Kapitel 3 - In Wellen

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Irgendwann ging Louis wieder arbeiten. Denn auch wenn seine eigene Welt still stand, seit Harry nicht mehr da war, die große weite Welt tat es nicht. Es musste nicht irgendwie weiter gehen. Es ging einfach weiter. Ohne, dass Louis darauf irgendeinen Einfluss gehabt hätte.
Die Zeit lief ungerührt einfach weiter. Es kam der Moment, als er gründlich die Wohnung putzen musste und das letzte Mal lockige Haare fand. Aber man wusste eben nicht, dass es das Letzte Mal war. Aber irgendwann waren einfach keine mehr im Bad. Nur noch seine.
Es gab keinen Stillstand. Und blieb man selbst für einen Moment stehen, dann musste man danach zusehen, dass man nicht den Anschluss verlor.

Liam passte auf ihn auf. Stand ab und an einfach mit Essen vor der Tür. Zog ihn aus der Wohnung. Nahm ihn mit ins Kino oder nur in eine Eisdiele. Liam war einer dieser Freunde, denen man den Kopf abreißen wollte, weil sie ein "Nein, ich will nicht.", nicht akzeptierten und sie gleichzeitig als die besten Freunde der Welt bezeichnen würde, weil sie da waren. Auch, wenn man die schlechteste Version von sich selbst war. Auch wenn, man grässlich war. Liam ließ sich nicht abschrecken. Wenn Louis ihn beleidigte, nahm er das hin und nahm ihn trotzdem mit raus. Und auch wenn Louis das in den Momenten wirklich scheiße von ihm fand: wenn er Abends im Bett lag, wusste er, dass es hier jemanden gab, an dem er sich immer festhalten konnte. Einen Fels in der Brandung.

Aber Harry ersetzen. Das könnte Liam niemals und rund um die Uhr bei Louis sein konnte er auch nicht. Und so war der Fels in der Brandung eben manchmal unerreichbar. Immer in Sichtweite, aber gerade in diesem Moment unerreichbar.

Es kam ein Tag, an dem die Sonne schien. Als sei nichts gewesen. Dabei war so vieles passiert. Louis spürte die Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Aber... Sie schafften es nicht ihn zu wärmen. Es war, als sei er innerlich einfach kalt. Er funktionierte. Er ging arbeiten. Er aß. Er trank. Er war da. Aber mehr auch nicht. Selbst wenn er mal lachte, weil Liam was lustiges erzählte: da war immer dieser Drang Harry das zu erzählen, damit auch er lachen könnte. Und spätestens, wenn Louis darüber nachdachte, erstarb sein Lachen. Denn Harry war nicht da, würde sich keine lustige Geschichte von Liam anhören und lachen können.

Er hatte vorher gesagt bekommen, dass Trauer in Wellen verlief. Und dass es okay war, auch zwischendurch zu lachen. Dass die Wellen irgendwann immer weiter abebben würden.
Louis fühlte sich eher immer wieder aufs Neue kalt von einer Welle erwischt, die ihn ins offene Meer zog, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Sie erfasste ihn, zog ihn unter Wasser, ließ ihn nicht atmen und zog ihn in eine Schwärze, die darin mündete, dass er stundenlang herum saß und gar nichts tat.
Sie kamen beim Einkaufen, wenn er nicht oben ans Regal kam. Wenn er Harry gebeten hatte, ob er ihm helfen könne, hatte der nicht, wie andere Menschen herauf gereicht und Louis das jeweilige Produkt herunter gegeben. Er hatte ihn König-der-Löwen-mäßig hochgehoben, damit er es sich selbst nehmen konnte.
Sie kamen beim Autofahren. "Fahr nicht so dicht auf, Love. Vielleicht muss der zu seinen Schwiegereltern und fährt langsam, damit die Zeit dort kürzer ist. Hab Verständnis." Harry hatte sich immer Gründe ausgedacht, warum jemand viel zu langsam fuhr.
Sie kamen beim Abwaschen. Harry hatte grundsätzlich bei jeglicher Hausarbeit Musik gehört. Er hatte mitgesungen und getanzt. Hausarbeit wurde zur Nebensache, wenn Harry sie machte.
Sie kamen in so vielen Momenten, in denen Louis nicht damit rechnete. Niemals konnte er sich darauf vorbereiten. Er saß nur da, starrte vor sich hin und Erinnerungen liefen wie Filmsequenzen vor seinem inneren Auge ab.

Er hatte alle Fotos von Harry weggeräumt. Denn mit der Sehnsucht einher kam die Sucht danach, niemals gesehen zu haben. Er hatte die Bilder nicht mehr sehen wollen, die ihn an eine Zeit erinnerten, die es für ihn so nie mehr geben konnte.
Als Liam das gesehen hatte, war er fast wahnsinnig geworden. Louis würde verdrängen. Nun, Louis konnte das mit und ohne Bilder. Er versuchte Harry und all die Gedanken an ihn und die Erinnerungen irgendwie weg zusperren. In sich einzuschließen. Wenn er es doch nur schaffen würde...

Hätte er doch nur Harry nie kennen gelernt. Dann würde er ihn auch nicht so schrecklich vermissen können. Aber... Dann wüsste er auch nicht was Liebe war. Die größte seelische Schmerz war für ihn untrennbar verknüpft, mit der größten Freude. Mit Harry zusammen war er glücklich gewesen. Das klang so seltsam. Wie etwas, was man eben so sagte. Aber für Louis traf das zu. Sie hatten sich auch Mal gestritten und es war nicht immer alles nur rosig gewesen. Aber... Lieber hatte er mit Harry gestritten und ihn in seinem Kopf verflucht, als ohne Harry zu sein. Sie hatten immer wieder zueinander gefunden. Und wenn dann ein Streitgewitter vorüber war, dann war es das auch. Kein nachhängender Groll. Danach kam die Sonne raus und ließ all die Regentropfen glänzen, während die Luft dann wieder klar war.
Harry und er hatten sich super ergänzt. Hatten sich gegenseitig motiviert und mitgezogen. Harry war immer auf seiner Seite gewesen. Hatte immer das Beste in ihm gesehen. Wie konnte man so jemanden auf Wiedersehen sagen? Wenn es für immer war? Bis sie sich eines Tages im Sonnenschein wieder sehen würden?
Louis hatte Angst vor dem Leben ohne ihn. Obwohl es doch längst begonnen hatte.

Er fragte sich manchmal, ob es wohl mehr Menschen wie ihn gab. Die den Großteil ihres Herzens verloren hatten und die restlichen Scherben davon zusammenfegen und kleben mussten, damit sie einen anderen Menschen akzeptieren könnten. Oder ob er ihn doch irgendwann ersetzen würde. Ob irgendwann jemand kommen würde, der Harry nicht überschreiben würde, aber dennoch so wie Harry werden könnte?

Wenn er Abends allein im Bett lag, wenn die Wohnung ganz ruhig war, weil er allein war, dann konnte er sich niemals vorstellen, dass irgendein Mensch auf diesem Planeten ihn so halten könnte, wie Harry das getan hatte. Und dann kamen sie wieder die Erinnerungen und ließen ihn ertrinken in offener See, ohne dass ein Ufer in Sicht war.

Bis dann.
Viele Grüße ^⁠_⁠^

Bloody Love - wird fortgeführt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt