Kapitel 14 - Angst

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Louis verbrachte viel Zeit am Handy. Nach dem... "Vorfall"... ließ er sich telefonisch zwei Wochen krank schreiben. Sein Arzt wusste um seinen Verlust und stellte keine Fragen. Sein Arbeitsgeber wusste ebenfalls Becheid. Liam erzählte er, er habe eine äußerst aggressive Magen-Darm-Variante, damit der nicht spontan aufkreuzte.

Louis war am nächsten Morgen aufgewacht. Auf dem Küchenboden in seinem eigenen Erbrochenen. Dass er eine Gehirnerschütterung erlitten hatte, brauchte ihm niemand sagen. Der Schwindel, die Kopfschmerzen, die grellen Farben, die er sah... Es war absolut kein Vergnügen. Noch dazu fand er an seinem Körper zahlreiche Hämatome. Nicht gut. Gar nicht gut.

Er schleppte sich kurz unter die Dusche und hielt sich dabei mit zittrigen Beinen an der Duscharmatur fest, weil er Angst hatte, sich erneut den Kopf zu verletzen, wenn er fiel. Und mit seinen Beinen gerade wäre das wahrlich nicht allzu überraschend.

Anschließend schleppte er sich ins Bett und blieb da einfach liegen.

Harry hatte ihn verletzt. Und das weder wenig, noch leicht, noch gab es dafür irgendeine Entschuldigung. Man tat niemandem weh. Außer der wollte das. Aber das war ein anderes Thema und Louis hatte das nicht gewollt. Harry war ihm gegenüber gewalttätig geworden. Ganz einfach.
Und Louis wusste nur zu genau, was er jedem Menschen sagen würde, der Opfer von häuslicher Gewalt geworden war: Die Person verdient dich nicht. Du solltest dich trennen.

Und nun? Er bemerkte, wie er unterschwellig Ausreden für Harry erfand. Der war gestorben. Das war ein äußerst einschneidendes und bestimmt auch traumatisches Erlebnis. Vielleicht hatte Harrys Verhalten damit zu tun? Louis würde jede Therapie mit Harry durchstehen, aber da gab es ein nicht unerhebliches Problem: Harry lebte nicht mehr. Gab es Therapien für Untote? Wie lange sollten sie da auf einen Termin warten? Hatten ja alle bis in alle Ewigkeit Zeit.

Oh weh, sein Hirn musste ganz schön was abbekommen haben, wenn er sich solche Gedanken machte.

Dennoch: wie sollte er Harry nun wieder gegenüber treten? Wie würde der sich beim nächsten Mal verhalten? Was könnte Louis tun, damit es nicht eskalierte? Und... Würde es überhaupt ein nächstes Mal geben?

Er sollte froh sein, wenn nicht, oder? Das Ganze einfach als Ausgeburt seines trauernden Hirn abtun und weiter leben. Aber...  Wie könnte er das?

Er durchforstete ganze Suchmaschinen. Er fand eine Menge schräges Zeug und manches, was echt gruselig klang. Aber... Er fand nichts, was für ihn mit Harry überein passte. Auf einer Seite war die Rede von bösen Geistern der Verstorbenen, die zurückkamen und die Hinterbliebenen quälten, weil sie mit denen noch eine Rechnung offen hatten. Na danke. Louis und Harry waren doch glücklich miteinander gewesen. Wieso sollte Harry ihn da heimsuchen und vermöbeln? Da würden Louis schon ein paar Namen einfallen, die das eher verdient hätten. Und auf der Internetseite war das eher so eine Sache mit Alpträumen, Angstzuständen und sowas. Aber Harrys Haare ziehen und so weiter hatte sich verdammt real angefühlt.

Es gab eine Anleitung, wie man diese Geister milde stimmen konnte. Blumen trocknen, bei Vollmond aufgießen und eine Kerze drunter stellen, damit die Dämpfe die tote Person umschmeicheln könnten. Mehrere bestätigten in einem Forum die Wirksamkeit. Für Louis klang das wie eine Potpourri-Anleitung seiner Großmutter. Und er glaubte nicht, dass Harry das toll fänd, wenn die Bude danach riechen würde. Der hatte Räucherstäbchen schon zu Lebzeiten verabscheut.

Es gab irgendwie grundlegende Fragen zu klären, bei deren Beantwortung Louis schneinbar nicht einmal das Internet helfen könnte: Konnte man theoretisch mit einem Untoten zusammen sein? Gab es etwas, was den irgendwie... Weniger aggressiv machte? Wieso gab es überhaupt Untote und wieso hatte Harry scheinbar eine Mitgliedschaft auf Ewigkeit bekommen?
Wenn keine Beziehung oder etwas in der Art möglich war und das wirklich eine Art böser Harry war, um Louis heimzusuchen... Wie konnte man den lieb machen? Oder könnte man theoretisch, also nur wenn es hart auf hart käme... Könnte man dann fliehen? Könnte man Harry irgendwie in die Schranken weisen? Gab es eine Möglichkeit, dessen Aggressionen zu lenken?

Louis hatte keine Ahnung. Und irgendwie war er froh, dass Harry die nächsten Nächte nicht auftauchte.

Aber dann, nach vier Tagen, seine Flecken waren inzwischen alle hübsch verfärbt, wachte Louis auf und Harry saß da. Auf dem Sessel im Schlafzimmer, der für getragene, aber nicht schmutzige Kleidung dort stand.

Louis sagte nichts, erwiderte nur den Blick.
"Wie geht's?", fragte Harry tonlos.
"Wie soll es mir schon gehen?", fragte Louis müde und Harry nickte knapp.

"Ich sollte gehen. Und nicht mehr wieder kommen.", erklärte Harry dann.
"Du solltest im Sarg liegen und gar nichts tun. Aber davon hältst du ja nicht so viel."
"Ich hab mir das nicht ausgesucht, okay?!", knurrte Harry.
Louis schwieg.

"Du hast Angst vor mir. Ich kann es hören."
"Kannst du mir das verdenken?", fragte Louis.
"Nein. Ist besser so."
Louis betrachtete Harry im Dunkeln.

"Was bist du? Du bist kein Geist. Ich konnte dich anfassen."
"Und ein Bettlaken trage ich auch nicht.", grinste Harry. Es sah gruselig aus.
"Aber was bist du?"
"Ich bin ein Vampir."
Louis nickte knapp. Dann war das wohl so.

"Glitzerst du?"
"Ich bin ein Vampir und keine Fee.", erklärte Harry empört.
"Sonnenlicht?"
"Wir bewegen uns durch Schatten in Sekunden. Im Sonnenlicht ist alles langsamer. Es ist anstrengend. Aber tut nicht weh."
"Kruzifixe?", fragte Louis weiter.
"Hab selbst eins. Hab es mir mitgenommen aus dem Bestattungsinstitut. Meine anderen Ringe auch."
"Schön... Freut mich..."
"Ähm... Als ich umgebracht wurde... Ich hatte einen Ring dabei. Weißt du, wo er ist?", fragte Harry dann plötzlich.
"Nein. Es war ja, zumindest soweit ich weiß, ein Raubüberfall. Dein Portmonee und sowas ist ja auch alles verschwunden."
"Hm... Ich will den wieder haben...", murmelte Harry mehr zu sich, als zu Louis.

"Was hältst du von Weihwasser?"
"Vor meinem Tod hab ich darauf allergisch reagiert. Ich müsste es Mal testen.", überlegte Harry.
"Wie siehts aus mit Knoblauch?", fragte Louis resigniert. Bislang waren die Antwort ja eher Zeugnis dafür, dass Harry nicht beizukommen wäre.

"Er stört den Geschmack vom Blut. Aber es ist nicht so, als hätte ich da Angst vor."
"Hast du überhaupt vor etwas Angst?"
"Ja."
"Wovor?"
"Davor, dass ich dich töten werde."

So, wir sind nochmal bei Louis. Keine Sorge, bald gucken wir auch wieder bei Harry. Bei dieser Story hüpfen wir einfach Mal ein bisschen hin und her 😅
Bis dann.
Viele Grüße ^⁠_⁠^


Bloody Love - wird fortgeführt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt