- Kapitel 5 -

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Die Stunden ziehen sich wie Kaugummi und ich nicke immer wieder ein. Das Telefon des Notfallschalters reißt mich immer wieder aus dem Schlaf, doch nicht für lange.
Nachdem ich verarztet wurde habe ich mich auf direktem Wege in den Wartebereich gesetzt und Mister Taden Senior benachrichtigt. Da er momentan im Ausland auf einer Geschäftsreise ist wird es wohl noch einige Stunden dauern, bis er endlich hier sein kann.
Aris wurde laut der Aussage einer Krankenschwester in den Not-OP verfrachtet. Das alles ist bereits vier Stunden her. Vier Stunden, in denen ich an nichts anderes denken konnte, als an Aris. Sogar meine kurzen Träume handelten von ihm. Immer und immer wieder durchlebte ich die Situation des Vormittags. Sein stechender Blick als er seinen Fuß auf die Straße gesetzt hat, der Radfahrer, die Autos, Aris lebloser Körper auf der Straße, das Blut..

Mir dreht sich der Magen um, weshalb ich zur Besuchertoilette haste. Ich weiß nicht, wie oft ich mich an diesem Tag schon übergeben habe, doch es wird wohl nicht das letzte Mal gewesen sein.
Erschöpft und völlig neben der Spur trotte ich zurück auf meinen Platz im Wartebereich der Intensivstation. Die Dämmerung legt sich bereits über die Stadt und noch immer keine Neuigkeiten. Etliche Reporter haben sich vor dem städtischen Krankenhaus eingefunden und berichten Live. Der kleine Fernseher an der Wand zeigt die Bilder des Parkplatzes. Seufzend massiere ich mir die Nasenwurzel und starre unentwegt auf die Uhr. Kurz nach acht.
Wo bleibt sein Vater nur?
Wo bleibt der Oberarzt?
Wieso kann mir hier niemand sagen, wie es um Aris steht? Ich verliere allmählich den Verstand! Seufzend lasse ich meinen Kopf gegen die Wand hinter mir fallen. Wie oft habe ich ihm den Tod an den Hals gewünscht? Wie oft habe ich mir gewünscht, nahezu dafür gebetet, dass er von einem Laster überfahren wird? Jetzt fühle ich mich unfassbar schlecht. Ich bereue all meine Stoßgebete und würde alles eintauschen nur um ihn gesund und munter in seinem Büro sitzen zu sehen. Ich würde alles geben, nur um ihn mich noch einmal anbrüllen zu hören.
„Das habe ich nicht gewollt..", murmle ich und schüttle fassungslos den Kopf. Herannahende Schritte ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich, doch ich bin zu schwach um den Blick zu heben. „Miss? Ich fürchte ich muss sie bitten zu gehen. Sie sitzen schon seit Stunden hier", richtet die Schwester ihr Wort an mich.
„Nein..ich kann nicht", kontere ich ausgelaugt und fasse mir an den Kopf.
„Miss, ich kann verstehen wie aufgewühlt sie sein müssen, doch sie müssen nun auch auf ihre Genesung achten", meint sie einfühlsamer und kniet sich zu mir auf den Boden.
„Meine Genesung? Die ist völlig irrelevant! Mister Taden..können sie mir sagen, wie es um ihn steht?", versuche ich mein Glück und sehe ihr mit wahnsinnigen Augen entgegen.
„Ich darf ihnen keine Auskunft geben..sie sind kein Familienangehöriger", zerschmettert sie meine Hoffnungen, weshalb ich den Blick senke. „Dann lassen sie mich wenigstens hier warten. Ich bin seine Managerin", entgegne ich, woraufhin sie hörbar seufzt. „Ich habe seinen Vater bereits informiert. Er ist auf dem Weg hierher. Lassen sie mich auf ihn warten", flehe ich sie an, weshalb sie einen mitleidigen Ausdruck auflegt.
„Miss..bitte ruhen sie sich ein wenig aus. Ihre Sorge in allen Ehren, doch auch sie haben einige Verletzungen davongetragen", bleibt sie hartnäckig.
„Kann ich denn gar nichts tun?", schluchze ich und fasse mir an den Mund.
„Nun..wie es scheint wird Mister Taden eine Weile hier bleiben müssen. Was halten sie davon, wenn sie heim gehen und etwas essen. Anschließend suchen sie bequeme Kleidung für ihn zusammen und bringen sie morgen früh her?", schlägt sie vor, woraufhin sich meine Augen weiten.
„Wann darf ich wiederkommen?", frage ich hoffnungsvoll, während sie erneut seufzt.
„Gegen Neun. Schlafen sie sich aus und lassen sie es ruhig angehen", entgegnet sie, woraufhin ich eilig aufspringe und mir übers Gesicht fahre. „Wann..wann öffnet der Wartebereich der Intensivstation?", hake ich nach und sehe sie ihre Braue heben.
„Für sie? Um Neun", kontert sie und schiebt mich sachte zum Ausgang. „Bitte..benachrichtigen sie mich augenblicklich, sobald sich etwas neues ergibt, ja?", hasple ich und sehe angestrengt nach hinten.
„Das mache ich", versichert sie mir, ehe ich langsam nicke.
„Sie haben meine Handynummer?", frage ich erneut panisch nach und krame mein Telefon hervor.
„Wir haben ihre Nummer im System. Bitte ruhen sie sich aus..schlafen sie ein wenig..essen sie etwas!", redet sie mir ins Gewissen und legt mir meine Jacke um die Schultern, als wir vor dem Eingang der Notaufnahme stehen.
„Kommen sie morgen früh wieder und bringen die Dinge mit, um die ich sie gebeten habe, ja?", fügt sie hinzu während ich stumm nicke. „Hören sie..ich kann ihre Sorge verstehen. Doch sie müssen sich zusammenreißen. Sobald Mister Taden genesen ist wird er ihre Unterstützung brauchen. Dafür sollten sie ihre Kräfte sparen und zusehen, dass sie selbst wieder auf den Dampfer kommen. Ihre Prellungen sind ebenfalls nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Sie hätten sich um ein Haar die Rippen gebrochen und den Arm gleich mit dazu", fügt sie besorgt hinzu und deutet auf meine behandelten Verletzungen. Seufzend lasse ich die Schultern nach vorn sacken und trotte ergeben auf den Parkplatz, bis ich mich daran erinnere im Krankenwagen mitgefahren zu sein und mein Wagen noch immer auf dem Parkplatz unseres Bürogebäudes steht. Ich balle wütend meine Hände zu Fäusten und sehe mich nach einer Bushaltestelle um. Hastig überfliege ich die Fahrzeiten, als ich merke, dass der letzte Bus bereits vor zwei Stunden abgefahren ist. Fluchend schlage ich gegen die Fahrzeitentafel und mache mich geknickt auf den Weg zum Büro. Zu Fuß wohlgemerkt.

Während ich durch die Dunkelheit laufe spüre ich zum ersten Mal an diesem Tag die Auswirkungen des Vormittags. Meine Rippen schmerzen und mein Arm brennt, wie Feuer. All das ist wohl kaum zu vergleichen mit den Schmerzen mit denen Aris klarkommen muss. Hoffentlich bekommt er davon nicht allzu viel mit. Seufzend laufe ich über die Brücke, die zurück in die Innenstadt führt. Beinahe apathisch betrachte ich die vielen Lichter der Stadt und krame mein Handy hervor. Mein Akku ist fast leer, doch für einen Anruf sollte es noch ausreichen. Gedankenverloren wähle ich die Nummer von Mister Taden Senior.
„Hallo? Misa? Sind sie das?", erklingt seine Stimme gehetzt am anderen Ende der Leitung, woraufhin ich stumm nicke.
„Sie haben mich rausgeworfen", meine ich trocken und trotte weiter über die Brücke.
„Sie haben was? Ich verstehe sie so schlecht. Hier am Flughafen ist es so laut! Warten sie einen Moment..", entgegnet er ächzend.
„Das Personal hat mich rausgeworfen und mir verboten vor neun Uhr morgens wieder aufzutauchen", erkläre ich erneut und höre lautes Seufzen.
„Natürlich haben sie das. Haben sie denn den ganzen Tag in der Notaufnahme verbracht?", möchte er wissen.
„Ich habe immer wieder nach seinem Zustand gefragt, doch sie wollten mir nichts sagen", erkläre ich wütend und balle meine Hand erneut zur Faust.
„Misa, ich steige gleich in die nächste Maschine ein. Ich bin in wenigen Stunden da. Gönnen sie sich eine Pause. Ich werde sie informieren sobald ich etwas erfahren habe, ja?", versucht er mich zu beruhigen, doch sein Versuch scheitert.
„Mister Taden ich..das alles tut mir so leid", schluchze ich und kann mir meine Tränen einfach nicht länger verkneifen.
„Nun beruhigen sie sich doch. An dieser Situation hat niemand schuld", entgegnet er aufmunternd, doch ich weiß es besser.
„Hätte ich besser auf ihn Acht gegeben..hätte ich nur besser auf die Straße geachtet..ich hätte den dämlichen Skateboardfahrer selbst gesehen! Er hätte mich nicht schützen müssen, seine Aufmerksamkeit auf die Straße richten können und nicht auf mich!", stammle ich verweint und wische mir über die Augen.
„Bitte Misa, geben sie sich nicht die Schuld daran. Ich lasse die besten Ärzte des Landes rufen. Sie werden sehen, Aris wird es im Handumdrehen wieder gut gehen", meint er, woraufhin ich stumm nicke.
„Wann sind sie hier? Was wenn er aufwacht und niemand ist bei ihm?", frage ich schockiert und fasse mir an den Mund.
„Ich bin in weniger als drei Stunden dort. Machen sie sich keine Sorgen und ruhen sie sich ein wenig aus! Ich danke ihnen dafür, dass sie so lange ausgeharrt haben", beruhigt er mich.
„Ich-Ich werde ein paar Sachen für ihn zusammensuchen. Einen Trainingsanzug, vielleicht auch zwei, das weiß ich noch nicht. Vielleicht besorge ich auch ein Wickelhemd, je nachdem wie seine Wunden-", beginne ich muss mich allerdings selbst unterbrechen, da mich eine erneute Tränenwelle übermannt.
„Nur mit der Ruhe! Das ist eine gute Idee, vielen Dank! Ich überlasse das ihnen, Misa. Bitte nehmen sie sich die Zeit, um ein wenig zur Ruhe zu kommen", weist er mich an, während ich noch immer mit den Tränen kämpfe.
„Wie geht es ihnen? Wurden ihre Verletzungen ordentlich behandelt? Ich werde selbstverständlich für die Kosten aufkommen", erkundigt er sich, woraufhin ich schockiert die Augen aufreiße.
„Mir geht es gut, wirklich! Kümmern sie sich nicht um mich! Bitte, lassen sie all ihr Geld Aris Genesung zukommen. Ich werde in der Zwischenzeit ein paar Nebenjobs annehmen. Ich weiß es ist nicht viel Geld, was ich beisteuern kann, doch..", schluchze ich eindringlich, werde jedoch von ihm unterbrochen.
„Nein um Himmels Willen! Bitte werden sie erst selbst wieder gesund. Um die Finanzierung seiner Behandlung müssen sie sich keine Sorgen machen. Ich werde das selbstverständlich in voller Höhe übernehmen. Kurieren sie sich aus", grätscht er dazwischen. „Misa, ich bitte sie inständig darum auf ihre Gesundheit zu achten. Ich weiß ihre Sorge um meinen Sohn zu schätzen, doch sie helfen ihm nicht wenn sie sich seinetwegen ruinieren. Kommen sie einfach morgen wieder ins Krankenhaus, dann besprechen wir alles weitere vor Ort, ja?", fügt er beschwichtigend hinzu.
„Also gut..", flüstere ich und wische mir erneut übers Gesicht.
„Sind sie mittlerweile zu Hause? Legen sie sich ein wenig schlafen", erkundigt er sich.
„Nein, ich habe noch ein Stück zu laufen, doch es geht schon", meine ich und höre ihn scharf die Luft einziehen.
„Sie laufen?! Sind sie denn des Wahnsinns?", entkommt es ihm, während auch er gehetzt klingt.
„Was hätte ich tun sollen? Das Personal hat mich rausgeworfen und mein Auto steht noch auf dem Parkplatz des Büros. Machen sie sich keine Sorgen um mich. Ich bin bald zu Hause. Bitte, beeilen sie sich", entgegne ich fordernd und höre das verräterische Piepsen des niedrigen Akkus an meinem Ohr. „Mein Akku ist gleich leer. Ich melde mich sobald ich zu Hause bin Mister Taden. Bitte informieren sie mich, sobald sie etwas wissen", verabschiede ich mich, ehe ich das Handy auch schon von meinem Ohr führe. „Misa! Halt warten sie! Wie weit ist es noch? Rufen sie sich einen Uber ich bezahle ihnen-", höre ich ihn noch ins Telefon sagen, als ich auch schon auflege. Das Display wird dunkel woraufhin ich es seufzend in meine Jackentasche stecke.

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