Silberfeder Kapitel 6

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Wir kehrten in unser Lager zurück und ich war dabei ungewöhnlich schweigsam. Gleich nach unserer Ankunft kündigte ich an, diese Nacht auf der Lichtung im Schilf übernachten zu wollen. Die Lichtung, wo Schwarzkralle gestorben war. Niemand versuchte, mich aufzuhalten, also baute ich mir dort ein improvisiertes Nest aus Schilf und rollte mich zusammen. Kurz darauf öffnete ich meine Augen wieder. Ich befand mich beim Baumgeviert. Eine schlanke Kätzin mit Sternen im Fell kam auf mich zu. „Mutter!", flüsterte ich. „Hallo, Liebes!", begrüßte mich Silberfluss. „Mutter, ich habe...", brach es aus mir hervor, doch sie legte mir den Schwanz über die Schnauze und beruhigte mich mit sanfter Stimme: „Schsch! Ganz ruhig, Liebes! Ich bin bei dir! Ich werde dir helfen!" Auf einmal hatte ich das Gefühl, als wäre ich wieder in der Kinderstube und würde mich diesmal an den Bauch meiner Mutter kuscheln, nicht an den von Moospelz. Silberfluss' warmer Blick ruhte auf mir, obwohl sie mit der Schwanzspitze eine kleine, weiße Gestalt heranwinkte. Lilienjunges! Seine blauen Augen schauten mich erwachsen an und er war größer, kräftiger. In seiner Stimme lag ein leiser Vorwurf, als er miaute: „Sei gegrüßt, Silberfeder, die du auf Erden wandelst!" Beschämt senkte ich den Blick. „Er sollte groß werden!", murmelte jetzt eine andere Stimme. Hinter mir tauchte ein leicht verwahrloster Kater auf. „Gänsefeder!", seufzte Silberfluss. „Er sollte Anführer werden!", knurrte Gänsefeder. Schmerz durchfuhr mich. „Aber... Das wollte ich doch gar nicht! Ich habe ihn nicht mit Absicht getötet!", versuchte ich, mich zu verteidigen. „Eben deshalb bin ich hier!", beruhigte mich meine Mutter. „Wenn du willst, dass er lebt, kann ich dir dabei helfen! Du musst Schmerzen ertragen, seelische und körperliche, aber er wird leben! Lilienjunges, zeige Gänsefeder doch bitte die Quelle!" Offensichtlich wollte meine Mutter allein mit mir sein. Der kleine weiße Kater hüpfte davon. „Der Sternenclan vergibt dir! Aber du musst hier bleiben! Einen Mond lang wirst du hier bleiben, Lilienjunges noch einmal zur Welt bringen und dich um ihn kümmern. Wenn der Mond verstrichen ist, wirst du wieder bei den Trittsteinen sein. Dort wird deine Schwester ihn gebären und du wirst ihn in den Donnerclan bringen. Hast du mich verstanden?", erklärte meine Mutter eindringlich. Ich nickte traurig. Ich wusste nämlich genau, warum der Sternenclan das tat. Um mich zu bestrafen. Ich würde zusehen müssen, wie mein eigenes Junges in einem fremden Clan aufgezogen werden würde. Trotzdem stimmte ich zu. Es musste sein.

Wellenartig durchliefen mich Wehen. „Tüpfelblatt!", schrie ich. Aber die Heilerin kam nicht. Ich würde das allein durchstehen müssen. Ein Junges fiel hinter mir ins Moos. Mit größter Anstrengung packte ich es und zog es zu mir. Nachdem ich die Fruchtblase aufgebissen hatte, erkannte ich Lilienjunges. Er atmete, Sternenclan sei Dank. Doch immer noch durchliefen mich Krämpfe. Ein zweites Junges kam! Ein Geschenk des Sternenclans! Ich zog die beiden an meinen Bauch. Sofort begannen sie, gierig zu saugen und ich atmete erschöpft aus. Da kam eine schildpattfarbene Kätzin um die Ecke. „Silberfeder! Tut mir leid, ich hatte noch zu tun... Oh, er ist schon da? Das hast du toll gemacht!", sprudelte sie hervor. Schnurrend zog ich eine Pfote etwas zur Seite, sodass sie das kleine grau-gelblichen Junge sehen konnte. „Oh, noch eines!", mimte sie leicht ironisch die Erstaunte. Ich zuckte belustigt mit den Ohren, während die Sternenclankätzin mich und meine Jungen untersuchte. Warme Liebe durchströmte mich, als ich mir die Beiden genauer ansah. Doch diese Liebe verschwand. Mir wurde bewusst, dass ich die Beiden verlieren würde. „Zwei kerngesunde Kater! Wie willst du sie nennen?", riss mich Tüpfelblatt aus meinen trüben Gedanken. Schweigend und traurig sah ich sie an. „Ich werde sie verlieren", flüsterte ich. „Wozu brauchen sie also Namen?" Mitfühlend sah mich Tüpfelblatt an. „Gib ihnen Namen! Bitte!", bat sie. Mit dunklen Augen betrachtete ich die zwei. „Schmutzjunges! Und Mondjunges!", verkündete ich dann leise und deutete erst auf den grau-gelblichen, dann auf den weißen Kater. „Lilienjunges ist kein Name für einen starken Kater!", fügte ich noch hinzu. Tüpfelblatt nickte zustimmend.

Zwei Monde waren vergangen, seit ich Kristallfeder zum zweiten Mal bei der Geburt geholfen hatte und Bachpfote hieß jetzt schon Bachkiesel, Flusspfote Flusslauf und Wellenpfote war leider von einem Fuchs geholt worden. Inzwischen pflegte ich ein sehr freundschaftliches Verhältnis mit Schmutzfell...(Ja, ganz genau, nicht mehr!) ...und Flusslauf. Ich mochte die beiden Kater sehr gerne, aber mein Herz gehörte noch immer Flusskralle. Eines Tages stand Leopardenstern wieder auf dem Wasserfels und rief uns zusammen. Am Fuß des Felsens saß ein kleiner Kater, den ich noch nie gesehen hatte. Auch die anderen Katzen tuschelten leise und warfen sich heimlich Blicke zu. „Das hier ist Wiese! Er möchte sich unserem Clan anschließen!", erklärte Leopardenstern kurz. „Wiese, du bist neu in diesem Clan, weshalb du zuerst einen Mond lang ein Schüler sein wirst, um dich prüfen zu lassen. Bachkiesel, tritt vor! Silberfeder war dir eine hervorragende Mentorin und hat dich Weisheit und Loyalität gelehrt! Gib diese Fähigkeiten an deinen Schüler weiter! Wiese, von diesem Augenblick an wirst du Wiesenpfote heißen. Streng dich an und diene deinem Clan gut!" Bachkiesel berührte Wiesenpfote mit der Nase, was sehr lustig aussah, weil er größer war als sie. Ich schnurrte kurz. Der neue Schüler war sogar größer als ich und Bachkiesel musste sich eine Menge Sprüche anhören. Wiesenpfote hatte goldenes Fell, in dem man relativ gut die gleichen Flecken wie bei Leopardenstern erkennen konnte. Um eins seiner dunklen Augen hatte er einen lustigen schwarzen Fleck. Flusslauf schnurrte und rief laut: „Wiesenpfote! Wiesenpfote!" Der restliche Clan fiel zögerlich mit ein. Ich rief halbherzig den Namen des neuen Schülers, bevor ich mich mit hängendem Schweif in meinem Nest zusammenrollte.

Ich schwamm durch einen Fluss, einen tiefen schwarzen Fluss mit kaltem Wasser und das Wasser zog an meinem Fell. Ich trat mit den Pfoten durch die wirbelnden, schwarzen Tiefen, schaffte es aber nur mit größter Mühe, meinen Kopf über Wasser zu halten. Da wirbelte ein kleines weißes Fellbündel vorbei. Mondjunges! Ich zwang mich zu noch schnelleren Bewegungen und packte ihn schließlich am Nackenfell. Da schoss ein zweiter, größerer Körper an mir vorbei. Flusskralle! Ich wimmerte kurz, entschloss mich dann aber, Mond-, nein, Lilienjunges an Land zu ziehen. Am Ufer hustete ich erst mal Wasser aus und beschnüffelte den reglosen Körper dann. Er atmete! Rasch leckte ich ihm über den Kopf und legte ihn auf einen seltsamerweise warmen Stein. Dann stürzte ich mich wieder ins Wasser. Meine Krallen griffen in einen schwarz-weißen Pelz. „Flusskralle!", gurgelte ich verzweifelt, als Wasser über meinen Kopf schwappte. Mein nasser Pelz zerrte an meinem Körper und alles in mir schrie danach, einfach loszulassen und mein eigenes Leben zu retten. Mit letzter Kraft zog ich ihn noch eine Schwanzlänge in Richtung Ufer, dann wusste ich, dass es zu spät war. Der Kopf des Katers, den ich liebte schlug in der Strömung hin und her und der Geruch des Todes klebte an seinem Pelz. Erschöpft ließ ich Luft durch meine wunde Nase hinausströmen und zerrte den Leichnam meines alten Freundes mit dem Maul ans Ufer. Jetzt ging alles ganz leicht und er schien weniger zu wiegen als Lilienjunges. Alles um mich herum wurde schwarz.

„Silberfeder, wach auf! Du hast doch nur geträumt! Hör auf zu kratzen!", drangen die Stimmen meiner Baugefährten an mein Ohr. Taumelnd erhob ich mich und schüttelte die letzten Reste meines Traumes ab. Vor meinen noch etwas trüben Augen saß ein schwarz-weißer Kater. „Flusskralle!", murmelte ich glücklich. „Wie bitte? Ich bin Flusslauf! Flusskralle gehört doch zum Donnerclan!", erinnerte mich der Kater. Da entdeckte ich auch Goldbach, Kleeperle, Sturmpelz und Bachkiesel, die sich besorgt um mein Nest scharrten. „Es ist alles gut, ich hab nur geträumt! Tut mir schrecklich leid!", murmelte ich zerknirscht. Alle außer Kleeperle gingen in ihre Nester zurück, nur leckte mir mitfühlend die Schulter. „Du liebst ihn immer noch, nicht wahr?", flüsterte sie. Ich schlug die Augen nieder und hauchte: „Ja!" „Dann sprich mit ihm. Morgen ist große Versammlung und Leopardenstern nimmt dich mit, hat sie gesagt, also bitte ihn um ein Gespräch!", riet die kleine, graubraune Kätzin und blinzelte mir mit ihren grünen Augen aufmunternd zu. Ja, das würde ich machen.

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