Kapitel 3: Werkstatteinbruch - Tjorvik | 23.12., abends

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Tjorvik wuchtete den prall gefüllten Sack von seiner Schulter, als er auf seinem Beobachtungsposten Stellung bezog. Der Weihnachtswichtel hatte sich in den vergangenen Tagen bestens auf seinen geplanten Einbruch in die Weihnachtswerkstatt vorbereitet. Hätte er im Vorhinein gewusst, wie viel Zeit, Aufwand und Wichtelonen ein solcher Plan kostete, hätte er es sich wahrscheinlich anders überlegt.


Als im Inneren der Weihnachtswerkstatt pünktlich um sechs die Lichter gelöscht wurden, spannte sich über ihrem Lebkuchendach bereits der klare Sternenhimmel. Nach Wochen des ununterbrochenen Stresses schloss die Werkstatt am Dreiundzwanzigsten traditionell früher ihre Pforten. Für die meisten Wichtel und Elfen hieß es dann – wie für die Kinder, die sie beschenkten – noch einmal lange schlafen, bevor die Rush-Hour des Geschenkebringens anbrach. Und auch Santa verließ zum ersten Mal im Dezember die Werkstatt, um zum Stall zu gehen, die Rentiere vor die Schlitten zu spannen und die Navigationssysteme an den Geschirren einzustellen.


Tjorvik hatte sich im angrenzenden Tannenbaumhain versteckt und trug zur Tarnung eine gelbe Sternenmütze, ein dunkelgrünes Jackett und eine braune Hose. Einzig bei der blinkenden Lichterkette, mit der er sich eingewickelt hatte, war er sich nicht sicher, ob die nicht zu viel des Guten war. Allerdings reihte sie sich durchaus in das LED-Meer um ihn herum ein.


Nach und nach verließen die Weihnachtswichtel und -elfen die Werkstatt. Als Letzte trat Anushka hinaus. Unangenehm berührt beobachtete Tjorvik sie dabei, wie sie die Pforte abschloss. Er hatte sie längst bei ihr melden wollen, aber die Vorbereitungen hatten ihn so sehr in Anspruch genommen, dass er es darüber einfach versäumt hatte.
Einfach versäumt..., Tjorvik schämte sich ein wenig angesichts dieser lahmen Ausrede. Immerhin hatte Anushka ihn erst auf die Idee mit dem Einbruch gebracht.


Er erschrak, als sie den Kopf hinüber zum Tannenbaumhain wandte und duckte sich hinter die erste Tannenbaumreihe. „Tjorvik?!" Er kauerte sich noch tiefer, schlug sich die Hand vor den Mund, um ihr nicht instinktiv zu antworten und drehte sich weg.
„Tjorvik?" Er hörte ihre stapfenden Schritte im Schnee. Sie kam unaufhaltsam näher. „Was machst du denn da?!" Offenbar hatte sie ihn bereits entdeckt. Der Wichtel unterdrückte ein Stöhnen. „Ich... äh... ich muss mich ganz dringend erleichtern!"
„Oh", sie schien zurückzuschrecken – jedenfalls hielten ihre Schritte inne. „Entschuldige..."


„Nein, nein..." Hastig sprang Tjorvik auf, als er befürchtete, sie könnte einfach verschwinden. „Mir tut es leid! Ich wollte mich längst bei dir melden, aber..." Die Elfin lugte zwischen den Tannenbäumen hindurch. „Tjorvik, deine Hose..." „Heilige Weihnachtskugel!" Ihm schoss das Blut ins Gesicht. Seine Hose hatte sich in einem Zweig verfangen und hing ihm nach seinem Sprung unter den Kniekehlen. Verlegen raffte er sie wieder zurecht und versuchte dabei, den Sack mit seinen Einbruchsutensilien unter den Baum zu schieben.
Anushka kicherte ein bisschen und deutete auf die Lichterkette. „Wolltest du den Tannenbäumen Gesellschaft leisten?" „Na ja..." Er wollte eine plausible Erklärung abgeben, aber ihm fiel nichts weiter ein.
Die Elfin sah ihn verwundert an. Dann fiel ihr Blick auf den nur notdürftig versteckten Sack, bei dem sich zu allem Überfluss die Schnürung gelöst hatte und sie begann die Stirn zu runzeln. „Tjorvik?", fragte sie streng. „Was hast du vor?"
Er antwortete nicht sofort. Schließlich entschied er, dass es keinen Zweck hatte sie anzulügen, zumal ihm das widerstrebte. „Ich brauche Material – Beweise, mit denen ich die Notwendigkeit des Weihnachtsrettungskomitees begründen kann."
„Und dafür bist du ausgerechnet heute Abend hier und... liegst auf der Lauer?" „Könnte man sagen", meinte er ausweichend und merkte dabei selbst, wie dämlich das klang.


Plötzlich verwandelte sich ihre Miene in entsetzte Fassungslosigkeit. „Du willst doch nicht etwa einbrechen?" Er biss sich schweigend auf die Unterlippe. „Tjorvik!"
„Würdest du nicht auch gerne herausfinden, welche Leichen Santa im Keller hat?", versuchte er es halbherzig. „Nein", erwiderte sie. „Und schon gar nicht auf diese Weise. Ich frage mich gerade eher, ob ich dich überhaupt kenne. So wie du dich die letzten Wochen verhalten hast, Tjorvik – das bist nicht du. Oder zumindest nicht der Weihnachtswichtel, in den ich mich... Wie auch immer", unterbrach sie sich selbst. „Das enttäuscht mich."
„Anushka..." „Spar's dir, Tjorvik. Ich habe jetzt Feierabend und gehe nach Hause. Mach, was du willst. Aber denk mal darüber nach, aus welchen Gründen du das tust." Sie machte auf dem Absatz ihrer eleganten Stiefel kehrt und ging davon, ohne sich noch einmal umzusehen.

Advent, Advent - Die Feder brennt! Vol. I: Fluch und Segen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt