„Bist du mäusehirnig? Das ist eine Donnerclankätzin!", zischte ich Flusskralle ins Ohr, um mein Entsetzen und meine Trauer zu verdecken. Meine Augen allerdings sprühten Funken vor Hass und Wut. Zum Glück sah er es nicht, sondern murmelte: „Ich weiß... Aber ich liebe sie!" Wütend sah ich ihn an. War das sein Ernst? Als er den Blick erwiderte, sah ich enttäuscht zur Seite. Hoffnung lag in seinen Augen, Liebe, ja, aber nicht für mich. „Mach doch was du willst!", hauchte ich und ging enttäuscht zu Leopardenstern. Fassungslos sah er mir hinterher. Es tat mir weh, ihn im Stich zu lassen, aber er hatte mich einfach zu sehr verletzt.
„Schmutzfell!", rief ich leise den Heiler mit dem langen braunen Fell. Sofort kam er besorgt aus dem Bau. „Was ist passiert? Ist jemand verletzt? Ach, du bist es... Komm rein!", maunzte er und legte mir die Schwanzspitze auf die Schulter. „Er ist verliebt! In eine Kätzin aus dem Donnerclan! Er... hat mir so wehgetan... Warum hat er meine Gefühle nicht bemerkt? Aber ich liebe ihn so sehr...", miaute ich leise. Schmutzfell legte mir beruhigend seine Schnauze auf den Kopf. Schnurrend presste ich meinen Körper an sein warmes Fell. „Was soll ich nur machen?", flüsterte ich. „Erzähl mir erst einmal mehr von dieser Donnerclankätzin!", forderte er mich auf. Und ich berichtete ihm alles.
Getröstet ging ich in den Kriegerbau zurück. Schmutzfell hatte mir geraten, erst mal abzuwarten und ein bisschen auf Abstand zu gehen. „Silberfeder! Was machst du denn so spät noch bei Schmutzfell?", hörte ich ein lauerndes Knurren aus dem Schilf neben dem Kriegerbau. Erschrocken fuhr ich herum, die Krallen ausgefahren. „Was geht dich das an , Schwarzkralle?", fauchte ich zurück. „Also, was hast du bei ihm gemacht?", näselte der rauchschwarze Krieger hochnäsig und stolzierte aus dem Schilf. Er wollte mich nur wütend machen! „Das geht dich nichts an!", knurrte ich beherrscht. Ein boshaftes Glitzern ging durch seine Augen. Wut strömte heiß und stark in meinen Körper, als er mir widersprach: „Oh, Silberfeder! Er ist der Heiler! Du darfst ihn nicht lieben! Was würde Leopardenstern dazu sagen?" Ich riss tiefe Spuren in den feuchten Boden vor unterdrückter Wut. Herausfordernd langsam ging er in Richtung Schmutzplatz. Mit einem tiefen Knurren in der Kehle wollte ich meine Krallen in sein Fleisch bohren, ihm das Fell vom Leib reißen, ihn leiden sehen, aber er bemerkte mich zu früh und... rannte. Aufgebracht verfolgte ich ihn durch das Schilf bis auf eine Lichtung. Dort wartete er auf mich. Mit aller Kraft rammte er mich zur Seite. Seine spitzen Krallen rissen mir die Flanke auf. Vor Schmerz und Wut kreischend riss ich mich los. Bevor ich ihn wieder ausfindig machen konnte, biss er mir schon mit aller Kraft in die Kehle. Er wollte mich nicht wütend machen. Er wollte mich töten.
Mein Schweif schleifte kraftlos auf dem Boden, meine eine Vorderpfote konnte ich nicht aufsetzen und mein blutbeflecktes Fell war zerrissen. „Hilfe!", krächzte ich erschöpft, als ich auf der Lichtung ankam und stürzte zu Boden.
„Du musst aufwachen, Silberfeder! Wach auf!", drang Schmutzfells Stimme in mein Bewusstsein. Mühsam öffnete ich die Augen. Sein graubraunes Gesicht tauchte vor meinem silbergrauen auf und verschwand wieder. „Flusskralle!", flüsterte ich. Der schwarze Krieger mit den weißen Flecken lief neben mir, und stupste mir immer wieder seine Schnauze in die Seite. Doch bisweilen kam ein anderer Kater, er stieß Flusskralle zur Seite und ragte bedrohlich vor mir auf. Schwarzkralle.
Zum zweiten Mal öffnete ich die Augen. „Schmutzfell! Lebe ich noch?", brachte ich mühselig hervor. Ein glückliches Strahlen ging über das Gesicht des Heilers, als er antwortete: „Ja, Silberfeder! Du hast es überstanden!" Da kam plötzlich Leopardenstern herein. „Möchtest du uns nicht erzählen, was passiert ist?", fragte sie gefährlich ruhig. „Leopardenstern! Bitte, sie braucht Ruhe!", versuchte Schmutzfell dazwischenzufahren. „Schweig, Vater!", fuhr sie ihn an. Schmutzfell war ihr Vater, das hatte ich ganz vergessen! „Schon in Ordnung!", erwiderte ich sanft. „Ich bin stark genug, um es meiner Anführerin zu erzählen. Ich war in der Nacht nach der großen Versammlung bei Schmutzfell, weil ich seinen Rat brauchte. Wir sind gute Freunde und haben sehr lange geredet. Als ich in den Kriegerbau gehen wollte, hat Schwarzkralle mich davor abgepasst . Er hat mich solange provoziert, bis ich ihm wütend ins Schilf gefolgt bin. Auf einer Lichtung mit nur einem Ein- und Ausgang hat er gewartet und mich immer wieder angegriffen. Ich habe versucht, mich zu wehren, aber er war zu schnell. Der Zufall wollte es aber, dass er bei einem Sprung ausgerutscht ist und ich fliehen konnte. Ich habe mich ins Lager geschleppt und alles ist dunkel geworden. Ab da weiß ich nichts mehr." Ich bemühte mich, möglichst genau und ehrlich zu berichten. „Was ist mit Schwarzkralle?", fragte Leopardenstern dann. „Führ mich zu dieser Lichtung!" Er war also noch nicht zurück. Unterwürfig den Kopf senkend trabte ich voraus. Schließlich kamen wir auf der Lichtung an. „Schwarzkralle!", schrie Bleifuß, Schwarzkralles ehemaliger Schüler verzweifelt auf. Der rauchschwarze Kater lag regungslos auf dem Boden, um seinen Kopf eine Pfütze aus getrocknetem Blut. „Du hast ihn umgebracht!", fuhr Bleifuß mich an. Zitternd zog ich den Kopf ein. So kannte ich mich ja gar nicht! Der Vorfall mit Schwarzkralle hatte mir wohl einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Da schob sich eine starke Gestalt zwischen Bleifuß und mich. 'Flusskralle!', dachte ich. Doch es war Schmutzfell.... „Lass sie in Ruhe, Bleifuß! Ich will ihn erst untersuchen und die Todesursache feststellen!", knurrte er mit gefährlich gebleckten Zähnen. Unterwürfig, aber doch noch mit angriffslustig gesträubtem Fell zog sich Bleifuß zurück. „Er ist nicht durch die Pfote einer Katze gestorben!", verkündete Schmutzfell nach einer Weile.
„Wo ist eigentlich Flusskralle?", fragte ich den starken Heiler bei Sonnenhoch. Die Unruhe hatte sich gelegt und in der Nacht sollte Totenwache gehalten werden. „Es tut mir leid, Silberfeder. Er hat den Clan verlassen. Er lebt jetzt im Donnerclan bei seiner Gefährtin!", murmelte er verlegen. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Er! Hatte! Mich! Verlassen! Für eine Donnerclankätzin. Nein. Für meine Schwester. „Nein!", jaulte ich laut auf. Mein Körper sackte zusammen und mir wurde schwarz vor Augen.
„Silberfeder, wach auf!", befahl ich mir selbst . „Du hast lange genug getrauert! Drei Monde hast du kaum gegessen oder geschlafen! Das muss aufhören!" Etwas steifbeinig trottete ich aus meinem Nest und ging zum Frischbeutehaufen. Mit einem jungen Eichhörnchen kauerte ich mich an den Rand der Lichtung und überdachte alles noch einmal, während ich das zarte Fleisch in mich hineinschlang. Die Zeit, in der ich darum getrauert hatte, dass Flusskralle mich verlassen hatte, hatte mich ziemlich geschwächt, aber mein ohnehin widerstandsfähiger Körper war noch bei Kräften. Eine Woche hatte ich immer wieder Anfälle von Schwäche gehabt, doch jetzt ging es mir wieder gut. Warum also sollte ich nicht weiterleben, mein Leben genießen und versuchen, alles zu vergessen? Vor ein paar Sonnenaufgängen hätte ich noch gesagt: „Weil ich es nicht kann!" Jetzt aber war meine Antwort darauf: „Ich kann es ja versuchen!"
DU LIEST GERADE
Silberfeder
ФэнтезиSilberfeder, eine junge Kätzin des FlussClans, ist gerade zur Kriegerin ernannt worden. Doch jetzt steht sie vor neuen Herausforderungen. Komplizierte Familienverhältnisse, Freunde, Feinde und natürlich die erste Liebe. Wird sie die Probleme meister...