5. Freddys Fluchtauto

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Als er vom Waldweg zurück auf die Straße bog, blickte er sich um. Ein Mann lief auf dem Gehweg auf der gegenüberliegenden Seite. Er schien Freddy nicht wahrzunehmen, zumindest schenkte er ihm keine Beachtung. Oder wirkte es nur so und in Wahrheit wunderte sich der Typ um den kostümierten Mann, der dort auf dem Weg lief? Würde er sich diese Situation einprägen und später, wenn seine Tat bekannt wurde, der Polizei von ihm erzählen? Bestimmt. Und dann würde er sich an das Auto erinnern, das in derselben Straße geparkt hatte und das sonst nicht dastand. Denn auch wenn hier immer Mal wieder teure Autos hielten, war dem Mann dieses eine Auto, in Zusammenhang mit dem kostümierter Mann, gut in Erinnerung geblieben. Und da er zu diesem Zeitpunkt sicher wissen würde, dass etwas in dieser Stadt passiert war und alles zu der Beschreibung passte, die die Polizei herausgab, würde er den Beamten von diesem einen Freddy erzählen, den er auf der Straße gesehen hatte. Aber was wäre in seinem Gedächtnis anderes geblieben als genau das? Das Kennzeichen des Wagens sicher nicht und selbst wenn, es würde bald ein neues sein. Trotzdem, vielleicht hätte Freddy sich erst später umziehen sollen. Auf der anderen Seite war heute Halloween, es war nicht ungewöhnlich, jemandem in einem Kostüm zu begegnen. Oder doch, aber zumindest gäbe es dafür eine einfache Erklärung, sollte er gefragt werden. Immerhin war er auf dem Weg zu einer Party.

Aber auch dann wäre er ein Unbekannter, bremste Freddy seine Gedanken. Es gab keine wirkliche Spur.  

Freddy lief weiter den Gehweg hinunter, ließ den Fremden hinter sich. Er holte sein Handy heraus, stellte die Innenkamera an und sah zurück. Aber der andere lief weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Erst da merkte er, dass er den Atem angehalten hatte und stieß ihn mit einem Seufzen aus. Er nahm das Handy vom Netz. Irgendwann im Laufe der nächsten Zeit musste er es loswerden. Aber jetzt noch nicht. Je nachdem, wie sein Vorhaben verlaufen würde, brauchte er es später nochmal.

Mit einem Handy konnte man seinen Standort spielend leicht herausfinden. Auf der anderen Seite: Wenn man sein Handy irgendwo fand, könnte man Rückschlüsse auf ihn ziehen? Wäre das vielleicht der Punkt, an dem alle Fäden zusammenfließen und ein perfekt gewebtes Bild ergeben würden, wodurch die Polizei ihn glasklar vor Augen haben würde?

Stop! Wenn er jetzt schon paranoid wurde, wie sollte es dann erst später werden? Noch hatte er nichts Verbotenes getan. Nichts so richtig Verbotenes jedenfalls. Noch könnte er ihr das Auto wieder zurückgeben und alles abblasen. Doch nein, er hatte lange an diesem Plan gesessen und dann war sie aufgetaucht und hatte ihm die Gelegenheit gegeben. Die konnte er nicht einfach ungenutzt lassen.

Dennoch zitterten seine Finger ein wenig, als er den Autoschlüssel in seiner Jackentasche fand und ihn umschloss. Die Blinker des Porsches leuchteten einmal auf. Er öffnete die Beifahrertür, ließ die Tasche auf den Sitz fallen, ging noch einmal um den dunklen Wagen herum und stieg auf der Fahrerseite ein. Die Einstiegsleisten waren noch immer magentafarben. Doch das störte ihn nicht. Es ging darum, das Auto nicht sofort von außen zu erkennen.

Er schloss die Tür. Freddy drückte den Startknopf des Autos. Der Motor erwachte mit einem tiefen Brummen. Jetzt spürte er das Adrenalin, das seinen Körper zu fluten begann.

Oh nein, er würde nicht umkehren. Das war seine Zeit und er wusste sie zu nutzen! Es war Zeit, dass sie bezahlten, ein für alle Mal. Für die Fehler, die sie begangen hatten. Alle!

Mit diesem Gefühl trat er das Gaspedal durch, was ihn schneller anfahren ließ als erwartet. Soviele PS unter der Haube zu haben war er nicht gewohnt. Schnell senkte er den Druck auf das Pedal und atmete durch. Er wusste, dass dieses Auto seine Lebensversicherung für später war. Ein leichtes Zittern stieg langsam in ihm empor. Seinen Ursprung fand es tief in seinem Innersten.

Während er seinem Ziel immer näher kam, entfernten sich seine Gedanken immer weiter von der Ziellinie und wanderten in die Zeit, in der der Startschuss für dieses Unterfangen gefallen war.

Sie hatte ihm dieses Auto ohne groß darüber nachdenken zu müssen zur Verfügung gestellt. Vorher hatte sie es offiziell zum Verkauf angeboten und es dann umlackieren lassen. Von Magenta zu schwarz, sozusagen. Aber schwarz fiel einfach weniger auf als die ursprüngliche Farbe. Und auch neue Nummernschilder hatte sie besorgt, für den neuen Käufer, den es nicht gab. Den Freddy über seine Verbindungen in diese dunkle Welt dazu gebracht hatte, sich als Käufer auszugeben. Für den Fall, dass es Rückfragen geben sollte, wo denn das Auto geblieben sei.

Und doch war auch dieser Käufer eine Schwachstelle. Vielleicht wäre es das beste, wenn er auch bei ihm vorbeifahren und das regeln würde. Doch wo sollte er suchen? Er wusste nicht, ob sich dieser Kerl in Deutschland, Österreich, der Schweiz oder sonst einem deutschsprachigen Land befand, im Grunde wusste er nicht mal, ob sich dieser Käufer überhaupt auf demselben Kontinent befand. Er wusste nicht mal, ob er überhaupt wirklich Deutsch konnte, aber wenn er es nicht wusste, konnten es auch andere nur schwer herausfinden. Hoffte er. Vielleicht war dieser Käufer also eine Schwachstelle. Doch was bedeutete schon eine Schwachstelle, von der niemand wusste? Die nicht mal er selbst kannte?

Er riss das Lenkrad nach links. Fast hätte er die Abzweigung verpasst. Er durfte sich von diesen Gedanken nicht ablenken lassen. Freddy machte einfach einen Schritt nach dem anderen. Stück für Stück, ohne zurückzublicken. Das sagte er sich immer wieder und trotzdem huschte sein Blick immer wieder in den Rückspiegel, um zu sehen, ob ihn jemand verfolgte. Mochte es nun schon die Polizei sein oder ein unerwünschter Gedanke, der ihn verwirren wollte.

Nach einer Weile stand er auf einem kleinen Parkplatz, der sich nahe an seinem Ziel befand. Weit genug weg, dass niemand zwangsläufig eine Verbindung zwischen diesem Wagen und dem Haus herstellen würde. Doch natürlich konnte es dennoch aufmerksame Bewohner geben, die sich an ihn erinnern und diese Verbindung herstellen würden, die vielleicht sogar... Halt! Er versuchte, sich auf das Jetzt zu konzentrieren. Denn jetzt war die Zeit, die zählte.

Teure RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt