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Ganz gemütlich zog ich mich an und achtete wie üblich nicht auf die Zeit. Aber nicht, weil es meine Lehrer nicht überraschte, wenn ich zu spät zum Unterricht erschien, sondern weil ich wusste, dass ich nun nie wieder zu spät kommen würde. Ich würde mich einfach auf den Schulhof teleportieren. Und keiner würde es merken. Diesen Entschluss hatte ich nach dem Besuch bei Mama gefasst.

Nachdem sie mir alles anvertraut hatte und nur noch wenige Tage im Krankenhaus zur Nachuntersuchung bleiben musste, hatte ich mich – nach vielen ihrer Beschwichtigungen – auf den Weg nach Hause gemacht. Tausend Fragen waren mir durch den Kopf gegangen. Aber vor allem:

Wie um alles in der Welt hatten sie es geschafft?

Wie hatten sie es geschafft, diese Substanz herzustellen?

Es war cool und aufregend. Fast wie eine Superkraft. Ich liebte es, zu Reisen und alles zu sehen, was es auf der Welt gab, aber genau das war ja das Problem.

Mein Vater war auf eine seiner Reisen durch den Amazonas spurlos verschwunden. Ein Flugzeugabsturz, passiert vor drei Jahren. Damals war Mama schwerer Trauer verfallen und ich hatte Angst, sie würde sich etwas antun. Angst, sie würde mich alleine lassen und einfach abhauen. Wochenlang bin ich ihr nicht von der Seite gewichen. Bis sie schließlich den Job im Labor angeboten bekommen hatte. Ab da war sie so beschäftigt, dass sie wieder lernte, sich allein um alles zu kümmern, und nach einiger Zeit verschwand ihre Trauer komplett.

Es war surreal gewesen, nachdem ich ihr immer wieder gesagt hatte, sie solle zu einem Therapeuten gehen oder wenigstens mit mir über ihre Gefühle reden. Über das, was passiert war. Ich atmete tief ein, als ich daran zurückdachte.

Lange Zeit hatte ich auf meine Hände gestarrt und konnte immer noch nicht glauben, dass das alles echt war. Aber so war es. Da ich nicht wusste, wie lange ich das Teleportieren beherrschte, musste ich es ausnutzen. So gut ich konnte und so lange ich es konnte. Das Leben war kostbar und wertvoll, und alles was im Labor passiert war hatte mich wieder daran zurückerinnert.

Zufrieden ging ich hinunter, schnappte mir meinen Rucksack mit dem Essen, genügend Geld und nahm meinen Haustürschlüssel. Noch zehn Minuten bis zum ersten Läuten. Hoffentlich landete ich nicht wieder in irgendeiner Abstellkammer.

Tief durchatmend schloss ich die Augen und stellte mir den grauen Asphalt und die Bäume auf unserem großen Schulhof vor. Und mit einem Kribbeln im Körper war ich im Nu weg.

Ich fand mich tatsächlich nahe der Fahrradständer vor dem Schulhof wieder. Vorsichtig schaute ich hinter dem Baum hervor, ob mich jemand beobachtet hatte – meine Mutter hatte mich hundertmal darauf hingewiesen, niemanden wissen zu lassen, was ich konnte – aber als dem nicht so war, wollte ich schnellen Schrittes zum Eingang, damit jeder sehen konnte wie früh ich war, als der Anblick einer bestimmten Person mich wieder hinter den Baum flüchten ließ. Mike.

Was ich über ihn wusste? Er hatte das fluffigste, schwärzeste Haar, was man sich vorstellen konnte, war Einzelkind und raubte mir mit seinem Blick seit der 6. Klasse den Verstand. Zumindest stellte ich es mir so vor, denn angesehen hatte er mich noch nie – nur in meinen Träumen. Im echten Leben war ich viel zu schusselig und auf keinen Fall sein Typ.

Aber war das nicht immer so?

Verliebte man sich nicht immer in genau die Person, die man nicht haben konnte?

Doch trotzdem hielt ich an dem Gedanken fest, dass er mich irgendwann genauso sah, wie ich ihn.

Um zum Eingang zu kommen, musste ich an ihm und seinen Freuden vorbei, die mich allesamt nicht sonderlich leiden konnten. Das konnte ja heiter werden.

Green Blood-LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt