Kapitel 13 - Entzug

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Entzug war Scheiße. Das wusste Harry spätestens nach ein paar Tagen. Die ganze Zeit hatte er den Drang sich zu bewegen. Etwas zu tun. Gleichzeitig fühlte er sich unendlich schwach und teils nicht einmal in der Lage aufzustehen. Er wollte weg hier und sich zeitgleich verkriechen. Wollte irgendeinem menschlichem Hals aufreißen. Alle seine Gedanken schwirrten um Menschenblut wie eine Motte ums Licht. Er zitterte, seine toten Knochen schmerzten irgendwie und ständig überkam ihn ein starker Brechreiz. Wieso konnten Tote noch so viel fühlen?

"Hey. Heute gibt's Wildschwein für dich.", begrüßte ihn Patrick, als Harry ihn auch schon knurrend ansprang und mit voll ausgefahrenen Zähnen seinen Kopf nach hinten drückte.

"Baby, tut mir leid für dich, aber ich bin kein Wildschwein.", sprach Patrick völlig entspannt.
"Lass mich raus!"
"Nein. Du bist noch nicht so weit."
"Lass. Mich. Raus."
"Ich kann es dir auf einen Zettel schreiben. Dann kannst du dir die Antwort immer wieder ansehen."
"Kranker Wixer."
"Ich bin tot. Nicht krank."
"Lass. Mich. Raus."
"Nein. Kleine Babys dürfen nicht allein raus. Und jetzt lass mich los und trink dein Blut, bevor du dir noch weh tust."
"Wieso sollte ich mir-"
Harry fand sich mit dem Bauch auf dem Boden liegend und mit Patricks Knie auf dem Rücken wieder.

Er knurrte sauer auf. Er wollte töten. Er wollte dieses verdammte Arschloch töten.

"Und wie läuft's?", fragte Zayn gelangweilt und kam durch die Tür.
"Nimm diesen Wixer von mir!", knurrte Harry.
"Der wixt nicht. Der hat ja mich. Also wer ist hier der Wixer?", fragte Zayn desinteressiert und betrachtete seine Fingernägel.

Harry fauchte.
"Ich lasse dich erst los, wenn du aufhörst so zu tun, als wolltest du mich verletzen.", erklärte Patrick gelassen.
"Ich werde dich in Stücke reißen!"
"Wieso wolltest du den nochmal haben?", fragte Zayn vorwurfsvoll.
"Du warst anfangs auch nicht besser, Hübscher. So sind Babys eben. Halten einen auf Trab."
"Ich bin kein Baby!", schnauzte Harry.
"Du bist erst ein halbes Jahr alt. Also bist du ein Baby.", erklärte Patricks und hielt Harry trotz heftiger Gegenwehr am Boden.

"Ich bin acht Jahre alt.", erkläre Zayn ungefragt.
"Und ich bin 53. Wo wir das geklärt haben: Gibst du auf?", fragte Patrick.
"Nein! Verpiss dich!", schrie Harry völlig in Rage.

"Gut, dass du ihm die Kette angelegt hast. Sonst wäre der auf einem Schlag in Japan oder so, weil er vorher nicht bremst.", witzelte Zayn.

Harry knurrte.
Patrick hatte ihn angekettet. Ein Fußknöchel war so mit der Wand verbunden. Und Harry bekam das doofe Ding nicht auf.
Er hätte gedacht übernatürlich stark zu sein. Und nun hing er hier, angekettet.  Vermutlich ein besonderes Material. Aber er wollte Patrick den Triumph nicht gönnen und danach fragen.

Irgendwann gab Harry dann doch auf. Er konnte nicht mehr. Ihm war so schlecht. Er fühlte sich schwitzig, auch wenn sein Körper offenbar keinen Schweiß produzieren konnte.

Patrick ließ ihn los und hielt ihm den Becher Wildschweinblut wieder hin.

"Das ist kalt! Und halb geronnen!", knurrte Harry.
"Was hast du erwartet, wenn du hier erst noch so einen Aufstand machst, als ich es gebracht habe, war es noch warm.", erklärte Patrick achselzuckend.

Harry trank und wollte am Liebsten zeitgleich kotzen. Er wollte richtiges Blut. Menschliches Blut. Warm. Direkt aus der Ader. Er sehnte sich nach dem Geräusch des Herzens, wenn seine Beute langsam verstand, was passierte. Er sehnte sich nach dem Gewimmer, wenn sie um ihr Leben flehten. Nach dem Stressgeruch. Und nach diesem Gefühl, wenn man genau merkte, wenn das Leben aus dem Körper wich.

Und was bekam er? Kaltes Wildschweinblut aus einem Becher. Widerlich.

Er trank es aus, warf aus Prinzip den Becher nach Patrick, den das natürlich wieder kein bisschen juckte und schmiss sich auf das kaputte Bett. Letzte Nacht hatte er aus Versehen die Matratze zerstört. Sah nicht schön aus.

Er schloss die Augen und hörte, wie die anderen beiden seinen Raum verließen. Wie so oft schweifte er ab. Völlig wirre Gedanken formten sich in seinem Kopf. Und immer wieder war da er: Louis. Sein Louis. Er wollte zu ihm. Sich in seinen Armen verkriechen. Seine Stimme hören, seine Berührungen fühlen. Er wollte Louis zurück haben. Und gleichzeitige drängte sich der Gedanke auf, dass er ihn höchstwahrscheinlich töten würde. Dass er ihn nicht sehen durfte. Niemals mehr.

Was, wenn er irgendwann durch die Straßen gehen könnte und ihm käme ein alter Mann mit Stock entgegen? Und ihm würde klar werden, dass das sein Louis war? Wie sollte er damit umgehen?

Er würde Louis am Liebsten sofort wandeln. Damit er mit ihm gemeinsam die Ewigkeit haben könnte. Aber.... Louis höllische Schmerzen zufügen und töten? Das war etwas, was Harry keinesfalls wollte.

Er betrachtete die Uhr an der Wand. Sie schlug nicht für ihn. Heute? Nächte Woche? Nächsten Monat? Nächstes Jahr? Es spielte keine Rolle. Er hatte die Ewigkeit. Aber... Jede Sekunde war eine, die Louis seinem Ende entgegen ging. Louis' Zeit lief. Vielleicht würde es in 200 Jahren nicht mehr weh tun? Wenn längst alle lebenden Menschen Louis vergessen haben würden?!

Aber nein. Er, Harry, wäre noch immer da. Und er würde ihn niemals vergessen. Die Liebe seines viel zu kurzen Lebens.

Patrick hatte erklärt, dass Vampire über Schatten reisten. Deshalb liebten sie die Nacht. Weil man da innerhalb von Sekunden durch ganz England kam. Selbst ein Ozean war kein Hindernis.
Patrick hatte versprochen, dass sie zu dritt Bären jagen gehen würden. Eine richtige gewaltige Jagd. Innerhalb von wenigen Minuten könnten sie nach Sibirien zum Beispiel.

Harry lag hier und dachte nicht an die Jagd nach einem Bär. Er dachte nicht an Sibirien. Er dachte auch nicht darüber nach, wie klein die Welt wurde, wenn man sie so schnell  bereisen konnte.
Alles, was er denken konnte war, dass er innerhalb von Sekunden bei Louis sein könnte. Vollkommen egal, wo auf der Welt der wäre. So lange es Schatten gab, würde Harry ihn erreichen können.

Immer. Und doch nie. Weil er es niemals tun dürfte.

Harry drehte den Kopf zu Seite. Er wollte schlafen und konnte nicht. Er wollte trinken und durfte nicht. Er wollte zu Louis und durfte nicht. Er wollte, dass auch seine Zeit wieder einsetzte. Aber es ging nicht. Würde nie mehr gehen...

Oh weh... So ein Entzug ist nicht ohne...
Bis dann.
Viele Grüße ^⁠_⁠^



Bloody Love - wird fortgeführt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt