Kapitel 1 - Ein Jahr zuvor

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Langsam streifte sich Louis die Schuhe von den Füßen.
"Du kannst wirklich gern zu uns kommen. Wir nehmen dich gern auf, Louis.", sprach Liam langsam, während Louis sich mit der Hand durch sein bleiches Gesicht rieb. Tiefe Augenringe hatten sich in den letzten Tagen gebildet und er war ungesund dünn. Seine Welt hatte für einen Augenblick stillgestanden. Und als sie sich dann weiter gedreht hatte, war nichts mehr so gewesen, wie es war. Er hatte verloren und verlor sich wohl ein Stück weit noch immer selbst.

"Ich gehe morgen nach Hause.", sprach Louis tonlos und ließ das schwarze Sakko einfach zu Boden gleiten.
Liam hob es sofort auf, strich es glatt und hängte es auf.

"Du solltest dir Zeit nehmen. Unser Gästezimmer gehört dir, so lange du möchtest."
"Danke.", sprach Louis, betrat den Raum und legte sich noch in der schwarzen Hose aufs Bett. Er wollte schlafen. Einfach nur noch schlafen und erst wieder aufwachen, wenn er wieder bei ihm sein könnte.

Dummerweise war er erst 28 Jahre alt. Bis zum Eintreten eines natürlichen Todes hatte er also noch einige Jahre und alles, was kein natürlicher Tod war, kam nicht in Frage. Aber er hatte Angst vor der Zeit bis es soweit war. Denn er war etwas, was er niemals gedacht hatte zu sein: er war allein.

Liam betrachtete Louis vom Flur aus. Er und die anderen wollten ihm Halt geben. Aber wie hielt man jemanden, den man nicht einmal greifen konnte?
Alle anderen hatten ihn vor geschickt, weil sie meinten, Liam sei für Louis schon eher ein großer Bruder. Aber was er machen sollte, hatten sie nicht gesagt. Dazu kam die eigene Trauer. Harry war aus ihrer Mitte gerissen worden. Zu behaupten, irgendjemand käme damit klar, wäre glatt gelogen.

Aber hauptsächlich empfand Liam Trauer für Louis. Zu sehen wie der da stand, während der Sarg langsam herabgelassen wurde, hatte ihn innerlich getroffen. Louis hatte nicht geweint. Er hatte längst keine Tränen mehr übrig. Oder hatte er generell keine?
Er hatte dagestanden. Mit diesem leeren Blick, der so viel schlimmer zu ertragen war, als alles Weinen dieser Welt. Es war ein Blick der so verloren, so ängstlich und so gebrochen war, dass manche Menschen Abstand nahmen. Wohl aus Angst, sie könnten nur einen Bruchteil dessen spüren, was Louis ertragen musste.

Vorhin hatte eine alte Dame zu Louis gesagt, er sei so stark.
Louis hatte freudlos gelacht und gesagt: "Ich bin nicht stark. Ich habe nur keine Wahl.". Dann hatte er die Frau stehen lassen, die ihm verdattert nachgesehen hatte. Sie hatte das vermutlich bestärkend gemeint. Aber da war aktuell keine Substanz, die man bestärken hätte können.

Man sagte, dass die Toten in einem weiter lebten. Aber Liam hatte das Gefühl, dass das bei manchen Menschen auch andere herum war. Dass ein Teil von Louis mit gestorben war. Er würde den Moment nie vergessen, als er es erfahren hatte. Sein erster Gedanke hatte nicht Harry gegolten. Sondern Louis. Er hatte ihn ins Gästezimmer genötigt und war um ihn herum geschlichen, weil er fürchterliche Angst um ihn gehabt hatte. Er hatte so Angst gehabt, dass Louis Harry freiwillig folgen würde. Dass der Teil, der mit Harry gestorben war, zu groß war, als dass Louis ohne diesen hätte weiterleben können. Er war sich noch immer nicht sicher, ob es nicht doch so war. Dass Louis irgendwie selbst auch tod war. Zumindest innerlich. Innerlich Tod, aber die physische Hülle weigerte sich, dass zu akzeptieren.

Liam kochte etwas für Louis. Der musste dringend etwas Essen. Er hatte sich erschrocken, wie spitz dessen Knochen bereits aus dessen Körper herausstachen. Gerade heute hatte er ihn mehrfach umarmt und sich beim ersten Mal sehr erschrocken.
Louis trug selten figurbetonte Kleidung. Daher ließ sich sowas sonst nicht so gut ausmachen. Aber gut. Das Gesicht, das hatte sich auch stark verändert. Die eingefallenen Wangen, die dicken Augenringe und der fehlende Glanz in den Augen.
Viele waren zu Louis auf Abstand gegangen. Trauer war etwas, wovor Menschen Angst hatten, war Liam klar geworden. Als könne sie anstecken. Der Konfrontation mit Trauer gingen viele aus dem Weg. Aber... Damit eben auch den Menschen, die ohnehin schon einen Verlust zu verkraften hatten. Sie verloren mehrere, durch den Tod eines Menschens.

Liam hatte Louis nicht weinen sehen. Die ganze Zeit nicht. Aber er glaubte, dass die Trauer, der Schock und all das zu viel waren für Tränen. Dass stattdessen Louis' Herz still und leise blutete.
Vielleicht hatte er es auch noch nicht komplett realisiert. Vielleicht würden mit der Zeit die Tränen kommen.

Louis' Familie, die weiter weg wohnte, hatte ihn gebeten, auf Louis aufzupassen. Sie waren zur Beerdigung heute erschienen. Aber würden morgen schon wieder abreisen. Louis wollte ohnehin am Liebsten niemanden sehen.

Liam würde den Tag nie vergessen. Der Tag, an dem ein Polizist ihn angerufen und zu Louis gebeten hatte. Weil der jetzt einen Freund brauchen würde. Im Nachhinein war es wie ein Film. Er war hingefahren. Louis hatte völlig apathisch auf dem Sofa gesessen. Er hatte auf nichts und niemanden reagiert. Wie sollte man auch reagieren? Wenn man mit dem Abendessen auf seinen Partner wartete. Man sich noch nichts dabei dachte, dass der ein paar Minuten später kam. Und dann stand die Polizei an der Tür, bat einen sich zu setzen und eröffnete einem, dass der Partner nicht mehr kommen würde. Nie mehr.

Sie hatten Louis irgendwann gefragt, ob sie jemanden anrufen sollten und er hatte Liams Nummer in seinem Handy ausgewählt und dem Polizisten kommentarlos hingehalten.

Liam war sofort losgeeilt. Er hatte sofort gewusst, dass etwas sehr sehr schlimmes mit Harry passiert sein musste. Er hatte gedacht, der wäre vielleicht in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen. Läge nun im Krankenhaus.
Aber so war es nicht gewesen. Harry hatte früher von der Arbeit kommen wollen. Hatte noch etwas eingekauft. Dann verlor sich seine Spur. Und dann hatte man ihn knapp eine halbe Stunde später gefunden. Ermordet.

Seither war Liam mit Louis zusammen. Hatte Angst, ihn allein zu lassen. Da war diese Angst, Louis könnte Harry folgen wollen. Oder sich irgendwie anders schaden könnte. Oder Louis könnte diejenigen suchen, die seiner großen Liebe die Kehle durchgeschnitten hatten.

Aber gerade lag er da und schlief. Und sah aus, als wollte er am liebsten nichts wieder aufwachen, da im Wachzustand dieser Alptraum auf ihn wartete.

Damit herzlich willkommen zur neuen Story. Ich hoffe, ihr habt Lust drauf.
Bis dann.
Viele Grüße ^⁠_⁠^

Bloody Love - wird fortgeführt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt