Kapitel 2: Vorbereitungen - Tjorvik | 10.12.

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Eine Woche später war das „Ich will meinen Job zurück." einem „Ich weiß nicht mehr, was ich will." gewichen. Der Weihnachtswichtel saß in seinem Ohrensessel und rauchte vor sich hin. Seine Pfeife war inzwischen ordentlich in Mitleidenschaft gezogen worden – ebenso wie seine Wohnung. Im Wohnzimmer seiner kleinen Wohnung in Wolkenend stapelten sich leere Lieferkartons von Wichtelando und überall auf dem Tisch lagen Geschirr und Essensreste verteilt. Tjorvik suhlte sich in Selbstmitleid über seine Kündigung – doch heute war der Moment gekommen, an dem er keinen Gefallen mehr daran fand. Es reichte ihm. Er musste etwas unternehmen.

Das sagte er sich nun schon seit ein paar Stunden und doch hatte er es bisher nicht geschafft, sich von seinem Sessel zu erheben und einen Fuß vor die Tür zu setzen. Die Pendeluhr ihm gegenüber an der Wand zeigte an, dass es kurz vor Mittag war. Für gewöhnlich wäre er gerade damit beschäftigt, alle möglichen kleinen und großen Geschenke mit verzauberter Folie zu verpacken. Gemeinsame Zeit, neue Begegnungen und Weihnachtswunder waren fragile Fracht. Nicht materielle Geschenke bedurften besonderen Schutzes, damit sie nicht verpufften, ehe sie ihr Ziel erreichten. Es war eine verantwortungsvolle Aufgabe, die nur den zuverlässigsten Wichteln der Weihnachtswerkstatt anvertraut wurde, die schon einige Jahre Berufserfahrung hatten. Die Geschenke in Watte und bedrucktes Papier zu wickeln, damit sie schön aussahen und durch Wolkendurchbrüche und den wilden Himmelsritt auf dem Rentierschlitten keinen Schaden nehmen oder verpuffen konnten, war Kinderkram.

Doch offenbar traute Santa Tjorvik nicht einmal mehr diese Aufgabe zu. Der Wichtel wollte es sich nicht offen eingestehen, aber die Kündigung hatte ihn sehr gekränkt – mehr noch, zusammen Anushkas Worten hatte sie bewirkt, dass er an sich selbst und seinen Fähigkeiten zweifelte. Dabei hatte er nie etwas anderes gelernt oder getan. Die ganzen Jahre über war die Weihnachtswichtelwerkstatt sein Lebensinhalt gewesen. Ab Herbst gingen die Vorarbeiten und das erste Basteln los, im Winter das Verpacken, im Frühling der Frühjahrsputz und im Sommer verwandelte sich die Werkstatt in ein riesiges Ferienhaus für die Weihnachtswichtel.

Ächzend zog sich Tjorvik an den Lehnen des Ohrensessels in die Höhe. Schön plüschige Lehnen, die dazu einluden, sein Vorhaben gleich wieder zu vergessen und sich in das warme Schaffell in seinem Rücken zurücksinken zu lassen. Doch plötzlich läutete die Klingel.

Er erhob sich, strich sich notdürftig die hängengebliebenen Essenskrümel aus dem Bart und watschelte mit seinen steif gewordenen O-Beinen zur Tür. „Wer da?" Er lugte durch den Türspion, wegen dem man ihm auf dem Wichtelcollege immer belächelt hatte, aber konnte nichts erkennen, so milchig, wie er inzwischen geworden war.

„Ich bin's." Es war Anushka. Mit dem Erklingen ihrer Stimme ließ sie seine heimliche Hoffnung verstummen, Santa persönlich statte ihm einen Besuch ab, um ihn um Verzeihung zu bitten.

Notgedrungen schob Tjorvik die Haustür eine Handbreit auf und lugte durch den Spalt. Ungeachtet ihrer letzten Worte an ihn mochte er die Weihnachtselfin. Es war ihm peinlich, dass sie ihn so verlottert und seine Wohnung so unordentlich sehen sollte.

„Hey Tjorvik", sagte sie, offenbar durch sein grimmiges Schweigen verunsichert. „Ich wollte nur mal nachsehen, wie es dir geht."

„Prima", meinte er. „Alles bestens." „Ach ja?"

Er nickte. „Musst du nicht zurück in die Werkstatt?" „Es wird schon so schnell niemand merken, dass ich weg bin. Selbst wenn, wird mich niemand verpetzen", sie lächelte ein bisschen. Er nicht. „Santa lässt uns... euch auch Sonntags schuften und bezahlt euch nicht einmal Feiertagsbonus. Da sollte ein Freigang drin sein."

„Das sehe ich auch so." Anushka räusperte sich. „Tjorvik, was ich zu dir gesagt habe... Es tut mir leid. Ich wollte ehrlich mit dir sein, aber es war vielleicht nicht der beste Zeitpunkt dafür. – Jedenfalls keiner, den eine einfühlsame Freundin wählt."

Advent, Advent - Die Feder brennt! Vol. I: Fluch und Segen.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt