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Innerlich einen Fluch ausstoßend beschleunigte ich meine Schritte, als die ersten Tropfen auf mir landeten. Nicht nur, dass ich schon viel zu spät war – nein, jetzt fing es auch noch an zu regnen, und ich hatte natürlich meine Jacke vergessen. Außerdem wehte dazu noch leichter Wind, und nun war mein Frösteln vermutlich nicht mehr zu übersehen. Seufzend und erschöpft kam ich schließlich an einem großen Lager außerhalb der Stadt an.

Mamas Labor. Ich hatte es geschafft!

Als Wissenschaftlerin war meine Mutter sehr angesehen und wichtig, weshalb sie oft nicht zu Hause war und ich sie nur selten zu Gesicht bekam. Und wenn, dann nur sehr flüchtig.

Woran sie momentan arbeitete, wusste ich ebenso wenig wie, warum sie immer bis spät in der Nacht im Labor war, aber laut ihren Telefonaten, denen ich schon so oft gelauscht hatte, war es ein sehr geheimes und durchaus gefährliches Projekt. Und genau das schien sie so zu fesseln. Denn meine Mutter war eine sehr disziplinierte Frau, die alles schaffte, was sie sich vornahm. Das hatte sie mir schon oft gezeigt, und ich hoffte, später auch genauso zielstrebig wie sie zu werden.

Ich betrat den vermeintlich endlosen Gang des Labors, an dessen Ende mein zweites Zuhause lag, da ich dort gefühlt die Hälfte meiner Freizeit verbrachte. Meine Hände waren gerade dabei sich um den Griff zu legen, als die Tür plötzlich aufflog und meine Mutter mit zwei anderen in Kittel gekleideten Menschen hinausstürmte.

Sie bemerkten mich anscheinend überhaupt nicht, denn sonst hätte meine Mutter etwas gesagt, also musste gerade etwas tatsächlich wichtiger sein als meine Verspätung. Ich hatte schon gedacht, ich würde Ärger bekommen, obwohl sich jeder, der mich kannte, schon daran gewöhnt haben müsste. Alle bis auf meine Mutter, die immer noch daran glaubte, dass diese Verspätung irgendwann aus meinem Zeitrhythmus verschwinden würde.

Da ich mich gut hier auskannte, fiel es mir nicht schwer zu erraten, wohin sie unterwegs waren. Sie wollten zum Versuchsraum - dem Ort, zu dem nur wenige Personen Zutritt hatten. Schon immer wollte ich wissen, was in diesem Raum gemacht wurde. Man brauchte eine Schlüsselkarte um hineinzukommen, und die besaßen nur meine Mutter und ihr Chef.

Nachdem sie und ihre Kollegen hindurch gegangen waren, und bevor sich die Türen mit einem Zischen schließen konnten, schlüpfte ich noch schnell hindurch und versteckte mich hinter einer großen Metalltonne mit der Aufschrift »Achtung«.

Zum Glück hatte mich keiner der Anwesenden bemerkt, und so konnte ich in aller Ruhe dem zusehen was nur wenigen Menschen vergönnt war. Mehrere Wissenschaftler, darunter auch meine Mutter, standen verteilt im Raum hinter einer Glasscheibe und schauten in die Mitte auf eine kleine Fläche, auf der jemand stand. Was? Ein Mensch? Mama hatte mir nie erzählt, dass sie auch Experimente an Menschen durchführten. War das nicht illegal? Gespannt schaute ich, was passierte.

Der junge Mann mit dem dunkelblonden Haar wirkte ängstlich und verwirrt, als wüsste er nicht, dass er hier in einem Labor war. Aber wenn er dafür bezahlt wurde, das Experiment zu machen, dann müsste er sich darüber doch im Klaren sein?

Zwei Männer kamen herein und hielten den jungen Mann ruhig, während ihm ein Dritter eine Spritze verabreichte. Eine Spritze mit einer grünen Flüssigkeit. Was war das? Automatisch trat ich etwas vor, um einen besseren Blick vom Geschehen zu bekommen, zumal man hinter dieser Tonne nicht viel sehen konnte. Ich erschrak, als der junge Mann plötzlich auf dem Boden lag – Blut tropfte ihm aus den Ohren. Oh nein!

Mein lautes Aufatmen führte dazu, dass einige der Wissenschaftler nach der Quelle des Geräusches Ausschau hielten – darunter auch meine Mutter. Entsetzt drehte ich mich um und duckte mich auf den Boden, damit sie mich nicht sehen konnten. Warum war er tot? War er es überhaupt? Schnell erhaschte ich einen zweiten Blick auf ihn.

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