- Kapitel 17 -

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Aris kneift die Augen zusammen und hadert mit sich.
„Misa ist jeden Tag an deiner Seite geblieben, weil sie sich die Schuld an deinem Zustand gibt. Sie geht fest davon aus, dass wenn du sie nicht vor dem Radfahrer gerettet hättest, du niemals hier liegen würdest. Doch du weißt genau, dass das nicht der Fall ist, richtig?", fügt er hinzu und hinterlässt einen Schauer auf Aris Rücken. „Deine Gedanken waren an jenem Tag ganz woanders..auch ohne sie..auch ohne den Vorfall wäre alles ganz genauso abgelaufen, nicht wahr?", setzt er ihm die Pistole auf die Brust, woraufhin Aris beschämt zur Seite sieht. „Es war schließlich der Jahrestag..der Tag an dem deine Welt zusammenbrach", legt der Blondschopf nach, was Aris die Fassung verlieren lässt. „Meine Gedanken waren vielleicht bei Sarah, doch..", brüllt der Grauhaarige und verstummt plötzlich. „Ja..es wäre alles genauso verlaufen..auch ohne Misa an meiner Seite..", haucht er und sieht ihr schuldbewusst entgegen. „All die Zeit über hat sie sich also die Schuld gegeben?", flüstert er während seine Gesichtszüge erweichen. „Sie hat sich all das aufgebürdet, um eine Schuld zu bezahlen, die sie nicht einmal trägt?", fügt er trocken lachend hinzu, ehe er sich übers Gesicht fährt. Er nimmt einen tiefen Atemzug und sieht ihr von der Seite entgegen.
„Misa..es tut mir leid..", haucht er so leise, dass es kaum hörbar ist. „Alles, was ich dir angetan habe tut mir unendlich leid!", brüllt er nun und versucht erneut ihre Hände zu umgreifen. „Wenn ich es rückgängig machen könnte würde ich es tun!", setzt er nach und wischt sich die aufkommenden Tränen aus den Augen.
„Du warst die beste Managerin, die ich je an meiner Seite hatte. Du hast dich nie beschwert, deine Aufgaben immer erfüllt und mit meinen Launen mitgehalten. Ich hätte dich besser behandeln müssen..Dir mehr bezahlen müssen! Dir Urlaub genehmigen sollen! All die Zeit über habe ich nicht gesehen, wie sehr du mir mein Leben erleichterst. Wie wichtig du für mich bist. Ohne dich hätte ich nichts zustande gebracht. Ohne dich wäre meine Karriere niemals so vorangeschritten..Ohne dich wäre ich haltlos gewesen..", schluchzt er ungehalten und fährt sich durch die zerstreuten Haare. „Wenn ich könnte würde ich mein damaliges Ich dazu bringen dich zu unterstützen! Dich einem Künstler überlassen, der dich und deine Arbeit zu würdigen weiß! Jemand, der dein Potential zu schätzen weiß..nicht so wie ich..ich würde alles geben, um dich zu erlösen..", haucht er, während ihm stille Tränen die Wangen entlang rinnen. „Aber ich kann nichts tun..ich kann rein gar nichts für dich tun", realisiert er leise während ihn unbändige Wut überkommt. So machtlos..so hilflos hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Es scheint fast so, als würde ihn die Fülle an Emotionen einholen, die er all die Jahre über abblockte.
„Gibt es denn wirklich nichts, was ich tun kann? Kann ich ihr denn wirklich nicht helfen?", schluchzt er mit Tränen in den Augen, ehe er sich umdreht und seinem Begleiter in die Augen sieht. Mit weichem Blick sieht er ihm entgegen und seufzt.
„Es gäbe zwei Möglichkeiten..", entgegnet dieser ihm zaghaft und nähert sich ihm. „Jedoch wird dir eine davon sicher nicht gefallen", fügt er hinzu und setzt sich auf die weiche Matratze des Krankenhausbettes.
„Bitte, ich muss es wissen", drängt Aris und faltet die Hände betend vor sich.
„Möglichkeit Nummer ein wäre, dass du selbstständig aus dem Koma erwachst. Das wäre zudem auch die einfachste Variante. Sobald du wach bist kannst du Misa davor bewahren einen großen Fehler zu begehen, welcher ihr restliches Leben beeinflussen würde. Möglichkeit Nummer zwei wäre dein Leben zu geben, um sie zu befreien. Wenn du stirbst wird sie endlich wieder anfangen für sich selbst zu leben", erklärt sein Begleiter behutsam und sieht Aris die Augen weiten.
Er soll sein Leben für sie geben?
Starr schielt er zu Misa, die noch immer neben ihm sitzt und mittlerweile eingeschlafen ist. Sie hat seine Hand dabei noch immer fest umschlossen.
Aris kneift die Augen zusammen.
Misa hat in dem letzten Jahr so vieles für ihn getan, so vieles für ihn aufgegeben. Sie hat ihr Leben aufgegeben..für ihn. Wie könnte er nun nicht das gleiche für sie tun? Auch wenn es ihm wiederstrebt..er kann sie einfach nicht so weitermachen lassen. Wenn er dafür sein Leben geben muss, dann soll es so sein. Er nimmt einen tiefen Atemzug und sammelt sich.
„Ich werde Möglichkeit Nummer eins versuchen. Ich möchte wieder aufwachen. Ich möchte endlich wieder leben", erklärt er. „Sollte ich jedoch scheitern..sollte es nicht funktionieren..werde ich Möglichkeit Nummer zwei umsetzen. Ich will nicht, dass sie auch nur noch einen Tag länger leidet. Sie soll glücklich werden. Einen guten Job finden, der ihr genügend Geld einbringt, um zufrieden leben zu können. Sie soll nie wieder solch ein Martyrium durchmachen müssen. All das ist meine Schuld. Nicht nur der Unfall..auch die letzten Jahre ihrer Qualen habe ich zu verantworten. Ich werde nicht davonlaufen. Wenn ich ihr dadurch Abhilfe verschaffen kann werde ich es tun", fügt er fest entschlossen hinzu, was den Blondschopf verwundert die Brauen heben lässt.
„Ich muss zugeben, dass ich deine Entscheidung durchaus gut heiße, doch..es überrascht mich auch. Ich wusste, dass du tief in deinem Inneren ein guter Mensch bist, Aris. Es tut mir leid..dass dir solch ein Verrat in deinem Leben widerfahren ist schmerzt auch mich als deinen Schutzengel. Dass du dich in solch eine Richtung entwickelt hast hat mir das Herz gebrochen. Dich nun so zu sehen..diese Worte aus deinem Mund zu hören..ich wünschte mir wirklich es gäbe noch eine weitere Variante. Eine, in welcher alle Beteiligten glücklich werden würden. Doch diese existiert leider nicht. Es gibt nur eine Möglichkeit, wie Misa sowie auch du glücklich werden könnt. Auch wenn ich es noch so sehr will, kann ich dir dabei nicht helfen. Ich werde immer an deiner Seite sein, doch eingreifen kann ich nicht. Du musst es aus eigener Kraft schaffen. Streng dich also an, ja?", entgegnet der Lockenkopf und schnippt zum letzten Mal mit den Fingern, ehe er allmählich vor Aris Augen verschwimmt und sich neue Szenen vor ihm auftun.
Starkes Blitzlichtgewitter prasselt auf ihn ein. Unzählige Menschen in atemberaubenden Roben schreiten den roten Teppich entlang. Eine davon ist Misa an der Seite von Thomas Attero, der sie locker zu einem Foto positioniert. Aris hingegen bricht der kalte Schweiß aus. Er kennt die Attero Geschwister nur zu gut. Während eines Filmdrehs vor einigen Jahren hatte er das Vergnügen deren Bekanntschaft zu machen. Er weiß noch genau, wie die beiden ihre weiblichen Angestellten behandelten. Zu was sie sie alles anstifteten. Was sie alles mit ihnen anstellten. Misa nun neben Thomas zu sehen lässt ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht weichen. Auch Thomas verräterisches Grinsen lässt ihm den Atem stocken. Wie er Misas Körper auf und ab wandert, während sie nicht hinsieht lässt ihm die Galle hochkommen.
Er wird doch nicht?
Hastig setzt er zur Verfolgung an und schlüpft durch die Eingangstüren des Kinos. Thomas legt unverschämt einen Arm um die Brünette und winkt seinem Bruder lachend zu. Beide sehen sich spitzbübisch grinsend an, während Misa die Dekoration anlässlich der Premiere bewundert. Sie fühlt sich sichtlich unwohl, doch sie versucht es zu unterdrücken. Aris sieht genau, dass sie eigentlich nicht hier sein möchte.
„Wie schön sie endlich einmal kennenzulernen, Miss Wolff", reißt Travis die Aufmerksamkeit seiner Managerin an sich, ehe diese ein gezwungenes Lächeln aufsetzt.
„Es freut mich ebenfalls. Wir hatten in der Vergangenheit ja nicht das Vergnügen", entgegnet sie und nimmt seine Geste der Begrüßung an.
„Was für eine Schande! Dabei habe ich so auf Aris eingeredet mich seiner meisterhaften Managerin vorzustellen. Wahrscheinlich hatte er einfach nur Angst ich könnte sie abwerben", lacht Travis und führt sie in den Kinosaal. Aris läuft es kalt den Rücken hinunter. Solange sie den Film sehen werden sie wohl nichts versuchen, doch..ihm ist durchaus klar, wie der weitere Abend verlaufen kann. Sobald die Premiere vorbei ist werden sie sie auf die Aftershow Party einladen. So höflich wie sie ist, wird sie das Angebot sicher nicht abschlagen. Ab dem Moment sind keine Kameras..keine Fotografen mehr anwesend. Gott weiß, was sie mit ihr anstellen werden, schießt es ihm durch den Kopf. Mit rasendem Herzen rauft er sich die Haare. „Ich muss doch etwas tun können!", zischt er und sieht sich panisch um. Sein Blick bleibt an dem hohen Bürogebäude gegenüber des Kinos hängen. Das Krankenhaus ist nicht weit entfernt. Höchstens ein paar Minuten mit dem Auto. Er muss unbedingt zurück zu seinem Körper gelangen. Wenn er es schafft wieder aufzuwachen wird er vielleicht noch etwas tun können. Er wird sie vielleicht da rausholen können.
„Ich muss es draufankommen lassen", zischt er und hetzt eilig aus dem Gebäude.

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