdammt! Es geht mich genauso etwas an! Und ich bin einfach müde, ständig an die Tür ihres Herzens zu klopfen, darauf zu warten, dass sie mir öffnet, nur damit sie sie mir wieder vor der Nase zuknallen kann. Wie viel zeit soll ich ihr noch geben? Wie viele Beweise braucht sie? Und bringt das überhaupt was?

Hin und hergerissen zwischen Herz und Verstand behalte ich die Hand an der Klinke. Gehen oder bleiben? Gehen oder ...

»Ich weiß, das hätte ich dir schon längst sagen sollen«, sagt Emma bedeutend ruhiger und reißt mich damit aus meinen Gedanken. »Aber...« Sie holt tief Luft, als müsse sie Mut sammeln für das, was sie im Anschluss sagt. Und wahrscheinlich ist das sogar so. »Ich kann einfach nicht aus meiner Haut. Diese Gedanken sind keine Kleidungsstücke, die du einfach so ablegen kannst, auch wenn du es willst.«

Mit jedem Wort schwindet mein Entschluss, die Tür zu öffnen. Trotzdem bleibe ich weiter mit dem Rücken zu ihr stehen, in der Hoffnung, dass sie mich an diesen Gedanken teilhaben lässt.

»Ich weiß, das ist nicht Problem und tu mir bitte einen Gefallen ... zweifle nie wieder an dir. Das, was ich dir in diesem Brief geschrieben habe, stimmt. Du bist der tollste, aufrichtigste und gütigste Mensch, den jemals kennengelernt habe. Ich meine, du hast mir dieses Buch gebastelt. Obwohl wir beide ganz genau wissen, wie wenig Geduld du hast.« Sie lacht kurz auf, wird aber dann wieder ernst. »Du bringst mich zum Lachen. Einfach so. Bist für mich da, spürst, dass am liebsten heulen will, wenn ich es selbst nicht mal merke. Du sagst mir, dass ich schön bin, obwohl ich aussehe wie eine verschrumpelte Presswurst. Und behandelst mich, als wäre ich der wertvollste Mensch auf dieser Welt, obwohl ich mich ständig verhalte wie ein Elefant im Porzellanladen.«

Jetzt drehe ich mich doch um. Ich will ihr sagen, warum ich all das tue, von dem ich nicht wusste, wie sehr sie das beschäftigt, doch Emma hebt die Hand.

»Bitte. Lass ... lass mich dir das nur einmal sagen«, fleht sie und ich sehe erst jetzt, dass sie mal wieder die Tränen unterdrückt. Trotzdem kratzt sie sämtlichen Mut zusammen, um weiterzusprechen, als ich den Mund schließe.

»Versteh mich nicht falsch. Das alles ist einfach toll. Was sag ich? Es fühlt sich großartig an. So großartig, dass ich mich ständig frage, warum du das tust. Nach einem Haken suche, der mich davor bewahrt, endgültig zu zerbrechen, wenn es vorbei ist. Aber Tatsache ist nun mal, dass ... ich dich brauche«, bringt sie mit einem ausgedehnten Atemzug hervor, als würde es sie schmerzen diese Worte aussprechen. »Und egal, wie oft ich mir auch einrede, dass es nicht so ist, damit es nicht so wehtut, wenn du eines Tages erkennst, dass du dich in mir getäuscht hast, ich schaffe es einfach nicht, dich gehen zu lassen. Es geht einfach nicht. Obwohl ich weiß, wie ekelhaft ich sein kann und wie egoistisch es von mir ist, du allen Grund hättest, zu gehen und ich dich einfach in Ruhe lassen sollte, kann ich es nicht«, flüstert sie, bevor sie genauso heiser lacht. »Ich habe es wirklich versucht. Aber du hast dich einfach in mein Leben geschlichen. Mit deinen schlechten Witzen, deinem schier grenzenlosen Verständnis für meine Aussetzer, Worten, die mir noch nie jemand gesagt hat und Dingen, die noch keiner für mich getan hat. Das muss ich ... erstmal für mich klarkriegen. Verstehst du? Es ist nicht so leicht, ins Licht hinauszutreten, wenn dir dieser dunkle Raum so verdammt vertraut ist.«

So habe ich das bisher ehrlich gesagt noch nie gesehen. Ich dachte, wenn ich ihr zeige, wie schön es sein kann, gewöhnt sie sich irgendwann daran und tritt irgendwann von selbst aus ihrer Dunkelheit. Dass dieses Licht, wie sie bezeichnet, sie dermaßen blenden könnte, das es ihr die Sicht raubt, ist mir dabei nicht in den Sinn gekommen.

Wieder lacht sie. »Das ist verrückt, nicht wahr?«

»Nein. Eher verständlich«, murmle ich leicht überfordert, während ich mich frage, was ich stattdessen tun soll. Soll ich sie etwa wie ein Arsch behandeln? So wie alle anderen auch? Das kann sie unmöglich von mir verlangen.

»Siehst du«, meint sie, »du tust es schon wieder. Und ich frage mich wieso?«

Ich habe immer noch kein Patentrezept für die Zukunft auf Lager, aber ich weiß, dass ich es nicht länger ertrage, sie so zu sehen. Aufgelöst, mit blutunterlaufenen Augen, aus den Tränen fließen, die über ihre Wange kullern.

Also mache ich einen Schritt auf sie zu, lege eine Hand an ihre Wange und wische mit dem Daumen über die zarte Haut unter ihren Augen. »Weil ich den Menschen mag, der ich deiner Gegenwart sein kann«, wiederhole ich noch einmal das, was ich zu ihr gesagt habe, als wir zusammen vor dem Spiegel standen, füge aber diesmal hinzu: »Und ich mir wünsche, dass es dir genauso geht und du der Mensch sein kannst, der du sein willst. Egal, ob du fies, zickig, traurig oder einfach dieses kleine neugierige Mädchen bist, das sich für alles begeistern kann und ein verdammt großes Herz hat, in dem so unglaublich viel Licht ist, dass Sonne, Mond und Sterne einpacken können.«

Ich bin mir nicht sicher, ob das schon wieder zu viel war, aber es ist nun mal das, was ich fühle, wenn ich sie ansehe.

Scheu blickt sie zu mir auf, die Tränen unterdrückend.

»Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du viel zu gut für diese Welt bist?«

Ich grinse breit, um die Situation auflockern. Immerhin hat sie ja gerade indirekt erwähnt, dass ihr das gefällt. »Klar. Das höre ich ständig.«

Zum dank verpasst sie mir lachend einen Schlag gegen den Oberarm. »Idiot.«

»Dein Idiot«, erinnere ich sie. »Und ich sage es dir noch mal. Ich geh nicht weg, okay?«

Where Joy finds a homeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt