Wie ich diese verfluchte alte Hexe hasse! Vorsichtig lecke ich mir die geschundene Flanke, an der mich der schwere Stock getroffen hatte. Nein, korrigiere ich mich wütend, hassen ist zu wenig! Ich verabscheue sie! Ich möchte allein bei ihrem Anblick Fellknäule, groß wie Tennisbälle, würgen!
Dabei ist ihr Äußeres nicht im Mindesten abstoßend. Durch das Küchenfenster beobachte ich, wie meine Herrin anmutig durch den Garten streift. Gelegentlich bückt sich das grauenvolle Weib, um Kräuter zu Pflücken, Unkraut auszumerzen oder Raupen zu zermalmen, die es wagen sich an ihrem heiligen Salbei gütlich zu tun.
Das hüftlange goldblonde Haar weht in der leichten Brise, und das schlichte blaue Sommerkleid, wenn auch am Saum etwas schmuddelig, betont die milchige Haut und das zarte Rosa ihrer Wangen. Die schlanken Glieder lassen sie klein und zierlich erscheinen. Kaum wirkt das Miststück, als hätte es neunundzwanzig Lebensjahre vollendet. Realistisch betrachtet, müsste man an diese Zahl mindestens zwei Nullen anhängen.
Nur die Augen deuten darauf hin, was unter der Fassade lauerte. Diese grauen, trüben, diabolisch funkelnden Kugeln, die ich mit Wonne auskratzen würde. Wenn ich nur könnte.
NEIN! Wo ist sie hin? Hektisch suche ich die Büsche ab.
Wenn man nur eine Sekunde in Tagträumen versinkt!
Mit einem eleganten Satz lande ich auf dem schlichten grauen Steinboden und husche hinüber zu meinem Lager neben dem Ofen. Der Spruch, dass Katzen immer auf die Pfoten fallen, gilt selbst mit gebrochenen Rippen.
Gut, ich gebe zu, vielleicht sind sie nur angebrochen. Oder geprellt. Ja, allermindestens geprellt!
Krrrrk! Das Knarren bestätigt meine Befürchtung. Schnell rolle ich mich auf dem Kissen zusammen. Bevor sie auf die Idee kommt, ich könnte auch nur in der Nähe der Anrichte gewesen sein.
„Na, haben wir uns wieder beruhigt?", erklingt die verhasste glockenhelle Stimme, noch ehe die Tür mit einem schweren KLONG wieder ins Schloss fällt.
Wie der kaum abgetrennte Eingangsbereich und die Küche besteht auch die Tür aus massivem, hochwertigem Buchenholz. Sie hätte genauso gut aus Stahl sein können. Der einzige Unterschied sind die Kratzer. Auf Metall wären die Spuren der verzweifelten Versuche, dem sicheren Tod zu entkommen, nicht mehr sichtbar gewesen.
„Maaauuuuaaaauuuu!", antworte ich schnell, bevor sie auf dumme Gedanken kommt!
„Siehst du, geht doch!" Mit diesen Worten hebt sie den selbstgeflochtenen Korb auf den einfachen Küchentisch. „Du weißt, dass es notwendig ist und ich lasse darüber nicht mit mir diskutieren!"
„Maaauuu." Ja, weiß ich! Nur zu gut. Und trotzdem werde ich jedes einzelne Mal meine Meinung kund tun!
Nach 283 Jahren Sklaverei sollte man meinen, sie hätte mir den freien Willen ausgetrieben, doch weit gefehlt! Auf Gedeih und Verderb mit dieser magischen Kreatur verbunden zu sein hat, das muss ich zugeben, nicht nur Nachteile. Wobei selbige überwiegen! Wolkenkratzerhoch!
„Die Köder sind ausgelegt. Lassen wir sie wirken und warten ab, was sie uns bescheren." Das Säuseln klingt verträumt und ihr Blick aus dem Fenster wirkt abwesend. Bestimmt lässt sie Klaus über die Lebkuchenmännchen fliegen und prüft durch seine Augen, dass sie keinen Baum vergessen hat.
Als würde das einen Unterschied machen! Der Duft der Dinger ist nicht wegen der exotischen Gewürzmischung gefährlich. Die Reichweite beträgt bei der Menge mehr als einen Geh-Tag. Selbst in dieser Gegend, in die sich nur wenige Wanderer verirren, würden sie ihren Dienst tun und in Kürze ein armes Opfer anlocken. In der Hoffnung, dass es diesmal ein brutaler Serienmörder oder ein fieser Unternehmensboss ist, lege ich mich hin. Versuche nicht in Erinnerungen zu versinken.
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Knusper, Knusper
HorrorDu glaubst, du kennst die Geschichte. Mit all ihren grausamen Einzelheiten. Du hast sie tausendmal gehört. Gesehen. Eingeatmet. Ja, sogar in deinen Träumen verarbeitet. Einen Scheiß kennst du! Ich erzähle dir, was wirklich geschehen ist. Hör gut zu...