#10

259 7 2
                                    


-Kira-

Ganz ruhig.
Bleib ganz ruhig, Kira!
Immer wieder spielt sich dieses Mantra in meinem Kopf ab, während ich verzweifelt versuche meine Angst und meinen rasenden Puls unter Kontrolle zu kriegen. Ich saß im Auto, mein Augen geschlossen und mein Kopf an das Lenkrad angelegt, welches ich noch immer mit beiden Händen fest umklammerte.
Heiße Tränen liefen mir über die Wangen und in meinem Kopf pochte es so wild, dass ich mich nicht traute ihn zu bewegen.
Mein Auto stand vor meinem Haus doch ich schaffte es nicht auszusteigen. Mein Kopf befahl es immer wieder, aber meine Körper weigerte sich, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen.

Du hast das Richtige gemacht, Kira. Ganz sicher.

Ich hatte Noemis verletzten Blick noch immer ganz genau vor Augen. Aber ich musste das tun, ich hatte einfach keine andere Wahl. Wenn er rausbekam, von wem ich den Knutschfleck hatte, war sie nicht mehr sicher und wenn er ihr etwas antuen würde wegen mir, könnte ich mir das nie verzeihen.
Ich musste sie von mir stoßen , um sie zu beschützen.

In meiner Jackentasche fing es an zu klingeln, doch mir war gerade nicht nach einem Telefonat, also würde ich den Anruf einfach ignorieren.
Doch auch nach knappen 30 Sekunden war das klingeln nicht verstummt. Genervt nahm ich mein Handy in die Hand, um wenigstens zu wissen, wer mich so dringend erreichen wollte.

Sobald ich einen Blick auf meinen Display erhaschen konnte, hielt ich den Atem an. Panik stieg in mir auf, doch ich war weiterhin unfähig mich zu bewegen.
Es war Andreas, der mich anrief.
Mein Mann.

Ich musste rangehen, sonst würde das noch schwere Folgen haben.
Mit zittrigen Fingern drückte ich auf das grüne Symbol und hielt mein Handy an mein Ohr.
Mit einem falschen Lächeln versuchte ich meine momentane Gefühlslage zu überspielen und sagte: „ Hey Schatz, was gibt's ?"
„Wo zum Teufel bist du? Dein Unterricht ist schon längst vorbei und bis jetzt solltest du schon zuhause sein. Ich schwöre dir, Kira, wenn du wieder bei diesem unbekannten, mysteriösen Typen bist, mach ich dir die Hölle heiß und die kleinen blauen Flecken von gestern werden deine kleinste Sorge sein."

Seine Wörter waren wie scharfe Klingen, welche sich tief in meine Haut bohrten und beängstigende Narben hinterließen.
Wann war er zu diesem Menschen geworden?
Meine Kehle fühlte sich an, als hätte jemand ein Seil drum gewickelt und zugezogen, doch trotzdem zwang ich mich zu einer Antwort.
„Nein ,Schatz, alles gut. Ich habe gerade vor unserem Haus geparkt. Es gab heute leider ein bisschen Stau, weswegen ich mich verspätet habe, bitte entschuldige."

Ein aggressives Knurren kam mir aus meinem Handy entgegen bis er schließlich sagte: „Wenn du innerhalb der nächsten Minute nicht im Haus bist kannst du was erleben."
Dann legte er auf und ich lies das Handy langsam sinken.

Bleib stark, Kira.
Ich packte meine restlichen Sachen zusammen und öffnete die Autotür.

Vor drei Jahren hatte ich Andreas kennengelernt und mich Hals über Kopf in ihn verliebt. Er schien wie der Prinz in jedem Märchen.
Der absolute Traummann.
Er spielte mir was vor. Mir und meiner ganzen Familie.
Doch ich war blind, geblendet von der berühmten Rosa-Roten-Brille.
7 Monate nachdem wir uns kennengelernt hatten ging er vor mir auf die Knie und fragte mich, ob ich seine Frau werden wollte und natürlich sagte ich ja, so naiv wie ich war.

Zuerst waren wir überglücklich und das Leben schien perfekt.
Doch dann rutschte ihm in einem Streit ein Mal die Hand aus und er zeigte sein wahres Ich.

Es tut mir so leid, mein Schatz. Das wollte ich nicht, wirklich nicht. Es wird nie wieder vorkommen, versprochen. Bitte erzähl niemandem davon, sowas passiert jedem mal."

Kaum zu glauben, dass ich ihm diese Worte wirklich abnahm. Ab diesem Zeitpunkt ging unsere Ehe den Bach runter. Er hatte sich immer weniger unter Kontrolle und seine Hand „rutschte" ihm immer öfters aus.

Als ich damals all meinen Mut zusammennahm und ihm sagte, ich wolle mich scheiden lassen, rastete er völlig aus.
Mich überkommt immer noch ein Schauer der Angst, wenn ich daran denke, wie er seine Hände um meine Hals legte und mich gegen die Wand drückte.

Mit weit aufgerissenem Augen starre ich Andreas an, der mich wutentbrannt gegen die Wand drückt.
Seine Hände umschließen meinen Hals.
Er übt leichten Druck aus und erschwert mir das Atmen.
„Jetzt hör mir mal ganz genau zu. Du wirst dich ganz sicher nicht von mir scheiden lassen, Kira! Ich bin das Beste, was dir je passiert ist, also sei gefälligst dankbar!"
Sein Griff um meinen Hals wurde härter und ich schnappte alarmiert nach Luft.
„Solltest du noch ein Mal mit dem Gedanken spielen, mich verlassen zu wollen, wirst du schon sehen, was du davon hast.
Dir liegt doch ganz schön viel an deiner Familie, nicht wahr? Wäre doch wirkliche eine Schande, wenn ihr etwas wegen deinem hirnlosen Handeln passieren würde, oder?"
Er lies meinen Hals los und legte seine Hände an meine Hüfte, während er mich weiterhin mit seinem Körper an die Wand presste. Heiße Tränen liefen über meine Wangen und ein leises Schluchzen verlies meine Kehle, als er begann meinen Hals zu küssen.
Ich will das nicht. Jede seiner Berührungen brennt sich in meine Haut und ich spüre seine Hände und Lippen noch immer an meinem Körper, obwohl sie dort längst nicht mehr sind.
„Jetzt geh duschen und dann komm ins Bett. Wir können diesen schrecklichen Abend noch mit etwas Schönem abschließen." sagt er mit einem ekelhaften Zwinkern und einem süffisanten Grinsen im Gesicht. Ich hasste diesen Mann so sehr, doch mir blieb keine Wahl.
Ich musste ihm gehorchen.
Auch nach dem Duschen spürte ich noch, wie seine Hände sich um meinen Hals legten und auch alle anderen Berührungen von ihm,brannten auf meiner Haut und wurden allmählich zu Narben, welche sich tief in meinem Inneren befanden...

Seit dem Tag habe ich mich ihm nicht mehr widersetzt und habe versucht das beste aus der Situation zu machen. Auch meiner Familie erzählte ich nichts von den Vorfälle , weil meine Angst, er würde ihnen etwas antun, einfach zu groß war.

Als mich Noemi vor ihren Eltern fragte, ob ich aktuell in einer Beziehung war, antwortete ich mit Nein, denn ich wollte vermeiden, dass irgendjemand von Andreas erfuhr und ich über ihn hätte reden müssen. Es war einfacher zu sagen, dass ich Single war, als von meiner „traumhaften Ehe" zu erzählen.

Doch einen großen Fehler hatte ich begangen.
Ich hätte Noemi nicht küssen dürfen, doch als sie mich in ihr Zimmer schob und mich mit ihren schönen Augen voller Lust anschaute verlor ich jegliche Kontrolle über mein rationales Denken und handelte, wie meine Gefühle es mir befahlen.
Natürlich hätte ich wissen müssen, dass unser intimer Moment Spuren hinterlassen würde, Spuren, welche Andreas sicherlich nicht übersehen würde. Und das hatte er auch nicht.

Als er den Knutschfleck an meinem Hals entdeckte, gefror das Blut in meinen Adern und ich dachte schon, mein letztes Stündlein hätte geschlagen, doch ich bin verhältnismäßig gut davon gekommen. Die meisten blauen Flecken sah man unter meiner Kleidung zum Glück nicht. Ich durfte auf keinen Fall Aufmerksamkeit in der Schule auf mich ziehen.

Doch eine Person schenkte mir bereits ihre ganze Aufmerksamkeit.
Noemi.

Eine Liebe, die nur wir verstehenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt