12. Unerkannt

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Als er das nächste Mal anhielt, war es mitten in der Nacht. Nur noch wenige Autos waren unterwegs, als er von der Autobahn abfuhr und auf einen nahegelegenen Wanderparkplatz am Waldrand fuhr. Was sollte er machen, wenn hier keine Autos standen? Ihm blieb nichts anderes übrig als zu hoffen. Doch er hatte Glück. Als er mit knirschenden Reifen auf den Schotterplatz fuhr, fiel das Licht seiner Scheinwerfer auf ein paar Autos. Und weit und breit sah er keine Menschenseele. Vielleicht waren sie alle zu einer gemeinsamen Nachtwanderung aufgebrochen. 

Nun, einer würde sich danach wundern, wo seine Kennzeichen geblieben waren. Kurzerhand parkte er neben einem Golf, stellte den Motor ab und wartete einen Moment in vollkommender Stille. Kurz überlegte er, die Augen zu schließen und sich auszuruhen. Erst jetzt merkte er, wie viel Kraft ihn die letzten Stunden gekostet hatten. 

... Vielleicht nur ganz kurz ...

Er konnte nicht sagen, wie lange er geschlafen hatte, aber es war noch immer dunkel und der Golf stand noch immer neben ihm. Los jetzt, an die Arbeit!, tadelte er sich selbst. Er durfte keine Zeit verlieren, sich nicht in Sicherheit wiegen, ehe er noch viel mehr Kilometer zwischen sich und seine ehemalige Heimat gebracht hatte. Und schon gar nicht, bevor er seine Aufgabe hier erfüllt hatte. 

Mit einer Hand fuhr er sich durch sein Gesicht. Allein diese Bewegung war so anstrengend, als würde er Bleigewichte an sich haben. Ihm blieb aber keine Wahl, jetzt war es zu spät, um sich darüber Gedanken zu machen. 

Aus dem Rucksack, der auf dem Beifahrersitz lag, nahm er einen Schraubendreher und den Rostlöser, den er zuvor im Baumarkt gekauft hatte.

Noch einmal sah er sich um, doch es blieb ruhig. Wieder nahm er sich Handschuhe, öffnete die Fahrertür und lauschte in die Dunkelheit. Doch außer dem entfernten Rauschen der vereinzelten Autos, die über die Autobahn fuhren, war es still. 

Er stieg aus und ging langsam auf das andere Auto zu. Erst da merkte er, dass er die Taschenlampe in seinem Wagen vergessen hatte. In dieser Dunkelheit ließ es sich unmöglich arbeiten! Also machte er auf dem Absatz kehrt und holte, was er brauchte. Die Taschenlampe war nicht stark, aber für seine Zwecke reichte sie vollkommen aus. 

Er spähte in den Innenraum des Golfs, während er ihn umrundete. Nicht, dass er gleich eine böse Überraschung erleben würde, sobald er sich an den Kennzeichen zu schaffen machte. Das war das Letzte, was er jetzt brauchte. Aber das Auto war verlassen. Und so fing er an, die Halterung mit dem Schraubendreher vorsichtig abzudrehen. 

Immer wieder hielt er inne und achtete auf Schritte oder sonstige Geräusche, etwa denen eines sich nähernden Autos. Aber es blieb still. Es gelang ihm ungestört, beide Kennzeichen abzunehmen. 

Er war erleichtert, dass er so weit gekommen war. Jetzt nur noch ... 

Etwas drang an seine Augen, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ein Lichtkegel, der sich über den Parkplatz bewegte, gefolgt von den knirschenden Geräuschen, die Autoreifen verursachten, wenn sie über Kies fuhren. 

Er hielt noch immer die Kennzeichen in der Hand. Sie einfach wegzuschmeißen, kam für ihn nicht infrage. Einfach in sein Auto steigen aber auch nicht. Denn es war ein Polizeiauto, das nun auf den Platz fuhr. 

Ohne lange nachzudenken, schlug er sich in das angrenzende Dickicht und duckte sich. Er hatte in der hintersten Ecke des Parkplatzes geparkt, wenn er Glück hatte, hatten sie ihn nicht gesehen. Wenn er Pech hatte ... nun, dann war es sowieso zu spät. 

Kalter Schweiß rann seinen Nacken hinab, trotz der zunehmenden Kühle der Luft. Als er zwei Autotüren zuschlagen hörte, hielt er die Luft an. 

„Dann mach aber schnell. Ich schaue mich in der Zeit mal um, was hier so rumsteht." Eine Frauenstimme drang durch die Dunkelheit. Sein Herzschlag beschleunigte sich ins unermessliche, als er hörte, wie die Schritte auf ihn zukamen. Die Polizistin schritt an ihm vorbei und blieb bei dem Porsche stehen. "Schau dir das mal an! Nicht schlecht!" 

In dem Moment kam auch schon der Kollege zurück. Er lief dicht an unserem Täter vorbei, der es kaum wagte zu atmen und schon damit rechnete, entdeckt zu werden. Aber die Faszination für das Auto rettete ihn. „Ja, das ist nicht schlecht ... Aber schau dir mal den Golf hier an. Den hat wohl irgendjemand einfach hier abgestellt, um ihn zu entsorgen. Das sollten wir melden!" 

Der Mann gab etwas über Funk durch. Unser Täter wagte es, in seinem Versteck kurz die Luft auszustoßen. Sie hatten ihn nicht gesehen. Aber sein Auto, das hatten sie zu gut gesehen. Jetzt hatte er ihnen mit dem Golf eine Ablenkung geschaffen. Eine Ablenkung zwar, gleichzeitig aber einen Grund, hier vor Ort zu bleiben. Zum Glück hatte er nicht seine eigenen Kennzeichen zuerst abgeschraubt.

Der Polizist ging zurück zu dem Streifenwagen, holte etwas, und befestigte es am Seitenfenster des Golfs. Um was genau es sich handelte, konnte unser Täter nicht erkennen. Kurz darauf gingen beide Polizisten wieder und fuhren davon. 

Er wartete, bis er sich beruhigt hatte und der Adrenalinrausch abgeklungen war, dann wagte er sich aus seinem Versteck. Schnell lief er zu seinem Auto, schloss die Türen auf, stieg ein und schmiss die Kennzeichen neben sich auf den Beifahrersitz. Ein lautes Seufzen, das schon fast ein leiser Schrei war, entfuhr ihm. Das war verdammt knapp gewesen. Seine Kennzeichen würde er an einem anderen Ort abschrauben. Nicht, dass die Polizisten zurückkehrten, oder der Besitzer des Autos, der ihn dabei sah, wie er seine Nummernschilder klaute. Nein, es reichte, wenn es einmal heute Nacht so knapp gewesen war. Er brauchte Entspannung. Dringend. Aber wo? 

Erstmal weg von hier und wieder auf die Autobahn. Das kurze Schläfchen hatte gut getan, doch langsam wurden seine Lider wieder schwer. Bald würde er eine richtige Pause machen. Und auch sein Magen knurrte. Zwar hatte er auf der Fahrt einen Schokoriegel gegessen, aber das zählte wohl kaum als Mahlzeit. 

Auf dem Weg malte er sich die Reaktion des Golfbesitzers aus, wenn er sein Auto vorfinden würde. Wenn es dann noch dort stand und nicht vielleicht schon längst verschrottet war. Wer weiß, wie lange er wegbleiben würde. Ein bisschen lustig war es schon. 

Er fuhr wieder auf die Autobahn. Und als er diese gerade Strecke in einem Affenzahn bewältigte und immer mehr Kilometer auf dem Kilometerzähler des Autos brachte, dachte er an früher. An das, was ihn überhaupt erst in diese Situation gebracht hatte.

Und ihm wurde eins klar. 

Würde er auch vor den Polizisten fliehen können, seiner Vergangenheit konnte er nicht entkommen. Egal, wie schnell er fuhr. Denn er spürte bereits, wie sie ihn zu überrollen drohte. Der kalte Schweiß blieb.

Teure RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt