- Kapitel 10 -

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„Dein Vater ist tot, Aris", offenbart er ihm die Neuigkeiten, was ihn schockiert die Augen weiten lässt.
„Was?!", haucht er und schüttelt ungläubig den Kopf.
„Verstorben vor wenigen Monaten", fügt der Blondschopf hinzu, während Aris noch immer fassungslos ins Leere starrt.
„Er hat jede Minute seines restlichen Lebens damit verbracht, dich wieder erwachen zu lassen..", erklärt er weiter. „..doch das ist nicht der Plan. Auf diese Weise würdest du nichts lernen", meint er, während die Gespräche der beiden Frauen immer leiser werden.
„Was soll das heißen? Durch den Tod meines Vaters lerne ich also mehr, ja?", zischt er wütend und kommt bedrohlich auf den strahlenden Kerl zu.
„Absolut", kontert dieser und senkt den Blick, da er Aris um einiges überragt. „Wenn du wütend sein willst, dann sei auf dich selbst wütend. Du bist derjenige, dem die Lektion erteilt wird. Nicht Misa. Nicht deinem Vater", weist er ihn harsch zurecht, woraufhin Aris die Kontrolle verliert. „Bin ich denn im Kindergarten? Ich bin ein 28 jähriger Mann, der mit beiden Beinen in einem erfolgreichen Leben steht. Wenn du unbedingt eine Lektion erteilen willst, dann erteile sie jemandem, der sein Leben nicht auf die Reihe bekommt und den ganzen Tag vertrödelt, auf Kosten des Staates lebt oder durch Betrügereien an sein Geld kommt. Was hat das alles mit mir zu tun?", kontert er mit eisigem Tonfall.
„29", korrigiert ihn der Blondschopf, was Aris den Rest gibt.
„Beantworte mir meine Frage!", zischt er erbost. „Du willst wissen, wieso du? Dann lass uns einen Blick auf dein ach so erfolgreiches Leben werfen", entgegnet der weißbekleidete Kerl mit ausladender Handbewegung. „Sieh dir folgendes ganz genau an", weist er Aris an, der staunend die vorbeisausenden Bilder begutachtet.

Etliche Szenen seiner Vergangenheit reihen sich chronologisch aneinander und spielen kurze Sequenzen ab.
„Du warst stets ein braves Kind. Hast auf deine Eltern gehört und fleißig gelernt", meint der Blondschopf und lobt sein jüngeres Selbst lächelnd.
„Dein Absturz hat hier begonnen", deutet er nun auf eine Sequenz hin, die ihn mit Martin zeigt. Seinem ersten Manager, als er noch ein Rookie in der Filmbranche war. Er kann sich noch genau daran erinnern, wie nervös er vor seinem ersten Drehtag gewesen ist. Alles war so wahnsinnig neu und die Eindrücke erschlugen ihn beinahe. „Sehen wir uns das genauer an", murmelt der blonde Kerl und schnippt mit den Fingern. Plötzlich verblasst das Krankenhauszimmer um ihn herum und das damalige Filmset tut sich auf. Fassungslos taumelt Aris ein paar Schritte hin und her. Er kann es einfach nicht fassen. Alles sieht genau so aus, wie damals. Es riecht sogar genauso.
„Gute Arbeit, Aris. Wenn du so weiter machst bist du schon bald eine große Nummer im Filmgeschäft", hört er Martin sagen, der ihm lobend auf die Schulter klopft.
„Dieser miese Dreckssack soll seine Finger von mir nehmen!", knurrt Aris und möchte ein paar Schritte auf ihn zugehen, als sein Begleiter ihn zurück hält.
„Nicht. Das sind lediglich deine Erinnerungen. Du kannst hier nichts verändern", erklärt er, woraufhin Aris ergeben seufzt.
„Ich kann verstehen, weshalb du solch einen Hass gegen ihn hegst", fährt der Blondschopf fort und schnippt erneut mit den Fingern. „Das hier war der Auslöser, nicht wahr?", fragt er, während sich die Szenerie erneut ändert und sich auf das Schlafzimmer seines damaligen Anwesens beschränkt.
Die zerknäulten Laken, die umherliegende Kleidung, das leise Stöhnen seiner ersten Liebe. All diese Eindrücke prasseln auf ihn ein, weshalb er zornig die Brauen zusammenzieht. Mit verschlossenem Blick sieht er zur Tür, durch die er damals linste und die Szene vor sich sah. Ihre blonden Locken wirbeln umher, als Martin seine geliebte Sarah auf die von Satin bedeckte Matratze drückt und ihr lustvoll entgegensieht, ehe er sie weiter zum Höhepunkt bringt. Aris Herz wiegt schwer in seiner transparenten Brust. Diesen Bildern hatte er sich schon lange nicht mehr gestellt.
Er hatte sie weggesperrt, verbannt, verdrängt und vergessen.
Er sieht seinem damaligen Selbst dabei zu, wie er unter Tränen um Fassung ringt. Er ballt die Hände zu Fäusten und kehrt den beiden den Rücken, jedoch nicht ohne die Tat anhand eines eindeutigen Fotos zu dokumentieren. Wie gern würde er seine Entscheidung ändern. Wie gern wäre er durch diese Tür geplatzt und hätte Martin zu Tode geprügelt, doch er tat es nicht.

Die Bilder vor ihm ändern sich erneut und er folgt seinem vergangenen Ich nach draußen.
Statt sich gleich zu rächen, transferierte er all seine Vermögenswerte auf eines seiner Auslandskonten, als er sich völlig aufgelöst ins Auto setzte. Er stellte das Anwesen noch am selben Tag zum Verkauf ins Internet und überließ seinen Maklern den Rest. Seither hat er sich dem Stadtteil sowie dem Anwesen nicht mehr genähert. Er hatte eine Umzugsfirma damit beauftragt seine Habseligkeiten auszuräumen und in das Penthouse, welches er sich einige Tage später zulegte, zu verfrachten. Auch sein neues Heim erschien plötzlich vor ihm. Er sah sich mit dem Telefon am Ohr an der großen Fensterfront stehen.

Sarah hatte er aus seinem Leben gestrichen. Aus seinem Leben und seinem Herzen. Die unzähligen Kontaktversuche schmetterte er gnadenlos nieder. Noch bevor seine Karriere richtig begann, war er bereits ein gebrochener Mann, der eine fröhliche Fassade aufrecht erhielt.
Die Szenen etlicher Fantreffen, Autogrammstunden und Auftritten in Late Night Talkshows flimmern vor ihm wieder, bis sich die Bilder erneut verändern.
Immer wieder musste er sich Martins löchernden Fragen stellen. Immer wieder musste er schauspielerische Meisterleistungen an den Tag legen.
Weshalb hatte er das Anwesen verkauft? Weshalb ließ er zu, dass Sarah von einem auf den anderen Tag auf der Straße saß?
Was war denn nun mit den beiden?
Wollte er ihr nicht einen Antrag machen?
Sie zur Frau nehmen?
Weshalb verhielt er sich so seltsam seit einiger Zeit?
Er ertrug es.
All die Monate über ertrug er es, um seiner Karriere nicht zu schaden. Um keinen Skandal zu provozieren. Als seine erste Serie im Kasten war entließ er Martin ohne ein weiteres Wort und ohne zu zögern. Er wechselte die Handynummer und wies alle Mitarbeiter des Büros dazu an, weder Martin noch Sarah hineinzulassen. Noch bevor er seine nächste Rolle annahm wechselte er das Management.
Bilder von einsamen Nächten, die er in Alkohol und Drogen ertränkte keimen auf, weshalb er zischend den Blick abwendet.
„Du bist wirklich am Tiefpunkt angelangt, oder?", wirft sein blonder Begleiter ein und deutet auf die traurige Szenerie.
„Das ist richtig. Aber lange blieb ich nicht da unten", kontert Aris ausdruckslos, ehe er seicht grinst. „Denn wenn man erst einmal am Boden ist, kann es nur noch Bergauf gehen", beendet er seinen Satz, während sich die Szenen ändern, je weiter Aris in seinen Erinnerungen kramt.
Martin hatte sein Leben ruiniert. Seine Beziehung ruiniert. Also machte er es sich zur Aufgabe nun auch seines zu ruinieren. Jahrelang zog er die Fäden im Hintergrund, spielte Martins neuen Klienten durch unzählige Hintermänner die Bilder zu, die er an jenem Spätnachmittag von Sarah und ihm schoss. So verlor Martin einen Job nach dem anderen. Während Aris Karriere florierte, zerbrach die von Martin in tausend kleine Einzelteile. Erst, als er Martin eines Tages hinter der Kasse eines Möbelfachmarktes entdeckte, wie er dasaß und mit leerem Blick in die Ferne sah, beschloss Aris aufzuhören. Er fing ein neues Leben an. Ein Leben, ohne die beiden. Ein Leben, in dem es die vorherigen 20 Jahre nie gegeben hatte.
„Ich muss gestehen, dass du es nicht leicht hattest. Die erste Liebe zu verlieren tut weh", wirft der Blondschopf neben ihm nun ein und lässt die Bilder des zerrütteten Martins verblassen.
„Bis hier hin hatte man dir alles nachgesehen. Beide Augen zugedrückt, wenn man so will. Doch..", fährt er fort und lässt neue Szenen vor ihnen erscheinen. „Spätestens ab hier, war es nicht länger möglich dein Verhalten zu entschuldigen", deutet er auf einen jungen blonden Kerl, dessen Namen Aris bereits vergessen hatte. Er kann sich dunkel daran erinnern, dass er kurz nachdem er Martin entlassen hatte für ihn arbeitete. Die Szenen zeigen einen Wutausbruch, bei welchem er ihm einen Laptop an den Kopf warf. Ein erneuter Wechsel der Perspektive erfolgte.
Diesmal brüllte er ein schwarzhaariges Mädchen in Grund und Boden.
Szenenwechsel.
Aris sieht dabei zu, wie er dem breit gebauten Kerl, der zu der Zeit sein Management übernommen hatte, den Mitarbeiterausweis vor den Augen zerriss.
„Du unfähiger Trottel!", schrie er ihm entgegen, ehe die Szene verblast.

Etliche Wortfetzen hallen ihm entgegen, während seine Erinnerungen zu einem Strudel verschwimmen. Nur für wenige Augenblicke flackern scharfe Bilder auf, die duzende seiner Manager zeigen.
„Das nennst du saubere Arbeit?",
„Wie kannst du es wagen mir so unter die Augen zu treten?! Verschwinde!",
„Das schmeckt wie Spülwasser! Nicht einmal Kaffee kochen kannst du..geh mir aus den Augen", zetert Aris und kippt den Inhalt seiner Tasse über den Kopf des Mädchens, welches zitternd vor Angst im Büro steht.
„Du stehst auf diese Krebserzeuger? Na wenn das so ist..Dann genieße sie!", brüllt er und stopft dem Kerl einige Zigarettenstummel in den Rachen, bis dieser hustend zurücktaumelt.
„Unfähig!",
„Nutzlos!",
„Eine Schande für deine Eltern!", hallt es ihm unentwegt entgegen, weshalb Aris sich mit zugekniffenen Augen die Ohren zuhält.
„Hör auf!", ruft er. „Lass es aufhören!", legt er noch lauter nach, während der Blondschopf ihn nur mit erhobener Braue mustert.
„Wieso? Es hat dich doch nie gestört all diese Dinge aus vollem Halse zu brüllen. Wieso also stört es dich jetzt, die Dinge erneut zu hören?", fragt er, woraufhin Aris allmählich die Kraft ausgeht und er auf den Boden sackt.
„Es soll aufhören!", fleht er und fixiert seinen Blick auf den Boden.
„Aufhören? Oh wir sind gerade erst am Anfang, mein Bester", kontert sein Begleiter und schnippt erneut mit den Fingern.

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