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-Noemi-

Wie erwartet tat ich in der Nacht kein Auge mehr zu, weshalb ich jetzt unfassbar müde war. Die ganze Nacht drehten sich meine Gedanken um ein und die selbe Person. Frau Herbst. Ich hab von ihr geträumt und der Traum war nicht gerade ein gutes Beispiel für eine professionelle Lehrer-Schüler-Beziehung... Verwirrt und noch etwas benebelt von dem mangelndem Schlaf schlenderte ich langsam ins Bad bis ich vor dem großen Spiegel stehen blieb und hineinschaute. Oh Gott. Die Stunden, die mir der Traum an Schlaf geraubt hat sind eindeutig an meinen tiefen Augenringen zu erkennen. Schnell schnappte ich mir meine Kosmetiktäschchen und fing an alle Kennzeichen der vergangenen, schlaflosen Nacht so gut es geht zu verdecken. Heute ist Dienstag und ich habe Frau Herbst nicht im Unterricht, was den Tag schonmal etwas langweilig macht. Ob ich sie vielleicht trotzdem sehen würde ?

Vor dem Schultor traf ich mich mit Lia, meiner neuen Sitznachbarin. Wir haben uns bereits gestern sehr gut verstanden und sofort Nummern ausgetauscht. „ Hey, hast du schon gehört ? Heute haben wir Vertretung in Mathe ." erwähnt sie nebenbei mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „ Das ist natürlich wirklich schade, da Mathe ja mein absolutes Lieblingsfach ist." antworte ich mit einem ironischen Unterton und wir beide mussten kichern. „Weißt du zufällig wen wir als Vertretung haben ?" fragte ich, nachdem wir ein paar Sekunden still nebeneinander gelaufen sind und uns dem Eingang der Schule immer mehr genähert haben. „Frau Herbst, glaube ich."
Ich blieb stehen. Allein bei der Erwähnung ihres Namens schlug mein Herz schneller und mein Hals wurde auf einmal ganz trocken. Wir hatten Frau Herbst als Vertretung, ich würde sie also heute wiedersehen. Mir wurde etwas schwindelig und meine Hände fingen an zu schwitzen. Abgesehen davon, dass ich plötzlich stehen geblieben war musste man mir meine Nervosität anscheinend ansehen, denn Lia fragt besorgt: „ Alles gut bei dir, Noemi ? Willst du dich vielleicht kurz setzen ?" „ Nein, alles gut, danke. Mir ist nur eben etwas schwindelig geworden, ich habe heute einfach noch nicht genug getrunken." antwortete ich und Lia lächelte mich daraufhin verständnisvoll an. Wir verlangsamten unser Tempo ein wenig und gingen weiter in Richtung Eingang.

Kurze Zeit später saßen wir auch schon auf unseren Plätzen im Klassenzimmer. In den ersten beiden Stunden hatten wir Deutsch und es fühlte sich so an als stünde die Zeit still, weil ich ganz genau wusste, dass ich nach der Pause Frau Herbst wiedersehen würde. Allein bei dem Gedanken, gleich wieder im selben Raum wie sie zu sein, machte sich ein unbehagliches Gefühl in mir breit. Dann endlich. Der Gong. Mit einem leisen Seufzer stand ich auf und wartete noch auf Lia, die noch kurz die Hausaufgaben notierte. Ich mochte Lia wirklich gerne. Sie war von Anfang an nett zu mir gewesen und bei ihr fühlte ich mich wohl. Auch die Pausen verbrachte ich mit Lia und ihrer Freundesgruppe, welche ebenfalls einen sehr sympathischen Eindruck machte.

Ein kurzer Blick auf mein Handy verriet mir, dass die Pause vorbei war und wir so langsam wieder zum Klassenzimmer mussten. In das Klassenzimmer, in dem ich gleich auf sie treffen würde. Umso mehr ich drüber nachdachte umso nervöser wurde ich. Lia sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an und sagte schließlich: „Alles gut bei dir, Noemi ? Irgendwie bist du ziemlich blass." „Nein, nein, alles gut." antwortete ich ertappt und zwang mich zu einem leichten Lächeln. Ich wusste, dass sie mir die Lüge nicht abkaufte, denn sie betrachtete mich noch einige Sekunden misstrauisch, bis sie sich zu den anderen umdrehte und fragte: „Kommt ihr ? Pause ist vorbei."

Als wir am Klassenzimmer ankamen, war die Tür noch verschlossen und meine Mitschüler sammelten sich vor dem Klassenraum. Ich blickte den Gang entlang und fokussierte die Ecke, um die Frau Herbst gleich gebogen kommen musste. Und tatsächlich, wenige Sekunden nachdem sich der Gedanke in mein Bewusstsein geschoben hatte, hörte ich ihrer Absätze auf dem Boden klackern, bevor auch meine Augen ihre Gestalt wahrnahmen. Ihre wunderschöne Gestalt... Sie trug eine schwarze durchsichtige Strumpfhose mit einem roten Rock drüber und einem beigefarbenen Pulli. Verdammt ! Sie sah echt umwerfend aus. Mit jedem Schritt wog sich ihre Hüfte elegant in die Seiten und ihr Haar flog auf und ab. Alles war wie in so einer Szene aus einem Liebesfilm, sobald das beliebte Mädchen der Schule das Schulgebäude betrat und sofort alle Blicke auf sie gerichtet waren. Nur war ich die Einzige, die ihren Blick auf Frau Herbst gerichtet hatte und sie wahrscheinlich vollkommen bescheuert ansah.

„Mund zu Noemi, du sabberst schon." flüsterte mir Lia plötzlich ins Ohr und musste ihr Lachen unterdrücken. „Was ? Wie ? Ich sa-, Lia !!!" Entfuhr es mir verärgert und ich könnte förmlich spüren wie mir vor Scham die rote Farbe ins Gesicht stieg. Nun konnte sie es sich nicht mehr verkneifen und fing an zu kichern während ich immer noch wie versteinert dastand. Hat sie gemerkt, wie ich Frau Herbst angeschaut habe ? Natürlich hatte sie das, sonst hätte sie ja nichts gesagt. Oh Gott, wie peinlich !!

„ Guten Morgen ihr Lieben, tut mir leid, dass ich etwas zu spät bin, ich habe gerade erst gesehen, dass ich bei euch Vertretung habe. Ich schließe euch auf." Ihre Stimme hallte in meinem Körper nach und ich bekam eine Gänsehaut. Schnell raffte ich mich zusammen und versuchte mir meine steigende Nervosität nicht anmerken zu lassen, damit ich nicht nochmal so einen unangenehmen Kommentar von Lia erntete. Mit schnellen Schritten eilte ich zu meinem Platz und versuchte möglichst nicht in die Richtung von Frau Herbst zu schauen, welche gerade ihre Sachen am Lehrerpult auspackte.

Der Unterricht begann und Frau Herbst machte mit uns Französisch, da sie meinte, wir hätten genug zu tun dieses Schuljahr und könnten deswegen die Vertretungsstunde sinnvoll nutzen. Während sie redete war ich wie in Trance. Mein Verstand schaltete komplett ab und ich verlor mich in meinem Gedanken, welche sich natürlich um Frau Herbst drehten. Um ihre perfekte Figur, ihre wunderschönen Haare und wie sie ihren Kopf in den Nacken legte, wenn sie lachte. Ihr Lachen...

„Alors Noemi, qu'est-ce tu penses?" Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als sich mein Blick mit dem von Frau Herbst kreuzte und ich bemerkte wie mein Name über ihre Lippen kam. Über ihre atemberaubenden Lippen...
„Tut mir leid, ich war...in Gedanken versunken, könnten sie die frage vielleicht nochmal wiederholen ?" brachte ich mit zittriger Stimme hervor und hoffte, sie hatte mich überhaupt gehört. Etwas besorgt musterte mich meine Französischlehrerin, bevor sich ein zarter Blick über ihre Augen legte und sie die Frage wiederholte und ich sie tatsächlich beantworten könnte, obwohl ich so gut wie nichts vom Unterricht mitbekommen hatte. Also klar, ich hatte aufgepasst, aber mein Fokus lag in den letzten Minuten nur auf ihren Lippen und nicht auf dem, was sie aussprachen.

Die Minuten verstrichen viel zu schnell und der Gong ertönte. Leichte Traurigkeit überkam mich, denn ich wusste, dass ich Frau Herbst erst wieder am Freitag haben würde. Extra langsam packte ich meine Sachen, um so viel Zeit wie möglich bei ihr zu verbringen. Ich bewegte mich mit dem Strom der Klasse in Richtung Tür, um in die Pause zu gehen, als ich auf einmal die Stimme von Frau Herbst wahrnahm.

„Noemi, könntest du vielleicht noch kurz bleiben ?"

Eine Liebe, die nur wir verstehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt