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-Noemi-

Die folgende Nacht schlief ich sehr unruhig und wachte mit ordentlichen Kopfschmerzen auf. Mittwoch. Entweder man ist optimistisch und denkt sich: toll, die Hälfte der Woche ist geschafft, oder man denkt so wie ich und sieht den Mittwoch als einen Tag ohne Französisch- also ohne Frau Herbst. Mit schlendernden Schritten ging ich runter, wo meine Mutter bereits das Frühstück vorbereitet hatte. Etwas mürrisch setzte ich mich an den Tisch und mein Papa fragte mich: „ Na Käferchen, hast du gut geschlafen ?" Ich liebte es, wenn er mich Käferchen nannte, diesen Spitznamen trug ich schon mein ganzes Leben lang und er passte auch gut zu mir. Obwohl ich meinen Papa wirklich lieb habe erwiderte ich auf seine nette Frage nur mit einem leichten Murren, aber ich wusste, er würde es sich nicht zu Herzen nehmen. Meine Familie weiß, dass ich kein Morgenmensch bin.

Schule war heute ziemlich langweilig. Wir hatten Spanisch, Physik und Bio und außer Spanisch machten mir diese Fächer nicht besonders viel Spaß. Ich muss mich echt zusammenreißen, um irgendwas mitzukriegen im Unterricht. Meine Gedanken hingen immer Frau Herbst nach. Ich hilt unbewusst Ausschau nach ihr, egal wohin ich ging. Ich würde sie garantiert sofort sehen, wenn sie sich in der Schülermasse befinden würde, aber das war heute leider nicht der Fall.

Als ich vom Fahrrad abstieg und meine Haustür aufschloss kam mich der süßliche Duft von Pfannkuchen entgegen. Mmmm, wenigstens eine gute Sache hatte der Tag heute. Kaum hatte ich meine Schuhe und Jacke ausgezogen hörte ich meine Mutter wie sie mir zurief, dass das Essen gleich fertig sei und ich mich schon mal an den Tisch setzten solle. Kurze Zeit später saßen wir auch schon nebeneinander und lasten es uns schmecken.
„Wie war dein Tag, Schätzchen ?"
Etwas genervt über diese Standartfrage antworte ich: „Naja, nicht so besonders. Schule halt. Und deiner ? Wie war der Yogakurs, den du heute das erste mal besucht hast ?"
„Ah ja, der war wirklich fantastisch. Ich habe eine wirklich nette Frau kennengelernt und sie morgen zum Abendessen  eingeladen, ich hoffe das stört dich nicht, Papa weiß schon Bescheid. Unsere Yogamatten lagen heute nebeneinander und wir haben ein bisschen geplaudert und obwohl sie etwas jünger ist als ich haben wir uns echt super verstanden. Du wirst sie mögen."
„Das freut mich für dich, Mom. Und klar bin ich einverstanden, dass sie morgen mit uns zu Abend isst. Wird bestimmt nett, sie kennenzulernen."

Wir quatschten noch ein bisschen, bis ich mich schließlich auf mein Zimmer verzog, um ein bisschen Ruhe zu haben. Na toll,  jetzt kommt auch noch diese Frau morgen zum Essen. Ich meine, ich freu mich mega für meine Mama, dass ihr der Kurs so gut gefällt und sie sogar schon eine Freundin gefunden hat, aber meine soziale Batterie ist einfach schon zu leer, um jetzt auch noch neue Leute kennenzulernen, bei denen ich einen guten Eindruck hinterlassen muss oder eher gesagt möchte.

Den Nachmittag verbringe ich mit Hausaufgaben machen und lernen. Ich tauche völlig in meine Arbeit ein und als ich den Kopf von meinen Büchern hob und aus dem Fenster schaute, musste ich mit Entsetzen feststellen, dass es bereits dunkel geworden war. Ich finds immer wieder krass, wie viel Zeit Schule eigentlich einnimmt. Je höher die Klasse, desto weniger Freizeit. Aber im Moment sind die vielen Aufgaben eine gute Ablenkung von Frau Herbst. Oh Gott, kaum bin ich eine Sekunde unkonzentriert schweifen meine Gedanken schon wieder in ihre Richtung ab. Keine Ahnung, wie ich diese Frau jemals aus meinem Kopf kriegen soll.

Nach langem Hin- und Herdecken beschloss  ich, einen Spaziergang zu machen, um mir die Beine zu vertreten und eventuell meine Gedanken ein bisschen zu ordnen. Schnell schlüpfte ich in meine Schuhe, warf mir meine Jacke über und legte noch eine kleine Notiz, dass ich kurz unterwegs bin, auf den Küchentisch, damit meine Eltern sich keine Sorgen machten. Ich steckte mir meine Kopfhörer ins Ohr und verlies das Haus. Es war sehr kalt draußen und schon nach wenigen Metern bereute ich es, mich nicht wärmer angezogen zu haben. Ich steuerte den kleinen Wald an, welcher quasi direkt neben unserem Haus liegt. Er hat einen kleinen, süßen Teich mit einer Bank. Dort gehe ich immer hin, wenn mein Kopf zu platzen droht. Besonders, wenn es dunkel ist und die Straßenlaternen in der Ferne leuchten, ist die Stimmung dort am besten. Genau wie heute. Ich setze mich auf die Bank und drücke meine Knie fest gegen meine Brust, damit ich sie umklammern kann und damit mir etwas wärmer wird. Gedankenverloren blicke ich auf den Teich, wo ab und zu kleine Blubberbläschen an der Oberfläche zum Vorschein kommen. Ich liebe es, wie sich der Mond und sein helles Licht in dem Wasser spiegeln. An dem Ort hier kann ich normalerweise richtig gut abschalten und all meine Probleme vergessen, doch heute bleibt ein Problem wie in Stein gemeißelt in meinem Kopf.
Frau Herbst.
Was ich auch tue diese Frau, diese atemberaubende Frau will einfach nicht aus meinem Kopf. Ich könnte sie- nein, ich könnte MICH verfluchen, dafür, dass ich mich selbst so wenig unter Kontrolle habe und mir mein Leben nur unnütz schwer mache, indem ich mich in meine Lehrerin verliebe. Oh Mann ! So blöd ist doch wirklich niemand...
„Noemi bist du das?"
Erschrocken spring ich auf und blicke mich um. Ungefähr 8 Meter von mir entfernt steht eine Person. Eine Frau, glaube ich, aber dadurch, dass es ziemlich dunkel ist, kann ich das nicht zu 100 Prozent sagen.
Aber warte mal... die Stimme... das musste ich mir eingebildet haben, oder ist das wirklich ...?
„Frau Herbst, sind Sie das?"
„Ja, ich bins. Entschuldige bitte, dass ich dich so erschrocken habe. Darf ich mich zu dir setzen ?"
Verdattert starte ich sie an. Passiert das gerade wirklich. Omg, wie soll ich mich verhalten ? Anders als in der  Schule oder gleich ? Mist, sie wartet ja auf eine Antwort von mir.
„Ja klar, setzten Sie sich."
Mit langsamen Schritten kam sie näher und setzte sich ans andere Ende der Bank. Auch ich hatte mich von dem Schreck wieder einigermaßen erholt und nahm wieder Platz. Auch, wenn ich von Außen einfach still auf der Bank saß war ich innerlich am brodeln. Es fühlte sich an, als würde in mir ein Vulkan ausbrechen und seine Glut würde in jeden Zentimeter meines Körpers fliesen. Mir wurde ganz heiß, ich begann richtig zu schwitzen und bedankte mich in diesem Moment bei Gott, dass Frau Herbst meine roten Wagen, auf Grund der Dunkelheit, nicht sehen konnte.
„Was machst du denn so spät noch draußen ?" fragte Frau Herbst mit zarter Stimme. Ihre Frage riss mich komplett aus meiner Gedankenwelt, doch ich versuchte so ruhig wie möglich zu antworten.
„Ich..ähm..ich brauchte etwas Ruhe, um...um meine Gedanken und Gefühle zu ordnen und zu verstehen. Ich komme immer an diesen Ort, wenn ich Zeit für mich brauche."
Ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen und sie erwiderte. „ Also hatte ich recht?"
Verdutzt zog ich eine Augenbraue hoch.
„Recht womit?"
„Damit, dass dich etwas beschäftigt und dir schwer auf der Seele liegt."
Verdammt, ja. Natürlich hatte sie recht gehabt, denn wie auch immer sie das tat, konnte mich diese Frau lesen, wie ein offenes Buch.
„Möchtest du jetzt vielleicht darüber reden, Noemi?" Sie nahm meine Hand und ich spürte die Wärme, die von ihr ausging.
„Ich...ich weiß nicht. Es ist ziemlich kompliziert."
„Es ist mir egal, wie kompliziert oder verzwickt dein Problem ist, ich bin hier, um dir zuzuhören."
„Nun gut. Ich..bin..ich hab.....ich hab mich in jemanden verliebt. Nur leider ist diese Liebe komplett aussichtslos und deswegen bin ich so verzweifelt, weil ich diese Person einfach nicht aus meinem Kopf kriege."
„Wieso bist du dir so sicher, dass sie aussichtslos ist, vielleicht empfindet er ja dasselbe für dich." versucht sie mich aufzumuntern.
„Sie. Es ist eine sie, kein er." sagte ich mit zittriger Stimme und ich spürte, wie sich mein Hals zuschnürte und mein Blick anfing zu verschwimmen.
„Oh, Noemi. Na und? Es ist doch heutzutage egal, auf welches Geschlecht man steht, dann ist es eben eine sie. Wichtig ist einfach nur, dass du dich wohl fühlst."
Ich drehte mich etwas zu ihr, um in ihre Augen zu schauen. Voller Verzweiflung antwortete ich: „ Sie verstehen das nicht. Ich hab mich unendlich in diese Frau verliebt, aber sie wird nie im Leben das gleiche für mich empfinden." Nun konnte ich meine Trauer nicht mehr verstecken und fing an zu schluchzen. Frau Herbst rückte näher und Schloss mich in ihre Arme. Diese Situation war einfach nur verrückt. Es war inzwischen nach 22:00 Uhr, ich saß auf einer Bank im Wald und neben mir meine Französischlehrerin, in die ich mich verliebt hatte. Und irgendwie hatte ich ihr meine Liebe ja gerade gestanden, also so halb, immerhin weiß sie noch nicht, dass sie die Person ist, die mich so verrückt macht.
Frau Herbst hob mein Kinn, so dass unsere Gesichter nur noch ein paar Zentimeter von einander entfernt waren. Besorgt sah sie mich an und ich konnte einfach nicht verhindern, dass mein Blick auf ihre Lippen fiel. Egal, wie sehr ich es versuchte, ich hatte nicht die Kraft, woanders hinzuschauen. Wir waren uns so nahe, dass ich ihren Atem, welcher immer schwerer wurde, auf meiner Haut spüren konnte. Moment mal, warum wurde ihr Atem schwerer und warum war ihr Blick auf ein mal so anders? Ihr Blick war keinesfalls mehr besorgt...eher nervös und voller Sehnsucht...aber wieso...
Ihre Augen waren mittlerweile auf meine Lippen gerichtet und sie war mir etwas näher gekommen.
„Noemi...ich...ich glaub ich mach gleich etwas ganz dummes, bitte halt mich auf, ich kann mich nämlich nicht mehr zurückhalten." Ihr Stimme war nun nur noch ein leises Flüstern, welches verzweifelt klang. Sie würde etwas dummes machen? Was meint sie damit? Doch bevor ich mir diese Frage selbst beantworten konnte, tat sie es schon...

-Kira-

Ich legte meine Hand zaghaft an ihre Wange und sah ihr ein letztes mal tief in die Augen, bevor ich die kleine Lücke zwischen uns schloss und sich unsere Lippen berührten. Das hier war so falsch, aber warum zum Himmel fühlte es sich dann so richtig an? Ihre Lippen waren ganz zart und weich und hatten einen leichten rosigen Geschmack. Mein neuer Lieblingsgeschmack. Nach kurzen zögern erwiderte sie den Kuss und wir verschmolzen miteinander. Unsere Lippen waren füreinander bestimmt. Sie fügten sich zusammen, wie zwei Puzzleteile, die noch fehlten, damit das Puzzle vollkommen ist. Genau so war es. Mit ihr fühlte ich mich vollkommen, so, als hätte ich mein ganzes Leben lang nach ihr gesucht, ohne es zu wissen. Unser Kuss wurde immer leidenschaftlicher und fühlte sich einfach nur unfassbar schön an. Ich wünschte mir so sehr, dass dieser Moment nie enden würde, doch leider hatten wir beide morgen Schule, weil ich ihre Lehrerin war und sie meine Schülerin. Wir sagten kein Wort mehr, sondern saßen einfach nur da und küssten uns neben einem kleinem Teich im Mondschein. Lieber Gott, bitte lass es nicht das letzte Mal sein, dass ich ihre Lippen schmecken darf...

Eine Liebe, die nur wir verstehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt