Aris POV:
„Das war aber noch nicht alles", wirft sein Begleiter nun ein und schnippt erneut mit den Fingern. Etliche Szenen spielen sich gleichzeitig vor Aris ab. In einer wirft er seine Tasse nach ihr. In der anderen brüllt er ihr entgegen, wie unfähig sie sei. Wieder eine andere zeigt die beiden in einer Garderobe, wie er sie schlafend erwischt hat und ihr ein Glas Wasser ins Gesicht schüttet. All die Beleidigungen, all die Schikanen prasseln geballt auf ihn ein, während er nur mit geweiteten Augen da steht und nichts tun kann, als es über sich ergehen zu lassen.
„Du hast deine Manager immer schlecht behandelt, seit du Martin entlassen hast. Wahrlich unmenschlich. Besonders Misa hat unter deinen Launen gelitten, wie du siehst. Dennoch ist sie immer bei dir geblieben. Ohne einen Funken Dankbarkeit oder Wertschätzung hast du sie einfach weiter ausgebeutet", meint der Lockenkopf und sieht genau wie Aris den vorbeifliegenden Szenen zu.
„Ich..", haucht der Grauhaarige und runzelt die Stirn.
„Du hast all deine Wut und deinen Ärger immer an seinen Nachfolgern ausgelassen. Dabei war dir selbst bewusst, dass diese Menschen nichts für Martins Fehler können. Das war dir allerdings egal, nicht wahr? Es hat dir ein Gefühl von Genugtuung bereitet, daher hast du keine weiteren Gedanken an dein Verhalten verschwendet", erklärt der Blondschopf Aris Verhalten, was ihn erneut die Augen weiten lässt. „Zugegeben..ich war vielleicht ein wenig hart zu ihr, doch..", rechtfertigt er sich, hält jedoch kurz darauf inne. „Wenn sie mich wirklich so sehr hassen würde, wie sie sagt, wieso besucht sie mich nach wie vor im Krankenhaus?", stellt er seinem Begleiter nun die Frage auf die dieser anscheinend sehnsüchtig gewartet zu haben scheint.
„Auch das kann ich dir zeigen", entgegnet der Blondschopf und schnippt wieder einmal mit den Fingern. Erneut ändert sich die Szene vor Aris Augen und er findet sich an jener Straßenkreuzung wieder, die ihm zum Verhängnis wurde.
Er sieht sich selbst an der Ampel stehen mit Misa neben ihm. Sie erklärt ihm gerade den heutigen Tagesablauf. Auch hierbei hat er ihr seinerzeit nur mit halbem Ohr zugehört. Er kann sich noch gut daran erinnern, was ihm währenddessen durch den Kopf ging. Plötzlich jedoch spielt sich alles ganz schnell ab. Er sieht sich selbst dabei zu, wie er Misa ruckartig nach hinten zieht, um sie vor dem Radfahrer zu retten. Die Röte auf ihrem Gesicht hatte er damals nicht einmal bemerkt. Ab jetzt ist seine eigene Erinnerung lückenhaft. Er weiß nicht sicher was von nun an geschehen ist. Er kann sich an schreckliche Schmerzen erinnern, doch er hat keine Bilder dazu vor Augen. Schock zeichnet sich auf seinem Gesicht ab. Die Ereignisse haben sich wahrlich überschlagen. Er kann gar nicht so schnell folgen, wie die Geschichte ihren Lauf nimmt. Plötzlich liegt er regungslos auf der Straße. Hastig rennt Aris über die Kreuzung und bleibt sprachlos vor dem Unfallort stehen. Die verbeulten Autos, sein nahezu lebloser Körper, Misa die ihn unter Tränen anfleht die Augen zu öffnen. Wie sie sich immer und immer wieder entschuldigt. Das Blut, welches sich auf seinem Hemd und Misas Rock ausbreitet, nachdem sie seinen Kopf auf ihren Schoß gelegt hat.
„Machen sie die Augen auf! Kommen sie schon, Aris!", brüllt Misa aufgebracht und wischt sich mit den blutverschmierten Fingern über ihr Gesicht. „K-Krankenwagen! Rufen sie einen Krankenwagen!", brüllt sie kreidebleich und sieht sich suchend um. Die Menschenmenge um sie herum sieht ihr schockiert entgegen. Einige zücken ihre Handys, als sie realisieren wer in den Unfall verwickelt ist. Aris verzieht das Gesicht und kniet sich dicht neben Misa, welche noch immer mit den Tränen kämpft.
„Halten sie durch, ja? Wehe ihnen wenn sie mir nicht wieder aufwachen! Wir haben doch noch so viel Arbeit vor uns. Sie können jetzt nicht einknicken, verstanden! Sie dürfen nicht sterben, nicht meinetwegen!", schnieft sie und wischt sich ergeben über die Stirn. Das Entsetzen und der Schock sind ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Dass sie sich tatsächlich solch große Sorgen um ihn machen würde hatte er nicht erwartet. Plötzlich beugt sie sich nah zu ihm herab und stoppt kurz vor seinem Gesicht.
„Bitte..Mister Taden..bleiben sie bei mir, ja?", haucht sie während einzelne Tränen auf seine von Blut verschmierte Wange tropfen. Mit geweiteten Augen sieht Aris der Szene zu und kommt nicht drum herum seiner Managerin seine geisterhafte Hand auf die Schulter zu legen. „Jetzt hör schon auf..du siehst auch so schon schlimm genug aus ohne ein verheultes Gesicht", murmelt er und fühlt sich hilflos. Misa so aufgelöst zu sehen löst ein altbekanntes Gefühl in ihm aus. Er fühlt sich unglaublich schlecht. Trauer, Wut und Scham kriechen seinen Rücken hinauf.
„Sie ist dir seit jenem verhängnisvollen Tag nicht von der Seite gewichen", wirft der Lockenkopf ein, der urplötzlich hinter Aris steht. „Tag ein Tag aus saß sie an deinem Krankenbett. Sie hat sich um all deine Finanzen gekümmert, um die Organisation des Büros, um deine Wohnung. Sie hat alle Reinigungskräfte in neue Jobs vermittelt und sich seither selbst um die Reinigung des Büros und deines Apartments gekümmert, um Kosten zu sparen. Nicht ein einziges Mal hat sie dein Vermögen angerührt, um deine Krankenhausrechnungen zu bezahlen seit dein Vater gestorben ist", erklärt sein Begleiter mit ausdrucksloser Miene, während er auf Misa herabsieht. Wieder einmal schnippt er mit den Fingern und lässt etliche Szenen vor Aris Augen vorüberziehen.
„Sie hat all das selbst finanziert und drei Jobs angenommen, um die finanzielle Last zu stemmen. Nebenbei hat sie ihre Wohnung verloren, den Kontakt zu ihren Freunden, zu ihrer Familie. Ihr Leben dreht sich ausschließlich um dich, Aris", fügt der Blondschopf hinzu, während Aris nichts darauf erwidern kann. Gebannt starrt er auf die Bilder vor sich. Er sieht Misa in einer Fabrik arbeiten, im Supermarkt Regale auffüllen, in einem Restaurant kellnern. Er sieht sie völlig fertig zurück ins Krankenhaus trotten. Er sieht ihr dabei zu, wie sie sich kraftlos auf den Stuhl neben seinem Bett fallen lässt. Sie ergreift vorsichtig seine Hand und schließt die Augen. Blut quillt aus den kleinen Wunden an ihren Händen. Aris zieht scharf die Luft ein und stolpert einige Schritte auf sie zu. Entrüstet starrt er auf ihre Hände.
„Wie..woher hat sie diese Wunden?", stammelt er und umgreift sachte ihre Hände, doch er gleitet einfach durch sie hindurch.
„Die Arbeit in der Fabrik bekommt ihr nicht gut. Sie reagiert allergisch auf Ammoniak, so zumindest die Diagnose der Krankenschwester Renee", erklärt sein Begleiter und stellt sich einige Meter neben ihn.
„Wieso kündigt sie nicht einfach?", entkommt es Aris fassungslos, während er nach wie vor versucht Misas Hände zu fassen zu bekommen. „Wie könnte sie? Ohne den Job in der Färberei könnte sie deine Krankenhausrechnungen nicht ansatzweise bezahlen", spottet der Lockenkopf mit verschränkten Armen vor der Brust.
„Ich habe doch so viel Geld auf dem Konto! Es wäre ein Leichtes mich versorgen zu lassen!", entkommt es ihm wahnhaft, da seine Hände nach wie vor durch Misas Körper hindurch gleiten. „Das ist ihr durchaus bewusst, doch..so wie sie bereits zu Beginn unserer kleinen Reise sagte, du würdest sie umbringen sobald du erwachst", kontert sein Begleiter schulterzuckend, woraufhin Aris wütend schnaubt.
„Das würde ich nicht! Wenn sie sich so abrackern muss, um meine Pflege zu finanzieren würde doch jeder normaldenkende Mensch verstehen, wieso sie mein Vermögen hierfür einsetzt. Abgesehen davon ist es doch zu meinem eigenen Wohl", presst er hervor und rauft sich die Haare. „Diese Ansicht vertrittst du jetzt. Nachdem ich dir all das gezeigt habe, was geschehen ist. Du selbst hättest Misa nicht einmal eine Minute dein Gehör geschenkt, um sich zu erklären. Du hättest nur deinen geminderten Kontostand gesehen und sie vermutlich bis auf ihr letztes Hemd verklagt", spottet der Lockenkopf, was Aris die Zähne fletschen lässt. Ehe er etwas erwidern kann reißt Misas zarte Stimme seine Aufmerksamkeit auf sich.
„Es war wieder einmal ein harter Tag. Ich bin mittlerweile so müde, dass ich schon zu halluzinieren beginne. Auf dem Weg ins Restaurant habe ich einen jungen Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite gesehen. Er sah ihnen so ähnlich, dass mein Herz kurz aufgehört hat zu schlagen. Für einen kurzen Moment dachte ich wirklich all das wäre nur ein schrecklicher Traum gewesen. Ich dachte wirklich ihnen würde es gut gehen. Sie würden unbekümmert durch die Straßen wandern..doch die Realität holte mich recht schnell wieder ein", erzählt sie seufzend und legt ihre Stirn auf seinem Handrücken ab. „Doch ich gebe die Hoffnung nicht auf. Sie werden wieder aufwachen. Sie werden mich in Grund und Boden schreien wie ich so unverantwortlich gewesen sein konnte und ich werde in Tränen auf die Knie sinken. Ich werde vor Freude nicht mehr wissen wo oben und unten ist. Bitte..Aris..wachen sie wieder auf. Ich glaube ich könnte nicht damit leben zu wissen schuld an ihrem Tod zu sein..", schluchzt sie und umklammert seine regungslose Hand fest. Aris hingegen zieht die Brauen zusammen und wendet beschämt den Blick ab.
„Reicht dir das als Antwort?", wirft sein Begleiter nun mit erhobener Braue ein.
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Die Vergangenheit durchleben für ne Zukunft nur mit dir
Dla nastolatkówEin Moment der Unachtsamkeit reicht aus, um das Leben vollständig auf den Kopf zu stellen. Ein Augenblick. Ein Seitenblick. Ein Wimpernschlag. Die brünette Managerin fragt sich, ob alles wohl anders gekommen wäre, wenn sie an jenem Nachmittag eine...